Rezension: NICHTS GELERNT?! Konstruktion und Kontinuität des Antiziganismus

von Benjamin Horvath

Der vorliegende Sammelband von Katharina Peters und Stefan Vennmann beleuchtet die Situation von Rom*nja in Deutschland aus unterschiedlichen Perspektiven und leistet dabei einen guten Überblick über aktuelle Vorschungsansätze.

Dirk Wolff stellt das Projekt „AIDD – Angekommen in Duisburg und Dortmund“ vor. Der Bericht bietet einen interessanten Einblick in die Konzeption und Arbeit des Projekts und stellt damit eine gute Skizze für (mögliche) ähnliche Projekte in anderen Städten (bspw. Halle/Saale) mit nennenswertem Zuzug von Roma dar. Ein daraus resultierendes Netzwerk solcher Gruppen könnte zu einem nützlichen Informationsaustausch führen.

Wibke Kleina beschreibt in „Zwischen Passfähigkeit und Besonderung“ die Diskriminierung zugereister Roma im deutschen Schulsystem, dass ihnen die Geringschätzung von Schulbildung vorwirft, während eine Mehrzahl von Faktoren für mögliche schlechtere Leistungen ausgeblendet werden. Dieses von Lehrenden als auch höheren Entscheidungsträgern (wie einst, im Kontext einer Demo gegen die Abschiebung von Roma, aus dem Mund von Boris Palmer gehört) gehegte Stereotyp übersieht die mannigfachen Faktoren, die zu einem möglichen Fernbleiben vom Unterricht und möglicher schlechten Leistungen bei Roma-Kindern führen können. Leider ist zu befürchten, dass die angeführten Lösungsvorschläge, wie die gezielte Betreuung der Kinder, an der schlechten Finanzierung der Schulen in Deutschland und einem Mangel an Lehrenden (besonders in strukturschwachen Regionen) scheitern werden.

In „Sind wir zu intolerant?“ untersucht Katharina Peters Fernseh-Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Zeitraum 2012 bis 2015. Einem Zeitraum, in dem Meldungen über (von Roma bewohnte) „Problemhäuser“ in Duisburg auch auf dem Antizig-Bloghäufig gespiegelt wurden und auch Halle-Silberhöhe antiziganistische Bekanntheit erlangte. Der EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens im Jahr 2007 entfachte in Deutschland in den Folgejahren eine Debatte über Integration und im besonderen den Bezug von Sozialhilfe für EU-BürgerInnen. In jenen Talkshows befeuerten häufig eingeladene Gäste mit rechten Ansichten den antiziganistischen Gesellschaftsdiskurs, der Roma in Verbindung mit Kriminalität und unhygenischen Zuständen setzt.

Einen spannenden Einblick in konkrete stadtpolitische Entwicklungen der Duisburger Nordstadt im Kontext des Zuzugs von Menschen aus Rumänien und Bulgarien liefert Joachim Krauß in „Der Zukunft abgewandt“. Neben empirischen Daten über die Bevölkerungsentwicklung in jenem Gebiet wird das ressentimentbasierte Vorgehen der Stadtführung gegen die Neuzugezogenen beleuchtet.

Im darauf folgenden, zusammen mit Sylvia Brenneman gegebenen, Interview wird beschrieben mit welchen – teils illegalen Methoden – die Stadt Duisburg gegen jene Zugezogenen vorgegangen ist.

Markus Ends Beitrag „Die Dialektik der Aufklärung als Antiziganimuskritik“ liest sich durch seinen universitären Aufbau zunächst enorm zäh und birgt für KennerInnen seiner früheren Texte zum Gehalt der Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer zu einer Theorie des Antiziganismus, oder den Texten seiner RezipientInnen, wenig neue Erkenntnisse. Zum Ende des Beitrags arbeitet End jedoch eine überzeugende und nachvollziehbare eigenständige idealtypische Sinnstruktur des Antiziganismus heraus, die sich von der „Überzivilisiertheit“ im Antisemitismus und der „Naturverhaftung“ im (post-)kolonialalen Rassismus unterscheidet und damit die „Vorurteilsforschung“ um eine wichtige Facette bereichert.

Sebastian Winter liefert in „‘Femme fatal‘ und ‚Zwangsprostituierte‘“ einen aktuellen Blick auf das geschlechtsspezifische Bild der „Zigeunerin“ an Hand vermeintlicher Zwangsprostituierten in der Dortmunder Nordstadt und beschreibt den Wandel der antiziganistischen Perzeption als eine matriarchale Gesellschaft (Eulberg) zu einer archaisch-patriarchal repressiven. Eine These, die Interesse an weiteren Ausführungen weckt.

Auch Rafaela Eulberg trägt eine weitere wertvolle Facette zur geschlechtsspezifischen Dimension des Antiziganismus bei. „Das Bild der ‚Zigeunerin‘ als ‚nicht-okzidentale Andere‘“ führt in die Okzident-Orient-Dichotomie am Beispiel der „Zigeuner-Magierin“ und der ihr zugrunde liegenden Religion-Magie-Dichotomie ein. Ein wichtiger Beitrag zur historischen Genese des Antiziganismus mit einer hohen Aktualität im speziellen für Länder wie Rumänien, in denen ‚Wahrsagerinnen‘ eine höhere Präsenz im öffentlichen Leben haben.

In „Antiziganismus, Kolonialismus und Neoliberalismus“ ist Merfin Demir bestrebt den „stereotypen Wahrnehmungskontext“ über Rom*nja aufzubrechen und eine „Reflexion auf Beobachtungen, Untersuchungen und Erfahrungen aus der rassismuskritischen Empowermentarbeit“ darzulegen. Was folgt sind vier nur bedingt zusammenhängende Unterkapitel, wovon das Letzte auch in seiner Konklusion widersprüchlich wirkt. Der Anstoß zu einer Untersuchung der Parallelen der Versklavung von Roma in Rumänien, Indigenen des amerikanischen Kontinents und den dorthin verschleppten AfrikanerInnen, auf Basis einer Entmenschlichungs- und Minderwertigkeits-Argumentation wirkt interessant. Er birgt jedoch auch die Gefahr durch eine Parallelisierung die Spezifiken der verschiedenen Ausbeutungsereignisse zu übergehen. Das präsentierte Quellenmaterial zur Sklaverei in Rumänien wirkt dürftig, was jedoch zur tiefer gehenden Erforschung dieses Themas animieren sollte. Karg stellt sich leider auch die Quellenlage sowie die aufgestellte Kausalität für einen energisch vermuteten Einfluss der schwarzen US-Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre auf die internationale Roma-Selbstorganisation dar.

Astrid Messerschmidt zeichnet in „Antiziganismuskritik in Auseinandersetzung mit Rassismus und Nationalismus“ nach, wie das Bild des „Zigeuners“ und „Juden“ im Kontrast zur arbeitssamen, homogenen, nationalen Gemeinschaft konstruiert wurde, dass in der Vernichtung von Jüd*Innen, Rom*njia und Sint*ezza kulminierte. Die Aufarbeitung des Porajmos war und ist bis heute schleppend verlaufen bis nicht existent gewesen, wie der noch heutige Umgang deutscher Behörden mit geflüchteten Rom*nja zeigt. Messerschmidt spricht bei der Aufarbeitung des Porajmos die Gefahr eines ethnologischen Blicks auf Rom*nja als Gruppe an, dass dem Abbau von Vorurteilen entgegenwirken kann. Stattdessen sei eine Reflexion über die Geschichte und Wirkung des Antiziganismus von Nöten. Gerade für Betroffene von Antiziganismus ist die Auseinandersetzung damit essentiell für die Entwicklung eines stabilen Selbstbewusstseins. Da in Schulen eine solche Auseinandersetzung nicht geführt wird, müssen Betroffene auf außerschulische Angebote ausweichen.

Wie die Theorie des homo sacers von Giorgio Agamben zu gefährlichen, theoretischen Reduktionen führt, zeigt Stefan Vennmann in „Der Nicht-Ort der Vernichtung“ auf. Er nimmt damit u.a. Bezug auf Roswitha Scholz, die – mehr oder minder – versuchte, die Theorie Agambens bzw. dessen Rezeption durch Robert Kurz für die Antiziganismusforschung nutzbar zu machen. Im Buch „Antiziganistische Zustände“ nimmt sie den homo sacer als Ausgangspunkt, um die Ausgrenzungsgeschichte der Sinti und Roma und dessen strukturelle Ausformungen bis heute nachzuzeichnen. Dahingehend übergeht oder blende Scholz das Problem aus, das Vennmann in der Theorie Agambens sieht: Die Reduktion auf den homo sacer blendet die Spezifik verschiedener Diskriminierungsformen – um die es letztlich in der Antiziganismusforschung gehen sollte – aus, die die fundamentalen Unterschiede der Ausgrenzung, besonders im Kontext des Nationalsozialismus, übergeht.

Weniger kontrovers wie angekündigt fiel das Interview „Antiziganismus, Romaphobie und Gadje-Rassismus“ mit Drita Jakupi am Ende des Buches aus. Hier führt sie ihre Ablehnung des Begriffs „Antiziganismus“, aufgrund der Weiterverwendung des Wortes „zigan“ und dessen historischen Aufladung u.a. durch den Nationalsozialismus, aus. Dieser kann von, sich als Rom*nija verstehenden, Menschen als verletzend empfunden werden. Die, aus diesen Gründen entspringende Ablehnung des Begriffs ist nachvollziehbar. Stattdessen plädiert Jakupi dafür von „Romaphobie“ zu sprechen.

Gründe für und gegen die Verwendung des Begriffs „Antiziganismus“ in der Forschung, wurden in der Vergangenheit bereits an anderer Stelle diskutiert (Verweise auch im Interview). An dieser Stelle wird hingegen kurz der alternative Begriff „Romaphobie“ kritisch in den Blick genommen:

Zunächst verstehen sich nicht alle, sonst als „Zigeuner“ bezeichneten, Menschen und Gruppen als Rom*nja (bspw. in der Sinti Allianz Deutschland, unter Jenische, in der Ungarischen Zigeuner Partei u.a.). Mit der zunehmenden Anwendung des Begriffs „Roma“ (oder auch „Sinti und Roma“ als zusammengehöriger Begriff) auf alle, mit „ziganistischen“ Stereotypen belegten, Menschen droht „Roma“ zu einem reinen, vermeintlich politisch-korrekten Re-Branding des Wortes „Zigeuner“ zu werden, da es ebenso zu einer „Homogenisierung heterogener Individuen und Gruppen“ (Zitiert nach Magdalena Marsovszky: Verfolger und Verfolgte – Antiziganismus in Ungarn, S. 14) führt.

Bereits die NPD schafft es auf ihren Aufklebern von „Sinti und Roma“ zu sprechen, dabei aber die selben Stereotype zu bedienen, wie sie mit dem Wort „Zigeunern“ transportiert werden. In Ungarn, wo – gemutmaßt – die Verwendung von „Roma“ eine längere Geschichte hat als in Deutschland, wird der Begriff von der Mehrheitsgesellschaft bereits komplett Synonym verwendet. Inklusive all seiner Stereotype und der dahinter stehenden Herabwürdigung, der damit bezeichneten Menschen. In der Bild-Zeitung und ähnlichen Formaten diente bereits die Kombination „Rumänen und Bulgaren“ als Chiffre für „antiziganistische“ Stereotype. Dahingehend muss Frau Jakupis Aussage widersprochen werden, dass Diskriminierung mit der Sprache beginnt.

Mit Bezug auf einen Beitrag von Tobias Neuburger zur Debatte um die Verwendung des Begriffs „Antiziganismus“, muss an dieser Stelle sogar davor gewarnt werden, den Begriff „Zigan“ einfach durch „Roma“ ersetzen zu wollen. Die Gefahr besteht das durch das politisch akzeptable Label „Roma“ (für alle von Antiziganismus betroffenen Menschen) nicht nur die dahinterliegenden Stereotype des „Zigan“ bedenkenloser fortgeführt werden können, sondern durch vermeintlich politisch korrekt handeln wollende Menschen zu einer noch größeren Verbreitung dieser beitragen

Der, im Titel genannte, Begriff „Gadje-Rassismus“ hätte das Potenzial die angeführten Probleme beider vorhergehenden Begriffe zu umgehen. Jedoch wurde, trotz des Titels, leider nicht darauf eingegangen.

Erhältlich über den Verband für interkulturelle Arbeit (VIA) und über den Buchhandel (Verlag Situationspresse, Duisburg).