Zwei kurze Buchkritiken zur Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma

Das Pariser Zentrum für Sinti- und Romaforschung hat mit dem schmalen Band „Sinti und Roma unter dem Nazi-Regime. Von der „Rassenforschung“ zu den Lagern“ (Berlin, 1996) ein bemerkenswert detailreiches Buch herausgegeben, dass auch mit Originalquellen arbeitet.
Im Buch selbst werden die diversen Analogien von Antiziganismus und Antisemitismus betont. Beide Minderheiten stehen aus völkisch-nationalistischer Sicht dem Ideal der nationalkulturellen Homogenität im Weg.
Sinti und Roma dienten dazu auch noch als Objekte um von Staatsseite Einheit und Einheitlichkeit durchzusetzen, d.h. sie waren eine Minderheit, an der allen sozialen Randgruppen exemplarisch gezeigt wurde, wie mit ihnen verfahren wird, wenn sie sich nicht in die „Volksgemeinschaft“ integrieren: „Sinti und Roma dienten als Modelle zur Definition des Asozialen“ (Seite 12)
Als rassisch definierte Minderheit hatten die deutschen Sinti und Roma freilich nie diese Möglichkeit. Bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik gibt es eine Tradition der Verfolgung und Bevormundung von Sinti und Roma. Im Dritten Reich setzt dann ein „Völkermord auf Raten“ ein, mit Zwangssterilisierungen seit 1934 beginnt. Auch die Überwachung verschärft sich:

„Die Polizei ging von der traditionellen Überwachung der als suspekt geltenden mobilen Bevölkerung zu einer vorbeugenden Identitätskontrolle in den Städten über.“ (Seite 11)


Zwar gibt es starke Kontinuitäten von der Weimarer Republik zum Dritten Reich im Bereich der Behandlung der Sinti und Roma, aber es lassen sich auch Bruchstellen feststellen.
Im Nationalsozialismus wird nämlich schlicht das Existenzrecht negiert (Vernichtungswille), statt der in der Weimarer Republik zu findenden Rechtsgleichheit der Individuen, gibt es im Dritten Reich eine „Gleichheit der Rasse“.
So werden Sinti und Roma in „Zigeunerlagern“ konzentriert, die immer mehr von der Außenwelt isoliert werden, allerdings eine Zeit lang noch keine echten Konzentrationslager a la Buchenwald darstellten. Die Lager werden mit Verknappung der Arbeitskräfte nach 1939 verstärkt als Zwangsarbeiterreservoir genutzt.
Die „Zigeunerlager“ werden im Buch teilweise noch einmal einzeln vorgestellt. Viele finden sich im Ruhrgebiet, aber es gibt auch solche Lager in Ravensburg (1937-45), in Magdeburg (1936-43, auf der Ebendorfer Chaussee) oder in Neubrandenburg.
Während an einigen Orten Sinti und Roma zwangskonzentriert werden, werden sie anderswo verdrängt:

„In Freiburg wurde im Mai 1935 eine Vertreibung sämtlicher Sinti und Roma beschlossen, der seit Ende der zwanziger Jahre bestehende Wohnwagenstellplatz geschlossen und die dort lebenden Menschen aus der Stadt vertrieben.“ (Seite 47)

Schade, dass im Buch nicht erläutert wird, dass mit der NS-Bezeichnung „nach Zigeunerart Umherziehende“und „Zigeunermischlinge“ häufig Angehörige der Jenischen, einer soziokulturellen Minderheit, gemeint waren.

Till Bastian hat mit seinem kleinen Band „Sinti und Roma im Dritten Reich. Geschichte einer Verfolgung“ (Nördlingen, 2001) eine gute und lesenswerte Einführung zum Thema verfasst. Er liefert einen Abriss über die nationalsozialistische Vernichtung der Sinti und Roma in Europa. Auch die Beteilung von NS-Kollaborateuren findet Erwähnung, beispielsweise das vermutlich 30.000 „Zigeuner“ von den ungarischen Pfeilkreuzlern ermordet bzw. den Deutschen ausgeliefert wurden.