Category Archives: Geschichte des Antiziganismus

EU Kommission legt neue europäische Strategie zur gleichberechtigten Teilhabe von Sinti und Roma vor

Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt das Engagement gegen Antiziganismus

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt den heute von der Europäischen Kommission vorgelegten ‚Strategischen EU-Rahmen für die Gleichberechtigung, Inklusion und Partizipation von Sinti und Roma für 2020 bis 2030‘. Continue reading EU Kommission legt neue europäische Strategie zur gleichberechtigten Teilhabe von Sinti und Roma vor

Keine „Zigeunersauce“ mehr – Knorr ändert umstrittenen Produktnamen

Der Lebensmittelhersteller Knorr reagiert auf die Namenskritik an seiner „Zigeunersauce“. Künftig soll der Grill-Klassiker mit einem neuen Namen im Supermarktregal stehen.

Vor dem Hintergrund der Diskussion über rassistische Namen und Begriffe wird die „Zigeunersauce“ der Marke Knorr umbenannt. „In ein paar Wochen finden Sie diese als ‚Paprikasauce Ungarische Art‘ im Regal“, teilte der Mutterkonzern Unilever auf Anfrage der „Bild am Sonntag“ mit. „Da der Begriff „Zigeunersauce“ negativ interpretiert werden kann, haben wir entschieden, unserer Knorr Sauce einen neuen Namen zu geben.“

Woher stammt der Begriff?

Der Begriff „Zigeuner“ ist eine alte Sammelbezeichnung für verschiedene Volksgruppen, die sich wohl von Indien aus vor allem über Südosteuropa verbreiteten. Der Zentralrat der in Deutschland vor allem lebenden Volksgruppen Sinti und Roma nennt den Begriff „eine von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft, die von den meisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend abgelehnt wird“. Auch im öffentlichen Sprachgebrauch wird der Begriff so empfunden.

In der Küchentechnik wird der Begriff „Zigeunersauce“ bereits seit mehr als 100 Jahren verwendet. Im Nachschlagebuch für die klassische Küche von Escoffier ist er schon 1903 zu finden. Er bezeichnet eine würzige, scharfe Soße mit stückigen Einlagen und wird heute in der Regel aus Tomaten hergestellt, häufig mit Paprika, Zwiebeln, Essig und Gewürzen. Traditionell verbindet der Verbraucher die Soße mit der Geschmacksrichtung ungarisch und scharf. Nach Angaben von Sinti und Roma entstammt die Soße nicht ihrer Küche.

Über den Namen wird schon lange diskutiert

Der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma begrüßte die Entscheidung. „Es ist gut, dass Knorr hier auf die Beschwerden offenbar vieler Menschen reagiert“, sagte der Vorsitzende Romani Rose der Zeitung. Ihm selbst bereite allerdings der wachsende Antiziganismus in Deutschland und Europa größere Sorgen. „Für den Zentralrat sind vor diesem Hintergrund Zigeunerschnitzel und Zigeunersauce nicht von oberster Dringlichkeit.“ Viel wichtiger sei es, Begriffe wie „Zigeuner“ kontextabhängig zu bewerten, „wenn etwa in Fußballstadien ‚Zigeuner‘ oder ‚Jude‘ mit offen beleidigender Absicht skandiert wird“.

Die Diskussion über den Produktnamen „Zigeunersauce“ wird schon seit Jahren geführt. 2013 hatte Knorr eine Umbenennung noch abgelehnt. Auch der Zentralrat hatte damals vor einer dogmatischen Sprachregelung gewarnt und es abgelehnt, bei der Benennung der Sauce „Zigeuner“ etwa durch „Sinti und Roma“ zu ersetzen. Die generelle Debatte über diskriminierende Begriffe wird im Zuge der Rassismusdiskussion nach dem Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd in den vergangenen Monaten wieder heftiger geführt.

Quelle: t-online.de

Stand: 04.09.2020

Rezension: NICHTS GELERNT?! Konstruktion und Kontinuität des Antiziganismus

von Benjamin Horvath

Der vorliegende Sammelband von Katharina Peters und Stefan Vennmann beleuchtet die Situation von Rom*nja in Deutschland aus unterschiedlichen Perspektiven und leistet dabei einen guten Überblick über aktuelle Vorschungsansätze.

Dirk Wolff stellt das Projekt „AIDD – Angekommen in Duisburg und Dortmund“ vor. Der Bericht bietet einen interessanten Einblick in die Konzeption und Arbeit des Projekts und stellt damit eine gute Skizze für (mögliche) ähnliche Projekte in anderen Städten (bspw. Halle/Saale) mit nennenswertem Zuzug von Roma dar. Ein daraus resultierendes Netzwerk solcher Gruppen könnte zu einem nützlichen Informationsaustausch führen.

Wibke Kleina beschreibt in „Zwischen Passfähigkeit und Besonderung“ die Diskriminierung zugereister Roma im deutschen Schulsystem, dass ihnen die Geringschätzung von Schulbildung vorwirft, während eine Mehrzahl von Faktoren für mögliche schlechtere Leistungen ausgeblendet werden. Dieses von Lehrenden als auch höheren Entscheidungsträgern (wie einst, im Kontext einer Demo gegen die Abschiebung von Roma, aus dem Mund von Boris Palmer gehört) gehegte Stereotyp übersieht die mannigfachen Faktoren, die zu einem möglichen Fernbleiben vom Unterricht und möglicher schlechten Leistungen bei Roma-Kindern führen können. Leider ist zu befürchten, dass die angeführten Lösungsvorschläge, wie die gezielte Betreuung der Kinder, an der schlechten Finanzierung der Schulen in Deutschland und einem Mangel an Lehrenden (besonders in strukturschwachen Regionen) scheitern werden. Continue reading Rezension: NICHTS GELERNT?! Konstruktion und Kontinuität des Antiziganismus

Antiziganismus in Ungarn – Staatliche Schikane und strukturelle Diskriminierung

Antiziganismus, der strukturelle Hass und die strukturelle Diskriminierung von Sinti und Roma nimmt in ganz Europa zu. In Ungarn, wo Romnja und Roma seit Jahrhunderten leben, ist der Antiziganismus einerseits ein kulturelles Erbe, das nicht „aufgearbeitet“ wurde. Anderseits wird er seit 2010 von der Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán stark begefeuert. Die strukturelle Diskriminierung der Romnja und Roma wird dabei verschärft durch die so genannte „Roma-Strategie“ der Regierung aus dem Jahr 2011. Nicht selten fordert der tiefsitzende Antiziganismus in der Gesellschaft Opfer und Romnja und Roma werden von paramilitärischen Organisationen ermordet.

Adèle Cailleteau hat mit der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky über Antiziganismus in Ungarn gesprochen.

Quelle und Audiobeitrag: Radio Dreyeckland

Stand: 29.07.2020

Das Mahnmal bleibt! By any means necessary

Liebe Alle,

das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin ist in Gefahr. Seit ein paar Wochen gibt es Proteste. Wir möchten diese Proteste ausweiten – und zwar mit euch zusammen!

Darum rufen wir euch – Initiativen, Organisationen, künstlerische Einrichtungen und Einzelpersonen – auf, unseren Aufruf zu unterzeichnen. Bitte schreibt uns bis Dienstag, 7. Juli 2020,an mail@bundesromaverband.de um unsere Stellungnahme zu unterzeichnen. Sagt uns bitte genau, eure Namen und Titel, mit denen ihr darunter stehen wollt. Und bitte ladet weitere Menschen und Organisationen zur Unterzeichnung ein.

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Das Mahnmal bleibt! By any means necessary
Das zentrale »Mahnmal der im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas« ist durch Pläne der Deutschen Bahn bedroht. Eine Strecke der Berliner S-Bahn soll unter dem Mahnmal durchführen. Der Gedenkort soll (teilweise) entfernt und über viele Jahre gar nicht mehr zugänglich sein. Über 60 Jahre mussten Roma und Sinti um dieses Mahnmal und die mit ihm verbundene Anerkennung ihres Leids kämpfen.

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Mahnmal für ermordete Sinti und Roma: Eine gesellschaftliche Baustelle

Mehr als 500 Menschen demonstrierten in Berlin gegen Baupläne der Bahn, die das Mahnmal für Sinti und Roma einschränken könnten.

Als sich der Demozug in Bewegung setzt, wird sichtbar, wer alles gekommen ist, um gemeinsam mit den Selbstorganisationen der Sinti*zze und Rom*nja zu demonstrieren. Ihr Protest richtet sich am Samstag gegen Baupläne von Bundesregierung und Bahn, die den Tunnel für eine neue S-Bahn-Trasse ausgerechnet unter dem Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten entlang führen möchten. Die Initiativen befürchten daher, dass das Mahnmal im Zuge der Bauarbeiten gesperrt oder sogar teilweise abgebaut werden könnte.

Und sie sind mit dieser Sorge nicht allein: Während der Auftaktkundgebung hatten sich bereits laufend Demo-Teilnehmer*innen rechts und links vom Lautsprecherwagen dazugesellt. Und wie bei einem Fächer, der das ganze Bild erst im aufgespannten Zustand zeigt, reihen sich nun, als es losgeht, Einzelpersonen und als Gruppen erkennbare Teilnehmer*innen hinter dem Lautsprecherwagen ein, bald zieht sich der Zug vom Mahnmal bis zum Brandenburger Tor: Mehr als 500 Menschen sind gekommen – vor einer Woche, bei der ersten Kundgebung, die mehr Aufmerksamkeit auf die Baupläne und das Mahnmal lenken wollte, waren es rund 50 Menschen gewesen. Continue reading Mahnmal für ermordete Sinti und Roma: Eine gesellschaftliche Baustelle

Unser Denkmal ist euer Mahnmal!

Das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas ist in Gefahr. Die Deutsche Bahn will den Ort des Gedenkens durch den Bau einer S-Bahn zerstören. Das darf nicht sein. Das Denkmal ist unsere Erinnerung, es darf nicht beschädigt werden! Ebenso muss der Wald um das Mahnmal herum erhalten bleiben. Der Wald ist Teil des Mahnmals und symbolisiert einen Schutzort für die Menschen, die sich vor Verfolgung verstecken mussten. Wir leben in einer Zeit, in der der Rechtsruck sich durch Politik, Institutionen, Medien und durch die Köpfe vieler Menschen zieht. Es ist die Pflicht der kulturellen und politischen Einrichtungen, der Bewegungen und Initiativen und aller Menschen, das Mahnmal zu schützen.

Es wird viele Aktionen geben. Wir werden nicht schweigen. Wir rufen Alle auf, sich zu erheben. Schützt das Mahnmal! Das Mahnmal muss bleiben! Continue reading Unser Denkmal ist euer Mahnmal!

“We’re Not Coming Out!”: why the overlooked story of Romani Resistance Day still resonates in 2019

It’s been 75 years since Roma and Sinti people in Auschwitz-Birkenau decided to resist an attempt on their lives. But today, Romani people across Europe are still forced to fight for their humanity

On May 16th, 1944, the Auschwitz-Birkenau concentration camp saw a spark. That spark set a whole continent aflame.

That day, SS Guards surrounded the Zigeunerlager, or “Gypsy Camp,” at Auschwitz II–Birkenau with machine guns, ready to liquidate the camp and murder nearly 7,000 people.

The Roma and Sinti prisoners, however, despite being engulfed by the daily reality of death in the camp, chose life. When the SS commando unit called for Roma and Sinti to leave the residential blocks, they were met with prisoners who refused to come out, barricading the doors and fashioning work tools, handcuffs, knives, and rocks into weapons. Continue reading “We’re Not Coming Out!”: why the overlooked story of Romani Resistance Day still resonates in 2019

40. Jahrestag des Hungerstreiks von 12 deutschen Sinti in Dachau

 

Von links oben: Pepi Schopper, Brala Ernst, Wallani Georg; unten Romani Rose, Jakob Bamberger © Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Am Karfreitag 1980, dem 4. April, traten zwölf Sinti, unter ihnen die Überlebenden des Holocaust Jakob Bamberger, Hans Braun, Ranco Brandtner und Franz Wirbel, in der Evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau in den Hungerstreik. Zentrale Forderungen waren die Anerkennung des NS-Völkermords an den Sinti und Roma durch die Bundesregierung, die sofortige Beendigung der polizeilichen Sondererfassung von Sinti und Roma sowie die Herausgabe der NS-Akten aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt, die im Bayerischen Landeskriminalamt weiterhin verwendet worden waren. Der Protest löste eine breite internationale Solidaritätswelle aus und markierte einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Minderheit.

„Die Anerkennung des Völkermords an den Sinti und Roma am 17. März 1982 durch Bundeskanzler Helmut Schmidt stellte die Erfüllung einer zentralen Forderung des Hungerstreiks dar. Diese völkerrechtliche Anerkennung bedeutete einen Neubeginn im Verhältnis der Bundesregierung zu den deutschen Sinti und Roma“, erklärte Romani Rose heute.

Die polizeiliche Sondererfassung in der Bundesrepublik erfolgte durch bayerische Kriminalpolizisten in der „Landfahrerzentrale“, die bis in die 1970er Jahre Namen, Fingerabdrucke und persönliche Daten von Sinti und Roma aus dem gesamten Bundesgebiet in Akten erfasste. Diese Erfassung setzte direkt die NS-Erfassung fort, und zwar auf der Grundlage der NS-Akten und mit dem Personal aus dem ehemaligen RSHA, die im Bayerischen LKA wieder verbeamtet worden waren – und die regelmäßig in Entschädigungsanträgen von Sinti und Roma als Gutachter fungierten. Das bayrische Innenministerium verweigerte die öffentliche Distanzierung von diesen Praktiken und sprach von einer bis 1970 rechtmäßigen Kriminalarbeit.

„Wir konnten schon ein Jahr nach dem Hungerstreik NS-Akten an der Universität Tübingen sicherstellen. Dieses Material mit Vermessungen, Auswertungen und Befragungen haben wir ins Bundesarchiv in Koblenz überstellen können. Wir sind sicher, dass bis heute noch NS-Rassegutachten irgendwo im bayerischen Landeskriminalamt existieren, die aus diesen Akten erstellt wurden“, so Rose zu weiteren Aktionen nach dem Hungerstreik.

Die Unterstützung durch eine breite öffentliche Wahrnehmung des Hungerstreiks in der Presse, Solidaritätsbekundungen u.a. durch Annemarie und Heinrich Böll und der Besuch des damaligen Bundesjustizministers Hans-Jochen Vogel in Dachau am 12. April 1980, brachte eine bis dahin nicht vorhandene Aufmerksamkeit für die Situation der Sinti und Roma in Deutschland und beeinflusste maßgeblich die spätere Bürgerrechtsarbeit.

Quelle: Zentrlrat deutscher Sinti und Roma

Stand: 09.04.2020

Internationaler Tag der Roma: Antiziganismus ist auch ein Virus

Der Internationale Romatag am 8. April findet diesmal virtuell statt. Angesichts von Corona fordern Organisationen Solidarität mit Marginalisierten.

Eigentlich wollten die Organisator*innen der zweiten Roma Biennale mit ihren Lesungen, Ausstellungen und Konzerten hinaus in die ganz Stadt. Und ein bisschen von dieser Idee soll trotz Virus-Pandemie bewahrt werden und das Publikum per Stream erreichen.

Deshalb fährt Kurator Hamze Bytyçi am Internationalen Romatag am heutigen Mittwoch mit einem eigens gestalteten, ganz analogen Biennale-Truck zum Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, zum ehemaligen Zwangslager in Marzahn, zum Gorki-Theater und zu der Stele, die an den Boxer Johann Rukeli Trollmann erinnert. An diesen für die Geschichte und Gegenwart von Sinti*ze und Romn*ja in Berlin wichtigen Orten führt er Gespräche mit Künstler*innen, Aktivist*innen und Politiker*innen. Continue reading Internationaler Tag der Roma: Antiziganismus ist auch ein Virus