Duisburg: Interview mit einem Aktivisten der Nachtwache

In Deutschland nehmen die, zumeist noch lokal isolierten, rassistischen Diskurse über Flüchtlinge und antiziganistischen Diskurse über Roma-Zuwanderer zu. Besonders angespannt scheint die Lage in Duisburg. Hier existiert eine mit Vorurteilen durchwobene Diskussion über Roma-Zuwanderer aus Bulgarien. In den lokalen Medien wird ein mehrheitlich von bulgarischen Roma bewohntes Haus immer wieder als „Problemhaus“ tituliert. Auf Facebook tauchten unlängst die ersten Mordfantasien auf und nun wurden auch noch antiziganistische Parolen ans Duisburger Roma-Haus geschmiert. In einem Beitrag auf „indymedia linksunten“ heißt es:

In diesem öffentlichen – und oft unwidersprochenen – Klima des Antiziganismus fühlen sich seit einigen Tagen offenbar heimische und auswärtige Gruppen von Rassisten aufgerufen, die Drohungen gegen die Bewohner der Häuser an In den Peschen in die Tat umzusetzen. In den Nächten auf Freitag und auf Samstag (16. & 17.8.), tauchten sie mehrmals in größeren Gruppen an den Häusern auf, bedrohten Bewohner und versuchten Angriffe. Sie waren mit Knüppeln und Messern bewaffnet, und führten laut Zeugenberichten sogar Brandsätze bei sich.

Mehr unter dazu: http://nrwrex.wordpress.com/2013/08/22/presseschau-bedrohung-von-roma-in-duisburg/
Wer weiß, wie das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen begann, fühlt sich in unguter Weise daran
erinnert.
Antiziganismus ist der Holzweg

Um mehr über die Situation vor Ort zu erfahren hat Antizig-Watchblog ein Interview mit Manu geführt, der kürzlich in Duisburg war und an der Nachtwache vor den von Roma bewohnten Häusern teilgenommen hat

Antizig-Watchblog: Hi. Du warst kürzlich in Duisburg und hast an der Nachtwache teilgenommen?

Manu: Ja, ich war am 18.8 da. An dem Tag hatte ich auch erst erfahren, dass es eine Nachtwache gibt. Als ich gegen Mitternacht ankam, waren knapp 20 Leute da. Das waren vor allem jüngere Linke. Den weitesten Weg hatten Leute aus Dortmund.

Antizig-Watchblog: Wie ist die Kommunikation zwischen Haus-BewohnerInnen und den Leuten der Nachtwache?

Manu: Anfangs lief sie wohl nicht so gut, weil eine gemeinsame Sprache gefehlt hat. Leider beherrschte bis dahin von der Nachtwache niemand genug Französisch oder Spanisch, was von vielen anwesenden BewohnerInnen gesprochen wurde, um wirklich ins Gespräch kommen zu können.

Antizig-Watchblog: Ist es da nicht seltsam, wenn plötzlich Leute kommen und anfangen eine Nachtwache abzuhalten?

Manu: Schon. Die BewohnerInnen hatten ja auch die ganze Hetze auf Facebook oder die rassistische Berichterstattung in der Lokalpresse, wo ihr Haus durchgehend als „Problemhaus“ bezeichnet wurde, nicht mitbekommen. So hatte ich das Gefühl, dass die Hausbewohner, die eh seit einiger Zeit Nachts organisert vor dem Haus stehen, verwirrt waren, wieso sich plötzlich eine Gruppe von Menschen zu ihnen begibt. Sie haben aber schon gemerkt, dass sich die Stimmung gegen sie aufgeheizt hatte. Darum sahen sie sich auch schon zuvor genötigt ihre Kinder mit Anziehsachen ins Bett zu bringen, um schneller vor Angriffen fliehen zu können.. Durch die vermutlich unerwartete Unterstützung konnten wir hoffentlich die HausbewohnerInnen entlasten und etwas Anspannung nehmen. Zu Angriffen von Rassisten kam es nur, wenn sich keine deutsch aussehenden Personen vor dem Haus befanden. So wurden Flaschen auf das Haus geworfen und sie aus Autos heraus beschimpft, der Hitlergruß gezeigt und Parolen an das Haus gemalt. Schon vor der neuen Eskalation wurde aus diesen Gründen auch der Keller des Hauses brandsicher gemacht, d.h. alle brennbare Gegenstände wurden ausgeräumt.

Antizig-Watchblog: Es gab also schon konkrete Angriffe?

Manu: Ja. Es wurden auch Fenster eingeworfen. Am Abend bevor ich dort war, hatte sogar eine Gruppe versucht ins Treppenhaus einzudringen.Außerdem gibt es so etwas wie einen rassistisch geprägten Katastrophen-Tourismus zum Haus. Es schauen vom Nazi-Skin bis zur/zum rassistischen WutbürgerIn immer wieder Leute vorbei.

Antizig-Watchblog: Was ist das eigentlich für ein Viertel, wo das Haus steht?

Manu: Ursprünglich war Duisburg-Rheinhausen mal ein ArbeiterInnen-Viertel. Aber vor 20 Jahren hat hier das letzte Stahlwerk geschlossen. Jetzt ist das eine total ruhige, bürgerliche Wohngegend.

Antizig-Watchblog: Kannst Du noch etwas zu dem Haus sagen?

Manu: Das Haus stand vor dem Einzug der neuen Familien praktisch Leer. Eigentlich ist es total abrissreif bzw. Bedarf einer grundlegenden Sanierung. Die Hausflure haben so bestimmt seit 40 Jahren keine neue Farbe mehr gesehen und in einem Eingang stinkt es nach Fäkalien, weil es da mal einen Abwasserrohrbruch gab, der nie repariert wurde obwohl es auch wohl einige Wohnungen betrifft. Der Besitzer hat dann an die Familien aus Bulgarien vermietet. Bestimmt nicht aus Herzensgüte. Er verlangt sehr hohe Mieten und Wohnungen sind überbelegt.. Bulgaren als MieterInnen nimmt aber in Duisburg sonst kaum jemand. Wenn Du ein deutscher Student bist, dann ist es kein Problem in der gewünschten Lage etwas zu finden. Die VermieterInnen telefonieren z.B. in Hochfeld, das angeblich auch unter dem “Bulgaren-Problem” leidet, dann sogar in ihrem “Klüngelclub” herum, um etwas Geeignetes zu finden.

Antizig-Watchblog: Wie verhält sich die örtliche Polizei?

Manu. Die ist nicht gerade ein Fan der Nachtwache und erst recht nicht vom Haus. Einmal hat sie in der Nacht extra angehalten, um zu sagen dass sie nicht verstehe, warum es diese Nachtwache gebe. Sie würden immer nur wegen der BewohnerInnen im Roma-Haus gerufen. Und wenn es gegen die Bewohner ist machen sie es scheinbar gerne, denn nach eigener Aussage kommen sie sonst auch schon wenn Kinder Nachts schreien, ich wüßte von keinem anderen Hochhaus wo dann die Polizei vorbeikommt. Der Bitte, häufiger Streife am Haus zu fahren oder sogar eine Streife zum Schutz des Hauses abzustellen, wollten sie aber nicht nachkommen. Stattdessen sagt der Sprecher der Duisburger Polizei zu dem Thema: “Die müssen weg.” Es gab vor einiger Zeit auch mal ne Razzia gegen das Haus wegen angeblich geklauter Fahrräder, die dort gehortet würden. Gefunden hat man zwar zig Räder, aber kein einziges gestohlenes. Trotzdem veröffentlicht die Polizei regelmäßig Pressemitteilungen, in denen Verdächtigungen gegen die BewohnerInnen verbreitet werden, selbst wenn kein Täter überführt werden konnte.

Antizig-Watchblog: Wie äußert sich der Antiziganismus?

Manu: Der bleibt häufig unausgesprochen, schwingt aber immer mit. Man redet in Duisburg nicht von „Zigeunern“, sondern nur von „den Bulgaren“. Diese Diskussion ist aber sehr präsent, in der Zeitung, auf der Straße und in allen Kreisen. Die Gerüchte werden auch immer krasser. Da nimmt die Radikalität eindeutig zu. Inzwischen heißt es, „die Bulgaren“ entführen Kinder und klauen Organe.

Antizig-Watchblog: Wie würdest Du die Dynamik vor Ort einschätzen?

Manu: Die Lage ist bedrohlich. Es gab schon eine Unterschriftensammlung für die Umsiedlung der Leute in Rheinhausen, bei einer Diskussionsveranstaltung herrschte eine sehr aggressive und rassistische Stimmung. Das Problem ist auch, dass sich viele in ihren Ressentiments bestätigt fühlen durch die Lokalpresse und die Polizei. In Hochfeld, einem Stadtteil der jetzt schon stark von MigrantInnen geprägt ist, beteiligen sich auch viele türkische Anwohner an der Hetze gegen die neuen Zuwanderer.

Antizig-Watchblog: Es gab ja seltsame Pressebericht über einen angeblichen Angriff von „Linksextremen“ auf unbescholtene BürgerInnen. Weißt du da mehr?

Manu: Es gab eine von RassistInnen dominierte Bürgerversammlung. Auf dieser wurden Menschen mit einer antirassistischen Einstellung nicht zu Wort gelassen und bedroht. Außerdem saßen im Publikum Leute die Eindeutig als Nazis zu erkennen waren. Auf dem Rückweg gab es dann wohl eine Auseinandersetzung. Die Polizei hat die Nachtwache verantwortlich gemacht, die bestreiten aber die Veranstaltung besucht zu haben..

Antizig-Watchblog: Wie können denn die Leute vor Ort supportet werden? Braucht die Nachtwache personelle Unterstützung von außerhalb?

Manu: Ich glaube das es da gerade keinen so großen Mangel gibt, dass man mehrere Autostunden Fahrt auf sich nehmen müsste um eine Nacht dort zu verbringen. Auch wenn Duisburg immer einen Besuch wert ist.
Ansonsten die Situation vor Ort im Auge behalten, um im Notfall kurzfristig zu intervenieren.

Antizig-Watchblog: Danke für das Interview.

Manu: Kein Problem.