Category Archives: Eigenbeiträge

Im Schatten der Olympiade von 1936 – das Internierungslager von Berlin-Marzahn

Sinti-Internierungslager in Marzahn
Das Internierungslager vor allem für deutsche Sinti entstand im Jahr 1936 im Schatten der Olympiade in Berlin. Die Anweisung zur Einrichtung des Lagers stammt vom 10. Juli 1936. Am 16. Juli wurden dann 600 Wägen an einem Ort in Marzahn zwangskonzentriert.
Die Betroffenen waren, wenn sie zur Ermordung nicht deportiert wurden, jahrelang interniert, teilweise bis zu neun Jahre. Durchschnittlich lebten immer 1.000 Menschen in dem Lager.
Die hygienischen und die Ernährungs- Verhältnisse waren im Lager katastrophal. Von 1936 bis 1945 starben 52 Kinder und Jugendliche an diesen Zuständen.
Ab dem Jahr 1938 wurden Minderjährige vom Lager Marzahn in das 30 Kilometer entfernte KZ Sachsenhausen und später in das „Jugendschutzlager“ Moringen und Uckermark deportiert.
Ab März 1943 wurden die Internierten nach Auschwitz deportiert. Unter den Deportierten befanden sich auch die Komparsen für den Film „Tiefland“ von Leni Riefenstahl, die von der Regisseurin direkt aus dem Lager rekrutiert hatte.
Sinti-Internierungslager Marzahn Opfer-Biografie
Inzwischen gibt es am Lagerstandort mehrere Gedenk-Stelen, die die Geschichte des Lagers und einzelne Opfer-Schicksale vorstellen. Dieses Denkmal ist auch Ergebnis des Kampfes der Überlebenden und ihrer Familien um Anerkennung ihres Leids.
Hier erfährt die/der Besucher*in z.B. das ein Opfer erst im Jahr 1985 seine von den Nazis aberkannte Staatsbürgerschaft zurück erhielt.
Auf einer Stele wird auch berichtet wie bereits die Zwangsuntersuchungen und -befragungen durch Dr. Robert Ritter Mitte der 1930er Jahre mit Misshandlungen einher gingen. So wird aus den Erinnerungen einer Überlebenden berichtet wie eine achtzig Jahre alte Frau an den Folgen solcher Misshandlungen verstarb.
Ein weiterer porträtierter Verantwortlicher für die Schikane und Terrorisierung, für Deportation und Verfolgung war der Polizist Leo Karsten von der „Dienststelle für Zigeunerfragen“ bei der Berliner Kriminalpolizei. Karsten setzte nach Kriegsende seine Polizei-Karriere als Kriminalobermeister in Ludwigshafen.

Wer sich das Denkmal in Marzahn anschauen will, die/der muss bis zur S-Bahn-Station S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße fahren.

Antiziganistischer Stinkstiefel für den April 2013

Der Antizig-Watchblog verleiht seit dem Dezember 2011 im monatlichen Turnus die Negativ-Auszeichnung „Antiziganistischer Stinkstiefel“. Diese Auszeichnung geht an Personen des öffentlichen Lebens, Organisationen oder andere Institutionen, die sich öffentlich besonders antiziganistisch geäußert haben oder ein antiziganistisches Klischee bedient haben.
Ex-Staatsanwalt Köln antiziganistisch
Für den April 2013 geht der Stinkstiefel an den Kölner Oberstaatsanwalt Egbert Bülles (66), er war bis März 2012 Chef der Abteilung Organisierte Kriminalität der Kölner Staatsanwaltschaft. Dieser äußerte sich im Interview mit der BILD „über die Roma-Problematik“ massiv antiziganistisch.

BILD: Köln gilt als Hochburg für Taschendiebe und Wohnungseinbrüche. Warum ist das so?
Bülles: „Hinter den Bandeneinbruchsdelikten stehen Roma-Clans aus Ex-Jugoslawien sowie Rumänen und Bulgaren. Das sind Sippen mit 70, 80 oder mehr als 100 Angehörigen, die in dieser liberalen und weltoffenen Stadt gerne Straftaten begehen.“

Im weiteren Verlauf des Gesprächs ereifert sich Bülles im typisch rechten Duktus über die „Gutmenschen-Justiz“ und nennt die Homo-Ehe ein Problem.
Am Ende äußert er sich erneut antiziganistisch:

BILD: Stecken Roma auch hinter dem ‚Enkeltrick‘?
Bülles: „Ohne, dass man mich zum Rassisten abstempelt, aber Fakt ist: Dafür sind vornehmlich Roma-Clans verantwortlich. Für Litauer oder Kosovo-Albaner sind solche Straftaten tabu. Roma hingegen greifen gezielt die Schwächsten der Schwachen an. Neuerdings ahmen aber auch russisch sprechende Täter diese Masche nach.

Die Verbindung von ethnischer Herkunft und Kriminalität hat in der Geschichte des Antiziganismus eine lange Tradition. Diese Verbindung wird von der BILD gleich am Anfang mit dem Ansprechen einer „Roma-Problematik“ gemacht. Es ist unsinnig Roma und Kriminalität miteinander zu verbinden, weil erstens die Zahlen fast immer übertrieben werden, zweitens die 99,9% nicht kriminellen Roma konsequent ignoriert werden und drittens Herkunft und Kriminalität nur selten etwas miteinander zu tun haben. Es thematisiert ja auch niemand, dass die Mehrzahl der Wirtschaftsverbrechen in der Bundesrepublik vermutlich von älteren, weißen „biodeutschen“ Männern begangen wird.

* „Die Klau-Kids lachen sich doch über uns kaputt“, Interview mit Ex-Oberstaatsanwalt Bülles, 2013, Bild.de, http://www.bild.de/regional/koeln/jugendkriminalitaet/die-klau-kids-lachen-sich-doch-ueber-uns-kaputt-29386112.bild.html

Die Ausstellung »Typisch „Zigeuner“«


Derzeit ist im Stuttgarter Rathaus noch bis zum 15. März die Ausstellung »Typisch „Zigeuner“. Mythos und Wirklichkeiten« zu sehen.

Die Ausstellung behandelt einzelne Aspekte wie „Antiziganismus in den Wissenschaften“, „Antiziganismus als Politik“, „Antiziganismus nach 1945“ oder „Antiziganismus in den Kirchen“. Um mit den vorherrschenden Klischees zu brechen werden Vertreter der Minderheit vorgestellt, die in den Bereichen Film, Politik, Literatur oder Musik berühmt geworden sind.

Ob allerdings die Romni Livia Járóka, die als Europaabgeordnete für die Fidesz-Partei im EU-Parlament sitzt, eine so vorbildhafte Gestalt ist, ist fragwürdig. Immerhin spielt die Fidesz-Partei in Ungarn auch gerne mal die antiziganistische Karte und kürzt sukzessive alle Hilfsprogramme und Fördergelder für Roma.

Leider ist die Ausstellung, die immerhin aus 21 Tafeln besteht, in einen kleinen Nebengang abgeschoben.

Öffnungszeiten und mehr unter: http://www.typisch-zigeuner.de/

LESETIPP: die aktuelle Ausgabe des Magazins „iz3w“

iz3w Cover Titelthema Antiziganismus
Das Nordsüd-Magazin „iz3w“ aus Freiburg widmet sich in seiner Ausgabe Nr. 334 vom Januar/Februar 2013 dem Thema „Antiziganismus – Vergangenheit und Gegenwart“. Im Editorial schreibt die Redaktion dazu:
„Es geht nicht darum, wie »sie« leben, wie sie »wirklich« sind. Ohnehin gibt es nicht »die« Roma und »die« Sinti, mit diesen Bezeichnungen werden sozial, politisch und kulturell heterogene Gruppen zusammengefasst. […] Der Themenschwerpunkt handelt vielmehr von der Mehrheitsgesellschaft, genauer gesagt: Vom Ressentiment der Mehrheit gegenüber einer Minderheit. (Ob die Minderheit erst durch Fremdzuschreibungen zur Minderheit gemacht wird, oder ob sie sich auch selbst eine Identität als Minderheit zuschreibt, ist dabei nicht entscheidend.) Anders gesagt: In diesem Schwerpunkt erfahren wir etwas über »uns«, nicht über »sie«. Es ist ein erschreckender Blick in den Spiegel.“ (Seite 16)

Auf 26 Seiten finden sich 11 durch die Bank lesenswerte Beiträge, die sich den unterschiedlichen Facetten dieses Ressentiments widmen:
* „Europa erfindet die Zigeuner“ von Klaus-Michael Bogdal
Der Autor schreibt u.a. treffend „Triviale Zigeunerromantik überschreibt die Lebenswirklichkeit der Romvölker bis zur Unkenntlichkeit.“ (Seite 20)
* „Bis zum Völkermord“ (über Antiziganismus und Antisemitismus) von Wolfgang Wippermann
* ein Interview mit Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma
* „Inszenierte Wildheit“ (Antiziganismus und Geschlecht) von Felia Eisenmann
* „Als Kollektiv definiert“ (über die Problematik der anti-antiziganistischen Aufklärungs-Pädagogik) von Albert Scherr
* ein Interview mit Valeriu Nicolae zu europäischen Strategien gegen Antiziganismus
* „Die Stille durchbrechen“ (über Antiziganismus in Italien) von Paolo Finzi
* „Antiziganismus ist Mainstream“ (über Antiziganismus in Ungarn) von dem Blogger pusztaranger
Hier erfährt man, dass Roma-Kinder in Ungarn 20 Mal häufiger als behindert eingestuft werden und, dass allein vom Januar bis zum September diesen Jahres 1.000 ungarische Roma in Kanada Asyl suchten.
* „Aufgeklärte Vorurteilsforschung“ (Buchrezension) von Winfried Rust
* „Kampf um Entschädigung“ von Tobias von Borcke
* Interview mit Walter Schlecht über praktische Solidarität mit Roma-Flüchtlingen in Freiburg

Unterlegt wird der Heft-Schwerpunkt durch einen Meldungs-Ticker auf jeder Seite oben, in dem antiziganistische Übergriffe erwähnt werden. Die Informationen zu den Tickermeldungen stammen aus der Chronologie dieses Watchlog, der auch im Editorial erwähnt wird.

Die iz3w kann unter www.iz3w.org bestellt werden, was jeder/jedem an der Thematik Interessierten sehr empfohlen sei.

Antiziganistischer Stinkstiefel für den November 2012

Der Antizig-Watchblog verleiht seit dem Dezember 2011 im monatlichen Turnus die Negativ-Auszeichnung „Antiziganistischer Stinkstiefel“. Diese Auszeichnung geht an Personen des öffentlichen Lebens, Organisationen oder andere Institutionen, die sich öffentlich besonders antiziganistisch geäußert haben oder ein antiziganistisches Klischee bedient haben.
Für den November 2012 geht diese Auszeichnung an Peter Nowack, SPD-Mitglied und Bremer Ortsamtsleiter.
Dieser wird von der BILD wie folgt zitiert:

Die Methode Zuckerbrot und Peitsche klappt nicht mehr. Sagt ihnen, das Zuckerbrot ist alle. Ich habe die Nase voll davon, dass sich einige Großfamilien, meist Roma, fast alles vom Staat bezahlen lassen, aber die Straße als rechtsfreien Raum betrachten. Auch sie müssen Disziplin üben, Regeln und Gesetze einhalten. Wer es nicht tut, darf nicht länger verhätschelt werden.

BILD hofiert SPD-Law&Order-Mann
Laut BILD fordert Peter Nowack „jetzt rigoroses Durchgreifen von Politik und Behörden.“ und die Abstrafung auch der Eltern von Straftäter_innen, also eine Art von Sippenhaft: „Denn wenn ein Jugendlicher wie er mehr als 100 Straftaten begeht, haben auch Mutter und Vater versagt.“
Die BILD spendet dem Law&Order-Politiker Beifall: „Der Sozialdemokrat spricht als erster Tacheles.“

* Astrid Sievert: Der erste Ortsamtsleiter (SPD) redet Klartext Schiebt die Intensivtäter ab und die Eltern gleich mit, BILD, http://www.bild.de/regional/bremen/straftaten/intensivtaeter-gewalt-auslaender-26958242.bild.html

Antiziganistisch verzerrte Wahrnehmung und Wirklichkeit – ein Lehrstück aus der „Leipziger Volkszeitung“

Das Gegenteil von gut ist manchmal auch „gut gewollt“. Das illustriert eindrücklich der Artikel „Zwischen Nobelkarosse und Camper“ aus der Feder von Drago Bock, der am 14.07.2009 in der „Leipziger Volkszeitung“ erschienen ist.

Eine Gruppe Roma aus Spanien macht offenbar regelmäßig Halt auf dem Festplatz in Wurzen. Dass war für den Journalisten Drago Bock Anlass einmal vorbeizuschauen. Nicht Anlass, sondern der Grund für sein schiefes Porträt der Campierenden, war aber offenbar die Suche nach der Bestätigung seiner Klischees. Über Roma bzw. dieser Gruppe zugeordneten Menschen existieren seit Jahrhunderten Klischees und Vorurteile, die wenig bis gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Diese „Zigeuner-Bilder“ legen sich über die Wahrnehmung und verformen sie. Der Rassismus gegen Roma, der auch als Antiziganismus bezeichnet wird, besteht nicht nur aus Ablehnung und Anfeindung, sondern auch aus solchen „Zigeuner-Bilder“, die zum Teil erst einmal nicht direkt negativ sind.

Der Journalist gibt gleich zu Anfang als eine Art Bürgeranwalt die Beschwerden eines Teils der Anwohnerschaft wieder. Die Roma hätten den Wald als Toilette verwendet („Schamlos hätten dort die Roma ihr Geschäft verrichtet.“). Es wird nicht hinterfragt, ob das stimmt bzw. ob überhaupt die Roma-Gruppe dafür verantwortlich ist. Diese Klagen sind für ihn der Grund einmal bei dem Lager vorbeizuschauen. Hier wird er freundlich empfangen und ein Camp-Mitglied erklärt, dass sie auf eigene Kosten einen Müllcontainer von der Stadt bestellt haben.

Statt einmal nach dem Leben der Roma und der individuellen Lebensgeschichte zu fragen, ist der Journalist verwundert über den scheinbaren Reichtum, dem er begegnet („Auch er trägt eine
Rolex-Uhr am Handgelenk.“). Obwohl die Gesprächspartner den ersten Eindruck korrigieren, so liest man in der Berichterstattung doch deutlich Zweifel aus dem Bericht. Die Rolex ist „Keine echte, wie er sagt.“. Das „wie er sagt“, illustriert aber deutlich den Zweifel.
Offenbar ist Drago Bock durch die Wirklichkeit an die Grenzen des Klischees vom „dreckigen Zigeuner“ gestoßen und ersetzt das durch ein anderes Klischee, nämlich das vom durch unlautere Mittel zu Reichtum gelangten „Zigeuner“, die über „schnittige Limousinen“ und Rolex-Uhren verfügen. Continue reading Antiziganistisch verzerrte Wahrnehmung und Wirklichkeit – ein Lehrstück aus der „Leipziger Volkszeitung“

Soli Shirt

Es läuft zur Zeit sehr gut mit unseren Solidaritäts T-Shirts!
So sind z.B. bereits alle XL-Shirts vergriffen.
Wer noch eines bekommen möchte, sollte sich ranhalten.
Denn sie sind wirklich kleidsam wie diese Bilder zufriedener „Kunden“ beweisen:

Die Größen Girly M, S – L sind NOCH zu haben.
Alle Details zu den t-Shirts sind auch nochmal hier zu finden.

Es wird ja auch für einen guten Zweck bestimmt sein, was uns auch schon zum Thema bringt:
Das Antizig-Team würde sich über Ideen und Anregungen freuen, für welche Gruppen oder Projekte das Plus der T-Shirts verwendet werden soll.
Solange es keine zu trockene Theoriearbeit wird sind alle Vorschläge willkommen. Es sollte jedoch dem praktischen Leben von Menschen die von antiziganistischer Ausgrenzung betroffen sind weiterhelfen.

Vorschläge bitte an: antizig [at] arcor [dot] de

Filmkritik „Revision“

Am 29. Juni 1992 gegen 3.45 Uhr wurden in Nadrensee (Mecklenburg-Vorpommern) an der polnisch-deutschen Grenze die zwei rumänischen Roma-Männer Grigore Velcu und Eudache Calderar aus einer größeren Gruppe von „illegalen“ Grenzüberquerern von Jägern, darunter dem Polizisten Heinz Katzer, erschossen. Nach der Revolution 1989 in Rumänien ging die Familie Velcu nach Deutschland, wo sie in Gelbensande in einem Asylbewerberheim lebten. Als Grigore Velcus Mutter starb, wurde sie auf dem Dorffriedhof begraben; das Grab wurde 1992 mehrmals geschändet. Um die nötigen Papiere für die Überführung nach Rumänien zu besorgen, fuhr ihr Sohn nach Rumänien zurück, obwohl er das nicht durfte. Bei der Rückkehr wurden er und sein Freund ermordet. Eines der Opfer starb durch einen gezielten Kopfschuss.
Revision Filmplakat
Dem neu in die Kinos gekommenen Film „Revision“ kommt der Verdienst zu, diesen Fall und seine skandalösen Begleitumstände neu aufzurollen. Dafür haben die Filmmacher Interviews mit den Familien-Angehörigen der Opfer, mit den damals zuständigen Behörden, dem Anwalt des Haupttäters und weiteren Zeugen geführt. Erst durch die Interviews erfuhren die beiden Opfer-Familien Calderar und Velcu aus Rumänien davon, dass niemand wegen des Doppelmords an ihren Vätern bzw. Ehemännern bestraft wurde.

Durch den Film wird schnell klar, dass die Ermittlungen extrem unmotiviert abliefen und offenbar gezielt verschleppt wurden. Offensichtlich wurde die Tat nicht als Doppelmord an zwei Menschen wahrgenommen, sondern als Unfall, dem „nur“ zwei fremde Flüchtlinge zum Opfer gefallen sind.
Das fängt schon damit an, dass die Tat in einer ersten dpa-Meldung als „Jagdunfall“ bezeichnet wurde. Hier steuert der Film gut gegen die offizielle Version von der Tat an. Die Filmemacher stellen die Szene nach und beweisen, dass die Jäger die aufrecht gehende Menschengruppe aus der Entfernung über ihre Zielfernrohre kaum mit Wildschweinen verwechselt haben dürften. Dieses Verteidigungsbehauptung vor Gericht, wirkt somit nur wenig glaubhaft. Hinzu kommt nach, dass der Todesschütze, Heinz K., als Jagdpächter wusste, dass es in dieser Zeit zu vielen Grenzübertritten kam, weswegen sich sich andere Jäger dazu entschlossen hatten ganz auf die Jagd zu verzichten. Die anderen beiden Jäger aus der Gruppe befanden sich auf einer organisierten Jagdreise, wofür sie am Morgen nach der Tat mit Heinz K. noch die Kosten abrechneten. Erst Tage später wurden die Jäger verhaftet. Der Jäger Gerhard R. wurde festgenommen und kam einen Tag in Haft, Heinz K. vier Tage und der dritte Jäger überhaupt nicht.
Zwei Jahre nach der Tat, im Jahr 1994, kam es zu einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Dieses Verfahren sollte 1995 eingestellt werden, wozu es aber durch eine kritische Berichterstattung nicht kam. So folgte 1996 dann doch noch eine Hauptverhandlung. Lakonisch wurde hier festgestellt, dass die rumänischen Zeugen „nicht erreichbar“ gewesen wären; in Wahrheit hatte sie niemand ernsthaft versucht zu erreichen. Eine Optikerin als Sachverständige gab in dem Prozess an, dass eine Verwechslung über Zielfernrohr eigentlich nicht möglich gewesen sei. Dann wurde der Prozess erneut verschleppt, weil ein neues Gutachten verlangt wurde. Dieses neue Gutachten wurde erst 1999 erstellt. Am 20. Oktober 1999 wurden die Angeklagten dann freigesprochen. Eine Berufung wird am 24. Januar 2002 verworfen.

Die ermittelnden Behörden selbst leisteten kaum Aufklärungsarbeit. Der Tatort, ein Weizenfeld, wird sogar ohne Spurensicherung umgepflügt. Außerdem hatten evtl. Unbekannte, möglicherweise die Täter vorsätzlich um ihre Tatspuren zu verwischen, das Feld in Brand gesetzt. Jedenfalls wird berichtet, wie plötzlich das Feld in Flammen gestanden habe.
Zeugenberichte legen zudem nahe, dass einer der Angeschossenen noch lebte, als die Feuerwehr am Tatort eintraf. Eventuell war hier unterlassene Hilfeleistung im Spiel.
Es gab 37 Tatzeug_innen aus der Gruppe der Flüchtlinge, von denen aber keine_r verhört wurde, obwohl von den 20 von der Polizei Verhafteten, mehrere von der Tat berichteten. Stattdessen wurden alle abgeschoben. Diese Abschiebungen von rumänischen Flüchtlingen wurden damals rigoros gehandhabt. Im Jahr 1993 handelte die Bundesrepublik mit Rumänien ein offizielles „Rückübernahmeabkommen“ aus.

Interessant ist, dass einer der Tatzeugen im Interview davon berichtet, dass er beim Mord ein Polizeifahrzeug gesehen habe, auf dessen Motorhaube jemand mit einem Gewehr gelegen hätte. Diese Version der Tat, taucht, im Gegensatz zu der Jäger-Geschichte, an keiner anderen Stelle auf. Leider fragt der Interviewer hier nicht nochmal nach.
Der, aller Wahrscheinlichkeit nach, gezielte Doppel-Mord fand in einem besonders aufgehetzten und rassistischen Klima statt. Im Film wird auch das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen erwähnt. Ein Zeuge berichtet von den Zuständen an der „Zentralen Aufnahmestelle“ in Rostock-Lichtenhagen. Der Zeuge berichtet auch davon, dass er damals zusammengeschlagen wurde.
In dem Film werden allerdings die damaligen Medien-Diskurse über Flüchtlinge („Asyldebatte“) kaum erwähnt.

Interessant ist die Technik des Dokumentar-Films. Die aufgenommenen Gespräche werden nämlich den interviewten Personen noch einmal vorgespielt und sie beim Zuhören ihrer Aussagen und Kommentare gefilmt.
So bekommt man auch den Anwalt des Hauptangeklagten zu Gesicht, wie er sich selbst zuhört, als er trocken meint, dass sein Mandant seine Haftpflichtversicherung über den Fall informiert habe, wegen „etwaiger Schäden“. Erstens klingt das wie ein Auto-Unfall und zweitens hat damals niemand die Familien wegen möglicher „Entschädigungen“ informiert, obwohl die Adressen in den Akten zu finden war.
Im Gegensatz zu den Ermittlungen, spielen die Familien in dem Film eine große, ja sogar die Hauptrolle. So berichten Familien-Angehörige über ihre Gründe nach Deutschland zu gehen:
„Damals war es unmöglich in Rumänien zu leben.“ Gemeint ist wohl das antiziganistische Klima. Das einige ihre Familie mitnahmen hatte auch gute Gründe: „Wie alle Eltern wollte er seine Familie dahin bringen, wo es besser ist.“
Am Treffendsten erscheint ein Interview-Satz in der Doku: „Man stelle sich vor eine Gruppe von Sinti und Roma hätte zwei Deutsche erschossen.“

Mehr unter: www.revision-film.eu

LESETIPP: Artikel „Zur antiziganistischen Dimension des Pogroms“

Dieses Jahr jährt sich das rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal. Dazu rufen Antifa- und Antira-Kreise am 25. August zu einer großen Gedenk-Demonstration in Rostock auf. Bei dem, durchaus auch selbstkritischen, Rückblick fiel leider immer wieder die antiziganistische
Dimension des Pogroms unter den Tisch. Genau diesem Aspekt widmet sich ein sehr lesenswerter Artikel im aktuellen Antifa-Infoblatt Nr. 95 – 2.2012 (Seite 16-19). Der Artikel fällt zunächst durch seine differenzierte Antiziganismus-Definition auf:
„Der Antiziganismus kann nicht nur als eine Form des Rassismus verstanden werden: Es sind Zuschreibungen vor allem gegenüber Sinti und Roma, wie beispielsweise eine natürliche Veranlagung zur Kriminalität, Primitivität, Kulturlosigkeit, Nicht-Sesshaftigkeit sowie Faulheit bzw. Müßiggang, die ihn ideologisch in die Nähe des Rassismus rücken, sich aber in der Zuweisung an Sinti und Roma verdichten. Diese Zuschreibung gelten als unveränderliche Wesensarten der so Rassifizierten, treten selten alleine auf und verstärken sich gegenseitig.“ (Seite 17)
Besonders der „Vorwurf der Primitivität“ und die Fehlinterpretation von Armut bzw. Notlage als Lebensart bzw. Natur waren in Rostock zu finden. Roma aus Rumänien erregten durch ihre sichtbare Armut die rassistischen Gemüter. An ihnen arbeitet sich zuerst der rassistische Volkszorn ab. Am Schluss werden auch Vietnames_innen und ihre Kinder Opfer des Rassismus: „Wenn auch zunächst dominierenden Zuschreibungen dem Bereich antiziganistischer Imaginationen zuzuordnen sind, so verschob sich diese Spezifik im Laufe des Pogroms zu einem generellen Rassismus.“ (Seite 19)

Getroffene Hunde bellen!

Auf diesem Blog gaben bereits mehrmals Antiziganist_innen Kommentare ab. Wir bedanken uns herzlich für diese Aufmerksamkeit, die uns in unserer Arbeit noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Wer Kommentare wie „Gute Idee mit dem Zigeunerbesen! Scheiß Zigeuner raus und euch Ziganismus-Idioten gleich hinterher!“ oder „Antiziganismus* ist der Unwille, sich penetrant anschnorren oder beklauen zu lassen. Mehr oder minder alberne Neologismen kommen meist von den Kohnnationalen [Anmerkung: „Kohn“ ist ein bekannter jüdischer Name, in diesem Fall offenbar der Bestandteil einer Vokabel aus antisemitischen Verschwörungsfantasien]…“ verfasst, der zeigt, dass wir uns diesen Hass ehrlich verdient haben.
In diesem Sinne: Dankeschön!!! Küsst die Antiziganist_innen da wo ihr sie trefft!