Filmkritik „Revision“

Am 29. Juni 1992 gegen 3.45 Uhr wurden in Nadrensee (Mecklenburg-Vorpommern) an der polnisch-deutschen Grenze die zwei rumänischen Roma-Männer Grigore Velcu und Eudache Calderar aus einer größeren Gruppe von „illegalen“ Grenzüberquerern von Jägern, darunter dem Polizisten Heinz Katzer, erschossen. Nach der Revolution 1989 in Rumänien ging die Familie Velcu nach Deutschland, wo sie in Gelbensande in einem Asylbewerberheim lebten. Als Grigore Velcus Mutter starb, wurde sie auf dem Dorffriedhof begraben; das Grab wurde 1992 mehrmals geschändet. Um die nötigen Papiere für die Überführung nach Rumänien zu besorgen, fuhr ihr Sohn nach Rumänien zurück, obwohl er das nicht durfte. Bei der Rückkehr wurden er und sein Freund ermordet. Eines der Opfer starb durch einen gezielten Kopfschuss.
Revision Filmplakat
Dem neu in die Kinos gekommenen Film „Revision“ kommt der Verdienst zu, diesen Fall und seine skandalösen Begleitumstände neu aufzurollen. Dafür haben die Filmmacher Interviews mit den Familien-Angehörigen der Opfer, mit den damals zuständigen Behörden, dem Anwalt des Haupttäters und weiteren Zeugen geführt. Erst durch die Interviews erfuhren die beiden Opfer-Familien Calderar und Velcu aus Rumänien davon, dass niemand wegen des Doppelmords an ihren Vätern bzw. Ehemännern bestraft wurde.

Durch den Film wird schnell klar, dass die Ermittlungen extrem unmotiviert abliefen und offenbar gezielt verschleppt wurden. Offensichtlich wurde die Tat nicht als Doppelmord an zwei Menschen wahrgenommen, sondern als Unfall, dem „nur“ zwei fremde Flüchtlinge zum Opfer gefallen sind.
Das fängt schon damit an, dass die Tat in einer ersten dpa-Meldung als „Jagdunfall“ bezeichnet wurde. Hier steuert der Film gut gegen die offizielle Version von der Tat an. Die Filmemacher stellen die Szene nach und beweisen, dass die Jäger die aufrecht gehende Menschengruppe aus der Entfernung über ihre Zielfernrohre kaum mit Wildschweinen verwechselt haben dürften. Dieses Verteidigungsbehauptung vor Gericht, wirkt somit nur wenig glaubhaft. Hinzu kommt nach, dass der Todesschütze, Heinz K., als Jagdpächter wusste, dass es in dieser Zeit zu vielen Grenzübertritten kam, weswegen sich sich andere Jäger dazu entschlossen hatten ganz auf die Jagd zu verzichten. Die anderen beiden Jäger aus der Gruppe befanden sich auf einer organisierten Jagdreise, wofür sie am Morgen nach der Tat mit Heinz K. noch die Kosten abrechneten. Erst Tage später wurden die Jäger verhaftet. Der Jäger Gerhard R. wurde festgenommen und kam einen Tag in Haft, Heinz K. vier Tage und der dritte Jäger überhaupt nicht.
Zwei Jahre nach der Tat, im Jahr 1994, kam es zu einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Dieses Verfahren sollte 1995 eingestellt werden, wozu es aber durch eine kritische Berichterstattung nicht kam. So folgte 1996 dann doch noch eine Hauptverhandlung. Lakonisch wurde hier festgestellt, dass die rumänischen Zeugen „nicht erreichbar“ gewesen wären; in Wahrheit hatte sie niemand ernsthaft versucht zu erreichen. Eine Optikerin als Sachverständige gab in dem Prozess an, dass eine Verwechslung über Zielfernrohr eigentlich nicht möglich gewesen sei. Dann wurde der Prozess erneut verschleppt, weil ein neues Gutachten verlangt wurde. Dieses neue Gutachten wurde erst 1999 erstellt. Am 20. Oktober 1999 wurden die Angeklagten dann freigesprochen. Eine Berufung wird am 24. Januar 2002 verworfen.

Die ermittelnden Behörden selbst leisteten kaum Aufklärungsarbeit. Der Tatort, ein Weizenfeld, wird sogar ohne Spurensicherung umgepflügt. Außerdem hatten evtl. Unbekannte, möglicherweise die Täter vorsätzlich um ihre Tatspuren zu verwischen, das Feld in Brand gesetzt. Jedenfalls wird berichtet, wie plötzlich das Feld in Flammen gestanden habe.
Zeugenberichte legen zudem nahe, dass einer der Angeschossenen noch lebte, als die Feuerwehr am Tatort eintraf. Eventuell war hier unterlassene Hilfeleistung im Spiel.
Es gab 37 Tatzeug_innen aus der Gruppe der Flüchtlinge, von denen aber keine_r verhört wurde, obwohl von den 20 von der Polizei Verhafteten, mehrere von der Tat berichteten. Stattdessen wurden alle abgeschoben. Diese Abschiebungen von rumänischen Flüchtlingen wurden damals rigoros gehandhabt. Im Jahr 1993 handelte die Bundesrepublik mit Rumänien ein offizielles „Rückübernahmeabkommen“ aus.

Interessant ist, dass einer der Tatzeugen im Interview davon berichtet, dass er beim Mord ein Polizeifahrzeug gesehen habe, auf dessen Motorhaube jemand mit einem Gewehr gelegen hätte. Diese Version der Tat, taucht, im Gegensatz zu der Jäger-Geschichte, an keiner anderen Stelle auf. Leider fragt der Interviewer hier nicht nochmal nach.
Der, aller Wahrscheinlichkeit nach, gezielte Doppel-Mord fand in einem besonders aufgehetzten und rassistischen Klima statt. Im Film wird auch das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen erwähnt. Ein Zeuge berichtet von den Zuständen an der „Zentralen Aufnahmestelle“ in Rostock-Lichtenhagen. Der Zeuge berichtet auch davon, dass er damals zusammengeschlagen wurde.
In dem Film werden allerdings die damaligen Medien-Diskurse über Flüchtlinge („Asyldebatte“) kaum erwähnt.

Interessant ist die Technik des Dokumentar-Films. Die aufgenommenen Gespräche werden nämlich den interviewten Personen noch einmal vorgespielt und sie beim Zuhören ihrer Aussagen und Kommentare gefilmt.
So bekommt man auch den Anwalt des Hauptangeklagten zu Gesicht, wie er sich selbst zuhört, als er trocken meint, dass sein Mandant seine Haftpflichtversicherung über den Fall informiert habe, wegen „etwaiger Schäden“. Erstens klingt das wie ein Auto-Unfall und zweitens hat damals niemand die Familien wegen möglicher „Entschädigungen“ informiert, obwohl die Adressen in den Akten zu finden war.
Im Gegensatz zu den Ermittlungen, spielen die Familien in dem Film eine große, ja sogar die Hauptrolle. So berichten Familien-Angehörige über ihre Gründe nach Deutschland zu gehen:
„Damals war es unmöglich in Rumänien zu leben.“ Gemeint ist wohl das antiziganistische Klima. Das einige ihre Familie mitnahmen hatte auch gute Gründe: „Wie alle Eltern wollte er seine Familie dahin bringen, wo es besser ist.“
Am Treffendsten erscheint ein Interview-Satz in der Doku: „Man stelle sich vor eine Gruppe von Sinti und Roma hätte zwei Deutsche erschossen.“

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