Category Archives: Antiziganistische Klischees

Hetze gegen Roma nach Corona-Ausbruch in Berlin: „Als ob die Menschen ein Verbrechen begangen hätten“

Seitdem über Corona-Fälle berichtet wurde, sehen sich Roma in einem Berliner Wohnblock rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Der Prokurist der Wohnungsgesellschaft ärgert sich über die Stigmatisierung der Betroffenen.

DOMRADIO.DE: Bringen Sie uns kurz auf den Stand der Dinge. Was genau ist in der Harzer Straße los? Steht da nun der ganze Wohnblock unter Quarantäne, wie berichtet wurde?

Benjamin Marx (Prokurist der katholischen Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft): Die Berichterstattung über die Harzer Straße ist fremdbestimmt. Man hat hier eine ganz andere Wahrnehmung. Die Häuser selber, die Wohnblocks, stehen nicht unter Quarantäne. Unter Quarantäne stehen lediglich die Haushalte, in denen Menschen positiv auf Corona getestet wurden.

DOMRADIO.DE: Was ärgert Sie genau daran, wie die Boulevardpresse über die Corona-Fälle in der Harzer Straße schreibt?

Marx: Die Boulevardpresse hat hier etwas entdeckt und denkt, man kann die Menschen mit dem Thema stigmatisieren. Die Menschen hier sind in Quarantäne. Sie können nicht einmal mehr ihre Fenster öffnen. Denn wenn sie ihre Fenster öffnen, dann werden sie sofort von Journalisten mit Fragen konfrontiert. Es ist extrem schwierig. Es ist so, als ob die Menschen ein Verbrechen begangen hätten. Sie sind schlicht an einem Virus erkrankt, sonst nichts.

Erstaunlich ist auch, dass man gerade darüber spricht. Wir haben hier 57 positive Testergebnisse in 137 Wohnungen. In Berlin gibt es etliche tausend positive Testergebnisse, über die kein Mensch spricht.

DOMRADIO.DE: Das ist das Schüren alter Klischees: Roma gleich schmutzig, gleich krank und daran sind sie auch noch selber schuld?

Marx: Ja, das ist tatsächlich so. Der „Cicero“ (politische Magazin, Anm d. Red.) hat ganz aktuell einen Aufmacher über „Roma-Bashing“ gemacht. Weil man keinen Müll an den Häusern gefunden hat, wurden sie von einer öffentlichen Grünanlage, an der sich Müll gestapelt hat, fotografiert.

DOMRADIO.DE: Sie haben mit den Betroffenen gesprochen. Wie geht es den Menschen, wie gehen sie mit der Situation um?

Marx: Die Menschen sind total verunsichert, weil auch in der Pressekonferenz des Bezirksamts davon gesprochen wurde, dass man ja auch mit Hundertschaften diese Quarantäne durchsetzen kann. Dinge, die absolut nicht notwendig sind. Die Menschen gehen ganz verantwortlich damit um. Ich war mit dem Bezirksbürgermeister, Martin Hikel, vor Ort gewesen. Da standen alle Bewohner vorbildlich in einem Mindestabstand von zwei Metern zueinander, alle trugen eine Maske. Herr Hikel hat sich für die Kommunikation mit den Menschen ganz formal entschuldigt.

DOMRADIO.DE: Meinen Sie, dass es schon etwas gebracht hat, dass Sie auch Kommunalpolitiker wie den Bezirksbürgermeister getroffen haben? 

Marx: Ja, das hat eine Menge Entspannung gebracht. Es wurde ja auch berichet, dass die Roma angeblich Eier oder Tomaten geworfen haben. Ich kann verstehen, dass man aus Verärgerung so etwas macht. Aber man soll bitte keine Bilder liefern, die andere erwarten.

DOMRADIO.DE: Was zeigt dieser Fall über den Umgang der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit den Roma an sich?

Marx: Ja, das zeigt, dass die Roma einfach nicht dazu gehören. Man bezeichnet sie auch als Community. Und man sagt, die leben ja alle unter sich, und von daher können wir mit unserer Lockerung auch weiter umgehen und im Grunde kann man hier einen Zaun drumherum setzen. So ist auch der ganze Bereich unter Quarantäne gestellt worden, nach dem Motto: Wir stellen lieber den ganzen Block unter Quarantäne ehe wir irgendeine Schule schließen müssen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

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„Unser Dorf ist rechts“

In Heidelberg und Ulm laufen aktuell mehrere Gerichtsverfahren wegen Straftaten, bei denen eine rassistische Motivation vorliegt. An ihnen wird deutlich, welches Ausmaß rechte Gewalt in Baden-Württemberg hat.

Sechs junge Männer müssen sich aktuell vor dem Landgericht Heidelberg verantworten, weil sie bei einem Junggesellenabschied im September 2018 auf türkisch- und portugiesischstämmige Gäste einer Eisdiele in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) eingeschlagen haben sollen. Mehrere Besucher des Eiscafés erlitten bei dem brutalen Angriff Prellungen und Hautabschürfungen, einem Vater wurde eine Bierflasche auf dem Kopf zerschlagen. Laut Zeugen sollen die Angeklagten „Heil Hitler“ gerufen und den Hitler-Gruß gezeigt haben. Aufgrund von Hygienemaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stand zunächst nur die eine Hälfte der Angeklagten – drei Brüder – vor Gericht. Sie haben die Tat gestanden, den politischen Hintergrund der Tat leugnen sie jedoch. Demnach wären die rechten Parolen von den anderen drei Verdächtigten gerufen worden, die erst in ein paar Monaten vor dem Richter erscheinen müssen.

Unter den mutmaßlichen Tätern befindet sich auch ein Mann, der zum Zeitpunkt des Angriffs als Mechaniker bei der Polizei angestellt war. Der Polizeimitarbeiter ist nach Angaben des Innenministeriums mit sofortiger Wirkung freigestellt und von sämtlichen Aufgaben entbunden worden. Neben dieser Verbindung eines Angeklagten in den Polizeiapparat sollte vor allem alarmieren, dass die Medien nach der Tat meist über eine „Massenschlägerei“ berichtet haben. Bei den LeserInnen konnte so der Eindruck entstehen, dass ein Teil der Schuld auf Seiten der Opfer zu finden sei. Der erste Prozesstermin hat diese Darstellung eindeutig widerlegt. Trotzdem ist in der Berichterstattung des SWR noch immer die Rede von einer Schlägerei und nicht konsequent von einem rassistisch motivierten Angriff.

„Die denken alle so“

Ende Mai 2019 standen auf einer Wiese am Ortsrand von Erbach-Dellmensingen bei Ulm mehrere Wohnwagen, die von Roma-Familien bewohnt wurden. Gegen 23 Uhr ist aus einem Kleinwagen eine brennende Fackel auf einen Wohnwagen geschleudert worden, in dem eine junge Frau mit ihrem Kleinkind geschlafen hat. Die Insassen des Autos sollen dabei „Zigeuner, ihr seid hier nicht willkommen“ gerufen haben. Da die brennende Fackel ihr Ziel knapp verfehlte, wurde kein Schaden angerichtet. Wegen versuchten Mordes müssen sich für diese Tat seit vergangener Woche fünf junge Männer vor der Jugendkammer des Landgerichts Ulm verantworten.

Die Angeklagten, von denen vier weiterhin in Untersuchungshaft sitzen, sollen der Fanszene des Fußballvereins SSV Ulm 1846 angehören. Dort wurde vom Fanclub Donau Crew (DC08) bei einem Pokalspiel gegen den 1. FC Heidenheim ein Solidaritäts-Banner mit der Aufschrift „Eingesperrte immer bei uns, stark bleiben Jungs! DC08“ hochgehalten. Dieses Banner wurde kurz nach der Verhaftung der jungen Männer gezeigt, die für den Brandanschlag verantwortlich sind. Am ersten Verhandlungstag haben die Verdächtigen ihre Tat gestanden, den politischen Hintergrund jedoch relativiert. Ebenso unglaubwürdig wie diese Distanzierung von rechten und rassistischen Einstellungen wirkt auf die Beobachter des Prozesses auch die Behauptung, die Gruppe hätte ihre Fackel bewusst auf die Wiese geworfen, den Wohnwagen somit absichtlich verfehlt.

Als die Angeklagten mit Bildern aus ihren Handys konfrontiert werden, auf denen sie vor einer Flagge des deutschen Reiches den Hitlergruß zeigen, meint einer der jungen Männer, dass vergleichbare Aufnahmen bei jedem Zweiten im seinem Dorf zu finden seien. Laut Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg, haben die Täter bewusst das Ziel verfolgt, die Roma-Familien aus der Ortschaft zu vertreiben. Dabei habe die Dorfgemeinschaft eine zentrale Rolle gespielt: „Der Brandanschlag basiert auf pauschalen und platten Vorurteilen über Sinti und Roma, die in der Dorfgemeinschaft zirkulieren. In Erbach-Dellmensingen ist Antiziganismus in der Mitte der Gesellschaft verankert. Einer der Angeklagten hat offen gesagt: ‚Unser Dorf ist rechts. Die denken alle so.‘ Somit haben die jungen Leute im Grunde jene Erwartungshaltung umgesetzt, die von der Dorfgemeinschaft an sie gerichtet wurde.“

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert, dass antiziganistische Straftaten besser dokumentiert und verfolgt werden. So sei die Hemmschwelle, Sinti und Roma in Deutschland anzugreifen, sehr niedrig. Dennoch wird Antiziganismus – die Ablehnung von Sinti und Roma – erst seit drei Jahren als eigenständige Kategorie in der polizeilichen Statistik für politisch motivierte Kriminalität erfasst. Seitdem sind die Fallzahlen kontinuierlich angestiegen, Daniel Strauß weist jedoch auf ein großes Dunkelfeld hin. Um Vorurteile gegenüber Sinti und Roma abzubauen, bedarf es aus seiner Sicht einer intensiveren Verankerung des Themas im Lehrplan: „Neben dem nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma und dem gegenwärtigen Antiziganismus müssen an den Schulen auch die geschichtlichen und kulturellen Leistungen der Minderheit thematisiert werden, damit andere Bilder über Sinti und Roma entstehen. Die jungen Leute, die in Ulm vor Gericht stehen, haben die pauschalsten und plattesten Vorurteile im Kopf.“

Schüsse auf eine Gruppe nigerianischer Männer

Wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Besitz von Munition lief am vergangenen Freitag vor dem Amtsgericht Ulm ein weiteres Verfahren. Angeklagt war ein 51-jähriger Mann, der im August vergangenen Jahres vor dem Bürgerhaus Mitte in der Ulmer Schaffnerstraße ein Treffen nigerianischer Männer attackierte. Bis zu dieser Tat war er als Bote der Stadtverwaltung tätig. Bewaffnet hatte er sich laut Augenzeugen mit einem Schlagring, einem Messer und einer Druckluftpistole, mit der er auf einen Deutschen nigerianischer Herkunft geschossen hat. Der Betroffene, der von seinen Freunden Toy genannt wird, wurde dabei an der Schulter verletzt.

Schon zuvor war der mutmaßliche Täter vor Ort mit rassistischen Äußerungen und Drohungen gegen Migranten aufgefallen. Gegenüber einer Mitarbeiterin des Bürgerhauses hat er unter anderem mit einer Rockergang gedroht, wenn sich weiterhin migrantische Gruppen in den Räumlichkeiten des Gemeindezentrums treffen sollten. Für diese Taten wurde er zu 15 Monaten Haft auf Bewährung und 500 Euro Schmerzensgeld verurteilt. In die Urteilsfindung hat der Richter die politische Ausrichtung des Täters einbezogen, bei dem unter anderem eine Reichskriegsflagge und CDs von rechten Bands gefunden wurden. Obwohl der Täter nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, zeigt sich Toy mit der Entscheidung des Gerichts zufrieden. Angesichts seiner körperlichen Schäden hätte er sich jedoch ein deutlich höheres Schmerzensgeld gewünscht.

Da der Täter noch heute in unmittelbarer Nachbarschaft des Bürgerhauses wohnt, sorgen sich manche Nutzer vor weiteren Angriffen. Einige Teilnehmer der nigerianischen Gruppe haben die Gruppe sogar zwischenzeitlich verlassen, auch über räumliche Ausweichmöglichkeiten ist innerhalb der Gruppe diskutiert worden. Toy berichtet davon, dass er nach dem Vorfall große Angst gehabt habe, vor die Tür zu gehen. Trotzdem wolle er sich weiterhin im Bürgerhaus mit seinen Freunden treffen. „Wenn wir uns einen anderen Ort für unser Treffen suchen, hat der Täter sein Ziel erreicht“, meint er. Um dies zu verhindern, habe er sich mit seinen Freunden gegenseitig Mut gemacht, auch vom Bürgerhaus und antirassistischen Initiativen habe er viel Unterstützung erhalten.

Beobachtet wurde der Prozess von Mitgliedern der Initiative Schaffnerstraße, die sich für eine umfassende Aufklärung der Tat einsetzen. Sie kritisieren, dass die rassistische Tatmotivation in der ersten Pressemitteilung der Polizei nicht benannt wurde. Dort ist zunächst nur die Rede von einem Mann, der sich am Lärm durch eine Feier im Bürgerhaus gestört gefühlt habe. Diese Darstellungsweise wurde von einigen Medien zunächst ungeprüft wiedergegeben. Sowohl die rassistischen Äußerungen im Vorfeld der Tat wie auch der gezielte Angriff gegen Migranten sind darin nicht thematisiert worden. Aus einem Angriff, den die Betroffenen als rassistisch motiviert wahrnehmen, wurde demnach ein unpolitischer Streit über eine Ruhestörung.

Rassismus und rechte Gewalt klar benennen

Es sind häufig zivilgesellschaftliche Gruppen wie die Initiative Schaffnerstraße, die dafür sorgen, dass der politische Hintergrund in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dabei gab es bei allen drei rassistischen Gewalttaten, die nun in Baden-Württemberg zu Gerichtsprozessen geführt haben, von Anfang an genügend Anzeichen für eine politische Tatmotivation.

Gut darauf geachtet wurde beim Brandanschlag in Erbach-Dellmensingen, bei dem Polizei und Medien von Beginn an auf die antiziganistische Motivation hingewiesen haben. Nur wenn die politische Dimension einer Tat im Gerichtsverfahren deutlich wird, können die Gerichte die rassistischen Beweggründe strafverschärfend in ihre Urteilsfindung einbeziehen – wie es laut Strafgesetzbuch bereits seit Jahren der Fall sein soll.

Quelle: Kontext Wochenzeitung

Stand: 20.06.2020

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Getrennter Schulunterricht: Orbán will Entschädigung für Roma-Kinder verhindern

Getrennte Klassen, keine Teilnahme an Ausflügen und am Schwimmunterricht. Jahrelang wurden Roma-Kinder an einer Schule in Ungarn diskriminiert, bis ein Gericht ihnen Entschädigung zusprach. Doch Ministerpräsident Viktor Orbán will das verhindern.

Budapest, 23. Februar – Tausende von Menschen ziehen durch die Innenstadt, demonstrieren vor dem Obersten Gerichtshof und dem Parlament gegen die Diskriminierung von Roma: „Ein Ungarn – wir gehören hierher! Alle zusammen! Ein Ungarn, wir gehören hierher“, skandieren sie. Die Regierung müsse Gerichtsurteile, die zugunsten der Roma ausfallen, respektieren.

Gyöngyöspata, eine Kleinstadt, eine Autostunde nordöstlich von Budapest entfernt. Rund 2.500 Menschen leben hier, circa 20 Prozent gehören der Roma-Minderheit an. Unterhalb der historischen Dorfkirche zur Heiligen Jungfrau Maria liegt die Grund- und Hauptschule. Bis zur Pensionierung des alten Direktors im Jahr 2017 wurden hier Roma-Kinder von den übrigen Schulkindern getrennt. Die 21-jährige ehemalige Schülerin Nicolett erinnert sich: „Wir waren unten, im Erdgeschoss. Sie, die ungarischen Kinder waren oben, im ersten Stockwerk. Sie haben getrennte Jahrgänge für die Klassen 1, 2 und 3 gehabt.“ 

Roma-Kinder wurden systematisch von anderen Kindern getrennt

Eine richtige Schulausbildung habe sie nicht erhalten. Systematisch seien sie und die übrigen Roma-Kinder von „normalen“ Schülern getrennt worden: „Wir haben Mittagessen in einem getrennten Raum bekommen. Wir durften nicht ins Schwimmbad gehen. Wir duften nicht an Ausflügen oder Auftritten teilnehmen.“

Schon 2012 hatte das Landgericht Eger zugunsten der Kinder geurteilt: In Gyöngyöspata seien die Roma-Kinder rechtswidrig von den anderen Schulkindern getrennt worden. Die Stadt und die Schule gingen in Berufung und verloren, sieben Jahre später, auch diese Klage. Im Herbst 2019 gab das zuständige Bezirksgericht in Debrecen den 62 ehemalige Roma-Schüler recht: Die Roma hätten ihre ganze Schulzeit widerrechtlich in einer von den Nicht-Roma getrennten Schule verbringen müssen, sie hätten Unterricht auf niedrigerem Niveau erhalten und seien damit diskriminiert worden.

Orbán will Entschädigungszahlung an Roma verhindern

Den 62 ehemaligen Schülerinnen und Schülern stehe eine Entschädigungssumme in Höhe von insgesamt 100 Millionen Forint zu, umgerechnet rund 300.000 Euro. Das Geld könne ja wohl kaum ausgezahlt werden an Menschen, die dafür nicht gearbeitet hätten, kündigte Ministerpräsident Viktor Orbán Anfang Januar dieses Jahres auf einer Pressekonferenz für die Auslandspresse an: „Ich bin kein Einwohner von Gyöngyöspata. Aber wenn ich dort leben würde, würde ich mich fragen: Wie ist das denn eigentlich? Dass eine Gemeinde, die mit mir im selben Dorf lebt, zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gehört, eine erhebliche Summe bekommt, ohne jegliche Arbeit.“

„Wir fanden das ungerecht und empörend, dass er das vor dem obersten Gerichtshof überprüfen möchte,“ sagt die ehemalige Schülerin Nicolett. Gegen das Urteil des Bezirksgerichts ist die Kleinstadt Gyöngyöspata vor den Obersten Gerichtshof in Budapest gezogen, das Urteil wird im April erwartet. Die Stimmung im Dorf sei äußerst angespannt – sie, sagt Nicolett, und ihr Freund würden beschimpft: „Zum Beispiel, wenn wir ins Geschäft gehen, wurde ich einmal schon angegriffen und gefragt: Warum ich auf der Demonstration ein Gedicht zitiert habe. Oder mein Partner wurde von zwei alten Frau angebrüllt: Was er sich denn einbildet und dass die stinkenden Roma Geld kriegen.“

Bürgerbefragung zum Gerichtsurteil geplant

Géza Csemer, der Präsident der Roma Selbstverwaltung in Gyöngyöspata, erhielt anonymen Morddrohungen: Man werde ihm und den anderen zudem das Haus über dem Kopf anzünden. Dass es so weit gekommen sei, habe auch mit Orbáns Nein zum Gerichtsurteil zu tun: „Meiner Meinung nach ist es eine große Schande für das ganze Land. Wir haben es im Jahr 2020 erlebt, dass man Angst haben muss, obwohl in einem Rechtsstaat es die Entscheidung des Gerichtshofes gibt. Der Gerichtshof hat sein Urteil gefällt und die Leute haben jetzt Angst, das Geld anzunehmen.“

Die Orbán-Regierung lässt am 15. März „nationale Konsultationen“ durchführen, eine nicht verbindliche Befragung per Briefpost an alle Wählerinnen und Wähler, auch zu Gyöngyöspata. Denn das Urteil habe, Zitat „das Rechtsempfinden der Bürger“ verletzt.

Quelle: Deutschlandfunk

Stand: 09.03.2020

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Kreuzritter der weißen Utopie

Am Sonntag, den 16. Februar, just in der Stunde, in der Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine Rede zur Lage der Nation 2020 hielt und in der er wieder einmal seiner antiziganistischen und antisemitischen Hetze freien Lauf ließ, hielt die rechte Partei „Unsere Heimat“ (Mi Hazank) im Dorf Sály in Ostungarn einen antiziganistisch-rassistischen Aufmarsch ab. Sie marschiert immer wieder überall im Lande gegen den „Zigeunerterror“ und für ein „weißes Ungarn“ auf… Continue reading Kreuzritter der weißen Utopie

Schulische Segregation von Roma-Kindern

Aussagen Orbáns zum Debrecener Segretationsurteil negieren den Rechtstaat und sind eine Bedrohung für die Demokratie in Ungarn…

Anlässlich der alljährlichen Pressekonferenz von Ministerpräsident Viktor Orbán am 9. Januar 2020 stellte Orbán offen ein Urteil des Debrecener Berufungsgerichts in Frage, welches den ungarischen Staat bereits im September 2019 zu Schadenersatzzahlungen für die rechtswidrige segregierte Beschulung von Roma-Kindern im ostungarischen Ort Gyöngyöspata verurteilt hatte. Continue reading Schulische Segregation von Roma-Kindern

We are against the word „Zigeuner“

The word “Zigeuner” (“gypsy”) is derived from the Greek athinganoi, meaning “untouchable” and refers to the position of Roma within the Indian caste system. Already in the thirteenth century, this exonym was applied to “asocial elements” – for example, within the context of the first European “edict against the Gypsy plight”. For the Nazis, the term was synonymous with “unwertes Leben” (unworthy of life) and was widely circulated in Nazi mass propaganda. Even today, the word is still often used without thinking about it.

Harri Stojka with his sisters Sissi (right) und Doris Stojka. Photo: Reinhard Loidl

 

The aim of the campaign Ich bin gegen das Wort “Zigeuner” (“I am against the word ‘Zigeuner’”) is to knowingly present the term as what it actually is: a negative and clearly discriminatory term, which is offensive to Roma. At the same time, the project aims to dismantle and fight prejudices against Roma and Sinti.<a id="anchor-footnote-1" href="https://www.eurozine.com/we-are-against-the-word-zigeuner/?fbclid=IwAR3bUeZ64FwtN9zpZUepRaMl2I-1GWqvlH9SY6rJMf-zeUTH-M4IocB7kZw#footnote-1" data-trigger="manual" data-placement="bottom" data-toggle="popover" data-html="TRUE" data-content="Roma and Sinti are the largest ethnic minority in Europe There are between ten and twelve million Roma… „>1

The campaign was initiated by people closely associated with the Gipsy Music Association, and demands that “Zigeuner” disappear from media reports, product names, and ultimately from everyday use all together. They also point out that the majority of the Roma community in Austria does not want to be called “Zigeuner” and demand that this wish finally be respected. The correct term is “Roma and Sinti”.

It is true that some Roma do indeed call themselves “Zigeuner.” There are many reasons for this, the most important one being that the word “Zigeuner” means different things in different languages. Roma in Hungary and Romania proudly call themselves “Zigeuner”, while in Slovakia the same word means “thief”. However, even Roma are often unaware of its meaning and negative connotations. For this reason, the initiators stress the importance that the campaign target everyone: Roma as well as non-Roma.

Gilda-Nancy Horvath. Photo: Reinhard Loidl

A central element of the campaign are photos of people from politics, media and other fields, holding up signs with the hand-written words: “Ich bin gegen das Wort ‘Zigeuner’.” Support for the campaign has been surprisingly broad: over 1,000 people have allowed their photos to be taken. These photos have been displayed in various exhibitions, a book and a video, in addition to their use in public relations and media co-operations. The campaign also includes workshops, for example in schools that aim to dismantle the prejudices around the values, culture and images of Roma.

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„Widerwärtige Diffamierung“ Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kritisiert Fernsehreportage

Der Fernsehsender Sat.1 habe eine „Pseudo-Dokumentation“ ausgestrahlt, die „Hassrede und Gewalt gegen Minderheiten“ provoziere, so der Zentralrat.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat scharfe Kritik an einem Sat.1-Beitrag über Roma geübt. „Eine derartige pauschale Kriminalisierung und widerwärtige Diffamierung von Minderheiten wäre bislang gegenüber anderen Minderheiten unvorstellbar“, teilte der Zentralrat am Donnerstag mit.

Der TV-Beitrag aus der Reihe „Akte 20.19“ mit dem Titel „Roma: Ein Volk zwischen Armut und Angeberei“, der am Mittwoch (7. August) bei Sat.1 zu sehen war, sei rassistisch und bringe Roma-Gruppen immer wieder unter anderem mit Kriminalität in Verbindung, kritisierte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.

Der Sender mit Sitz in Unterföhring bei München wies die Kritik an dem Beitrag zurück: „Unsere aktuelle Reportage ist ein ausgewogener, journalistisch einwandfreier Bericht über mehrere Familien in Deutschland und Osteuropa“, sagte Sat.1-Sprecherin Diana Schardt. Gelungene Integration und Tradition seien darin ebenso Thema wie Armut, Diskriminierung und Kriminalität einzelner Familien

Quelle: Tagesspiegel

Stand: 14.08.2019

Vom Zigeunerschnitzel bis zum Igelgulasch | Stereotype in der Küche der Roma“

Heuer fand das internationale Kulturhistorische Symposion Mogersdorf bereits zum 50. Mal statt. Vertreter/Vetreterinnen der Länder Österreich, Ungarn, Kroatien und Slowenien fanden sich in der Gemeinde ein, um über das Thema „Karge Kost und Herrschaftstafel. Zur Ernährungssituation im pannonischen Raum“ zu diskutieren.

Die Literaturwissenschaftlerin Katharina Janoska hielt dabei einen Vortrag über Stereotype über Roma in der Küche und die Romaküche.

Anhand von zwei klassischen Beispielen – dem Zigeunerschnitzel und dem Igelgulasch – erklärte Janoska, welchen Stereotypen die Roma immer wieder unterlegen sind und immer noch unterliegen. Sie begann mit einem geschichtlichen Abriss, um zu erklären, wie „der Zigeuner“ im Laufe der Zeit zum „Produkt“ gemacht wurde, in der Realität, aber auch in Kunstformen wie in der Literatur, Operetten aber auch in der Popmusik.

Mit dem ersten Romani-Kongress 1971 wurde festgelegt, dass Roma die Bezeichnung für die Volksgruppe sein soll. Dass trotzdem und weiterhin die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ verwendet wird, ist ein Umstand, der nicht nachvollziehbar ist, so Janoska. Denn erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts begann man damit Zigeunerschnitzel oder -braten auf den Speisekarten zu finden. Vorher hießen diese Speisen einfach „Schnitzel mit/in Paprikasauce“. Eine Tendenz, die vermutlich auch mit der Entwicklung des burgenländischen Tourismus zu tun hat, so Janoska und zitiert einen Auszug aus dem Blog des Historikers Herbert Brettl.

Nicht nur das Zigeunerschnitzel ist ein rassistisch und stereotyp konnotierter Begriff. In der Küchensprache gibt es bis heute den Ausdruck „á la zingara“ italienisch für „zigeunerisch“. Dies bezeichnet traditionellerweise in der klassischen Küche eine bunte Garnitur. Angelehnt an die bunte Kleidung der Roma-Mädchen und –Frauen, wie sie zum Beispiel in der Oper Carmen von Georges Bizet von 1875 anzutreffen ist. Eine Darstellung, die das Bild der Roma in der Mehrheitsbevölkerung stark geprägt hat. Die eben erwähnten Bezeichnungen haben mit der Romaküche selbst nichts zu tun.

Das zweite Beispiel in Janoskas Vortrag ist das Igelgulasch. Ein Gericht, das aus der Armut der Roma heraus entstand. Roma lebten oft entfernt vom Zentrum und diskriminiert.

Sie hatten selten freien Zugang zu Lebensmitteln. Die Jagd war ihnen, bis auf das Niederwild, zu dem der Igel gehörte, verboten.

Nach einigen Forderungen von diversen Romavereinen – u.a. in Deutschland – an Großkonzerne, sie sollen ihre Fertigprodukte wie „Zigeunersauce“ umbenennen, stellte sich noch kein positives Ergebnis ein. Weiterhin wird das Zigeunerschnitzel auf den Speisekarten geführt, Zigeuneraufstrich oder -würstel und Zigeunersaucen in den Lebensmittelgeschäften verkauft.

Quelle: ORF.de

Stand: 16.07.2019

Studie: Sinti und Roma in Freiburg werden diskriminiert

Rund 2.500 Sinti und Roma leben in Freiburg und Umgebung. Eine aktuelle Studie lässt aufhorchen: Diskriminierung ist bei vielen allgegenwärtig. Doch wo findet die im Alltag eigentlich statt

Alteingesessene und Kriegsflüchtlinge, Menschen mit deutschem Pass und Menschen mit unsicherem Status zwischen Duldung und Aufenthalt. Sie alle waren angesprochen, als das Roma-Büro Anfang 2018 ein Projekt startete: Leiter Tomas Wald und sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragten Großfamilien von Sinti und Roma nach ihren Erfahrungen mit Rassismus. Nun liegt als Ergebnis eine Studie vor: der erste Roma / Sinti-Diskriminierungsbericht. Continue reading Studie: Sinti und Roma in Freiburg werden diskriminiert

Antiziganistischer Flaschenwurf: 10 Monate Haft – Rechtsrock-Klingelton im Gerichtssaal

Wegen eines antiziganistisch motivierten Flaschenwurfs wurde ein 24-jähriger Berliner heute, am 16.10.18, zu einer zehnmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Ein Mitangeklagter 20-Jähriger, auf den das Jugendstrafrecht angewandt wurde, muss für eine Woche in Arrest. Die beiden waren nach Ansicht des Gerichts die Rädelsführer einer Gruppe von etwa 15 Personen, die am späten Abend des 24.11.2017 einen Zirkus in Berlin-Adlershof angriff und die Mitglieder des Familienbetriebs antiziganistisch beschimpfte, bedrohte und mit Flaschenwürfen attackierte. Da die Flaschen die Opfer nicht trafen, wurden die Angeklagten wegen versuchter gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung bestraft.

Am Abend des 24.11. traf sich der verurteilte 24-jährige John R. mit Freunden, den Mitangeklagten Nico W. (20 J.) sowie Michel S. (25 J.), an einem Supermarkt nahe des Zirkus, um gemeinsam zu Trinken und “ein bisschen zu feiern”. Bereits eine Woche zuvor war nach Zeugenaussagen aus einer ähnlichen Runde, die R. anführte, der Zirkus mit Knallkörpern angegriffen worden.

W. und S. entschlossen sich im Verlauf des Abends, gegen die Zirkuswagen zu urinieren und schlugen massiv gegen eine der Türen. Als deren Besitzer herauskam, wurde er von R. mit der Frage begrüßt, ob er sich noch an ihn erinnere und beschimpft.

Zur Auseinandersetzung stießen zwei weitere Mitglieder des Zirkus und etwa ein Dutzend Freunde der Angreifer hinzu, die sich in der Nähe aufhielten. Neben Beleidigungen wie “Zigeunerpack” drohten Teile der angreifenden Gruppe auch, die Wagen in Brand zu stecken und die Mitglieder des Familienbetriebs “totzuschlagen”. Der Angeklagte S. räumte ein, “Naziparolen” gehört zu haben. Die Opfer der Attacke berichteten vor der Strafkammer des Amtsgericht Tiergarten von etwa sechs Bierflaschen, die auf sie geworfen worden seien. Einer der Würfe konnte R. zugeordnet werden. Ein weiterer, dem sein Opfer nur knapp ausweichen konnte, sei von einem Angreifer ausgeführt worden, der in einem gesonderten Verfahren strafrechtlich verfolgt wird. Die Angreifer flüchteten, nachdem die von den Opfern herbeigerufene Polizei eintraf.

John R. sprach einen der Betroffenen etwa eine Woche nach der Tat erneut vor dem Supermarkt an und drohte, dies sei “seine Stadt und sein Bezirk”. Alle Angeklagten stritten ab, selbst Flaschen geworfen zu haben.

Die Betroffenen, die im Verfahren als Zeugen auftraten, berichteten, noch nie derart massiv angegangen worden zu sein. Antiziganistische Beleidigungen seien hingegen an der Tagesordnung. Während ihres Aufenthalts in Adlershof hätten sie derartige Diskriminierungen aber besonders oft erdulden müssen. Von dem Angriff seien insbesondere die teils sehr jungen Kinder der Familie verängstigt gewesen, die mehrere Wochen unter Schlafstörungen gelitten hätten.

Für Nico W. forderte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von 6 Monaten auf Bewährung. Da er zum Tatzeitpunkt als Heranwachsender galt, musste entschieden werden, ob die Bestrafung nach dem Jugendstrafrecht noch in Frage käme. Der Vorsitzender Richter Günter Räcke entschied sich für dessen Anwendung und verurteilte W., gegen den in der Vergangenheit unter anderem wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (das Verfahren wurde eingestellt) und Körperverletzung ermittelt worden war, zu einem einwöchigen Arrest, damit er eine “Zellentür ohne Klinke einmal von innen sehen” und sich über sein künftiges Verhalten Gedanken machen könne. Im Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Gedanken an Sühne oder Abschreckung sollen bei der Strafzumessung keine Rolle spielen.

Über W.s politische Gesinnung und den Hintergrund der Tat gab ein Vorfall am Ende des Prozesses Aufschluss. Während des Schlusswortes der Staatsanwältin klingelte W.s Handy: zu hören war für einige Sekunden das Gitarrenintro des Lieds “Deutschland den Deutschen” der Band “Böhse Onkelz”.

John R. verbarg seinen Pullover der als rechts geltenden Band “Frei.Wild” erst nach mehrmaliger Aufforderung durch seinen Verteidiger.

Einer der Angeklagten nutzt mutmaßlich ein Facebook-Profil, bei dem er seinen Namen mit dem Zusatz “Arisch” versehen hat. Wie ein weiterer Angeklagter hat er NPD-Seiten mit “gefällt mir” markiert.

Bezüglich des einschlägig vorbestraften R. folgte das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft: Zehn Monate Haft ohne Bewährung. Die antiziganistische Attacke fiel außerdem in den Bewährungszeitraum einer sechsmonatigen Haftstrafe wegen Körperverletzung, deren Vollstreckung nun droht.

Der Mitangeklagte Michel S. wurde freigesprochen, da sich der Verdacht, unmittelbar an der Tat beteiligt gewesen zu sein, im Verfahren nicht bestätigte. Auch die Staatsanwaltschaft plädierte nach der Beweisaufnahme nur noch auf Freispruch.

Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig.

Quelle: JFDA
Stand: 26.10.2018