Im Visier der Kriminalisten

Die Verfolgung der Sinti und Roma in Deutschland hat eine lange, traurige Tradition. Die Eröffnung des Denkmals markiert den Abschluss auf dem langen Weg zur Anerkennung.

Im Sommer 1945 irrten Millionen Menschen durch die Trümmerwüsten der deutschen Städte. Unter den Flüchtlingen, Vertriebenen, Ausgebombten, Kriegsgefangenen, ehemaligen Zwangsarbeitern und Konzentrationslagerhäftlingen waren die etwa 5 000 deutschen Sinti und Roma, die nach Deportationen und Konzentrationslagerhaft zurückkehrten, nur eine Minderheit.

Anteil an ihrem erlittenen Unrecht nahm kaum jemand. Statt Hilfe bei der Suche nach ihren Angehörigen und neuen Lebensperspektiven erfuhren sie von der örtlichen Bevölkerung und den Behörden vielfach Misstrauen und Ablehnung. Um dem „Zigeunerunwesen“ Herr zu werden, wandten sich Stadtverordnete und Bürgermeister an die Polizei – jene Institution, die für die erbarmungslose Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma verantwortlich war.

Sinti und Roma zu erfassen und einem Sonderrecht zu unterwerfen, war keine nationalsozialistische Erfindung. Bereits 1899 hatte die Polizei in München einen „Zigeunernachrichtendienst“ eingerichtet. Mit Fingerabdruckkarteien und Fotografien sollten alle Zigeuner registriert werden. Die Erfassung, so der Jurist und Polizeipräsident Alfred Dillmann, gewähre ein effektives Vorgehen gegen die kriminelle Veranlagung dieser Gruppen.

Die totale Erfassung

Das 1926 in Bayern und danach auch in anderen Ländern des Deutschen Reiches verabschiedete „Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“ ermöglichte die Festnahme und Einweisung in Arbeitshäuser. Bis zum Ende der Weimarer Republik erfasste der Zigeunernachrichtendienst mehr als 19 000 Personen. Der umfangreiche Datenbestand bildete die Grundlage für die systematische Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat.

Hitlers Kriminalisten strebten „die endgültige Lösung der Zigeunerfrage nach rassischen Gesichtspunkten“ an. Die Münchner Dienststelle wurde nach Berlin verlegt und zur „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ im Reichskriminalamt ausgebaut. Für die totale Erfassung arbeitete die Polizei eng mit Biologen und Medizinern zusammen.

Unter Leitung von Robert Ritter und seiner Assistentin Eva Justin erstellte die Rassehygienische Forschungsstelle beim Reichsgesundheitsamt dank Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis Ende 1941 Gutachten zu fast 29 000 „Zigeunern“ und „Zigeunermischlingen“. Anhand der Gutachten entschieden die Kriminalbeamten über die Einweisung in Konzentrationslager. Ab Januar 1943 deportierte die Kriminalpolizei mehr als 15 000 Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager Auschwitz Birkenau.

Auch nach dem Untergang des NS-Staats erschien es den Kriminalisten als selbstverständlich, Sinti und Roma zu erfassen und unter polizeilicher Aufsicht zu stellen. Die Ende der 1940-er Jahre in München gegründete „Nachrichtensammel- und Auskunftsstelle über Landfahrer“ griff auf die von Ritter und Justin angelegten Rassegutachten zurück.

Vorurteile: Zigeuner als Keimzellen der Kriminalität

Leiter der Dienststelle war Josef Eichberger, der 1940 die ersten Deportationen von 500 Sinti und Roma ins besetzte Polen organisiert hatte. Zu seinen Mitarbeitern gehörte der Kriminalsekretär Rudolf Uschold, der 1951 verschärfte Kontrollen und die Errichtung einer gemeinsamen Landfahrerzentrale aller deutschen Länder forderte. Als einziges Bundesland erließ Bayern 1953 eine „Landfahrerverordnung“, die die Bewegungsfreiheit einschränkte. Erst 1970 hob der Landtag die diskriminierende Verordnung auf.

Auch das Bundeskriminalamt arbeitete an „Richtlinien für die Bekämpfung des Landfahrerunwesens“. Vertreter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts berieten in den 1950-er Jahren unter Vorsitz von BKA-Mann Josef Ochs über ein gemeinsames Vorgehen. Im Reichskriminalpolizeiamt war Ochs noch für Deportationen von Sinti und Roma aus Köln und Magdeburg verantwortlich.

Die von mehreren Kriminalistengenerationen gepflegte Vorstellung von Zigeunern als Keimzellen der Kriminalität erwies sich als Schimäre. In der Kriminalstatistik von 1954 machten die von Landfahrern verübten Straftaten einen Anteil von 0,0016 Prozent aus.

Dennoch wurde diese Kategorie bis 1982 in der Kriminalstatistik weitergeführt. Aus den kriminalpolizeilichen Meldediensten verschwanden Kategorien wie Landfahrer oder andere Umschreibungen für Sinti und Roma erst Ende der 1980-er Jahre, nachdem der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit politischen Eingaben und spektakulären Demonstrationen auf die fortgesetzte Diskriminierung durch die Polizei aufmerksam gemacht hatte.

Die politische Anerkennung als Opfer des Völkermords erreichten sie erst in den 1980-er Jahren, als Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma empfing. Die Eröffnung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma markiert den Abschluss auf dem langen Weg zur Anerkennung.

Quelle: Frankfurter Rundschau
Stand: 22.10.2012