Ausgegrenzt und diskriminiert

Internationales Symposium zur Situation von Sinti und Roma in Europa.

Toleranz und kulturelle Vielfalt werden gemeinhin hochgeschätzt. Doch stößt beides europaweit an eine diffuse Grenze: Mit 10 bis 12 Millionen Menschen stellen Roma und Sinti zwar die größte Minderheit in Europa. Gleichzeitig treffen sie wie keine andere Gruppe auf Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus.

Mit den historischen Ursachen, der aktuellen sozialen Situation von Sinti und Roma sowie möglichen Strategien gegen den grassierenden Antiziganismus befasste sich ein Internationales Symposium der Allianz Kulturstiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin, das den bewusst provokanten Titel „Was heißt denn hier Zigeuner?“ erhalten hatte.

Dass es sich bei der Diskriminierung der Rom-Völker in Europa um keine neuere Erscheinung handelt, stellten Wolfgang Ischinger, ehemaliger Staatssekretär, und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, in ihren einleitenden Statements klar. Seit 600 Jahren sind Sinti und Roma in Europa ansässig – und ebenso lange werden sie verachtet, verfolgt und oft zu Gewaltopfern. Die Ermordung von etwa 500.000 Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten wurde lange Zeit allenfalls als Randthema behandelt, und bis heute tun sich Politik und Behörden schwer, Opfer, Überlebende und ihre Nachkommen angemessen zu würdigen.

Enorme Vielfalt der Lebensweisen und Kulturen

In welchem Ausmaß Angehörige der Rom-Völker aber auch im Europa der Jetztzeit diskriminiert werden, belegt eine aktuelle Untersuchung, deren Ergebnisse Morten Kjaerum, Direktor der Europäischen Menschenrechtsagentur, bei der Veranstaltung zusammenfasste. So hatten 60 Prozent der befragten Roma aus acht europäischen Ländern Diskriminierung bei der Arbeitssuche erfahren, 25 Prozent im Gesundheitssystem, und 18 Prozent waren bereits einmal ein Opfer gewalttätiger Übergriffe geworden. „Immer noch sind viele Roma von Bildung und Arbeit ausgeschlossen, bleiben damit arm und sozial ausgegrenzt“, so Morten Kjaerum. Überfällig sei hingegen eine Strategie, die Roma ein- und nicht ausschließt, denn: „Unsere Gesellschaften benötigen die Roma.“

Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch weit auseinander. „Sinti und Roma sind zwar Bürger ihrer jeweiligen Länder, doch werden ihnen oftmals Rechte vorenthalten“, erklärte Silvio Peritore vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Dabei würde diese große Minderheit fälschlicherweise als homogene Masse betrachtet. „Tatsächlich gibt es eine enorme Vielfalt der Lebensweisen und Kulturen unter den Sinti und Roma.“

Das Bild des „ehrlosen Volkes“

Klaus-Michael Bogdal, Professor an der Universität Bielefeld und Autor des Buches „Europa erfindet die Zigeuner“ (Suhrkamp Verlag Berlin) lieferte einige Erklärungsansätze für die anhaltende Diskriminierung der Rom-Völker in Europa. „Seit ihrer Ankunft vor über 600 Jahren wurden sie als allgegenwärtige Bedrohung empfunden und ein Zusammenleben von vorneherein ausgeschlossen.“ Die in Europa ansässigen Völker hätten ihre zivilisatorische Entwicklung in der Folge stets am Abstand zu den Roma bemessen und das Bild des „ehrlosen Volkes“ entworfen. „Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit wurden und werden nicht auf sie angewendet.“

Wie sich die Diskriminierung konkret in einem Land darstellt, erläuterte Zoltán Balog, ungarischer Staatsminister für Roma-Inklusion. Zwar von der rechtsgerichteten Regierung eingesetzt, doch mit klarem Blick ausgestattet, benannte der Politiker und frühere Pfarrer die Fakten: „Die Lage der Roma in unserem Land hat sich in den zurückliegenden 20 Jahren verschlechtert. Es gab und gibt brutale Übergriffe bis hin zu Morden.“ Andererseits gäbe es aber auch Ungarn, die sich seit langem für eine soziale Integration der Roma einsetzten. „Wir brauchen überall in Europa die Einsicht, dass Ausschluss am Ende teurer ist als Inklusion.“ Dazu sollten Roma in Entscheidungsprozesse einbezogen und nicht primär als Objekte von Hilfsprogrammen betrachtet werden.
Im Rahmen des Syposiums wurde die Kunstausstellung „Reconsidering Roma – Aspects oft Roma and Sinti Life in Contemporary Art“ im Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, in 10997 Berlin eröffnet. Sie ist noch bis zum 11. Dezember geöffnet.

Quelle: Blick nach Rechts
Stand: 18.11.2011