Struktureller Antiziganismus – z.B. das Feindbild Bettler

In Zeiten der sich ausweitenden Wirtschaftskrise in Europa macht sich im öffentlichen Diskurs eine zunehmende Feindseligkeit gegenüber Bettlerinnen und Bettlern breit. Beispielsweise in Österreich haben einige Städte totale Bettelverbote erwirkt.
Ressentiments gegen Bettelei haben eine lange Geschichte und waren schon immer weit verbreitet, unterliegen aber politischen Konjunkturen.

Es gibt erkennbar starke Überschneidungen vom Anti-Bettler-Ressentiment zum antiziganistischen Ressentiment. Einmal gibt es Anfeindungen gegen Bettler_innen, die gleichzeitig gegen Sinti & Roma und Sintize & Romnija sind bzw. dieser Bevölkerungsgruppe zugeordnet wurden (z.T. als „Bettel-Roma“ bezeichnet), andererseits gibt es auch starke strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den beiden Ressentiments.
Beide Ressentiments:
… werfen Menschen einen angebliche „faulen“ und „verwerflichen“ Lebenswandel und vor allem Lebenserwerb vor.
… ignorieren, dass die reale Lebensweise der Angefeindeten, sofern sie sowieso nicht nur ein vollkommenes Klischee ist, verfolgungs- und armuts-bedingt zustande gekommen ist.
… verkörpern das Unbehagen des Spießbürgers gegen alle die vermeintlich freier und unbeschwerter leben. „Zigeuner“ wie Bettler gelten als „faul“ und „arbeitsscheu“, finden aber angeblich über Betrug und andere Machenschaften ein gutes Auskommen.
… werfen den Angefeindeten vor auf Kosten der Allgemeinheit zu leben.
B.Z. hetzt gegen Roma
Diese Gemeinsamkeiten lassen es durchaus zu von einer Art struktureller Antiziganismus zu sprechen.

Bettelei gilt in den Augen des Durchschnittsbürgers als Nichtstun. Auf Bürostühlen oder an der Rezeption darf man tatenlos rumsitzen, aber nicht in der Kälte an belebten Plätzen.

Viele Bürger_innen fühlen sich von Bettler_innen belästigt. In den allermeisten Fällen dürfte aber nicht das angeblich „aggressive“ Betteln die eigentliche Ursache sein, sondern das den Normalmenschen Armut direkt und ungefragt unter die Augen tritt. Unkontrollierte Armut aber, die nicht in den Fernseher gebannt ist, ist dem Wohlstandsbürger unheimlich und peinlich.

Gibt es einerseits die Tendenz, dass Armut bewusst „übersehen“, also unsichtbar „gemacht“, wird, so wird sie andererseits häufig auch als „Schandfleck“, also als „störend“, angesehen. Tatsächlich durchbrechen Bettler_innen und andere so genannte „Elendsgestalten“ die Illusion einer heilen Welt in der westlichen Marktwirtschaft. Die Bürgerschaft fühlt sich „gestört“ durch Bettler_innen, Straßenpunks, Prostituierte oder Drogenkranke. So stellt sie an den Staat die Forderung nach „Abhilfe“.
Der Staat kann als kapitalistischer Staat Armut aber nicht wirklich abschaffen, denn dafür bräuchte es eine neue Gesellschaft, u.a. auf Basis einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel.
Während der faschistische Staat nicht Armut beseitigt, sondern Arme wie z.B. bei der „Aktion Arbeitsscheu“ 1938 im „Dritten Reich“, kann der bürgerliche Rechtsstaat nicht zu derart drastischen Mitteln greifen. Er illegalisiert die „störenden“ Randgruppen und vertreibt sie aus der Innenstadt in Randgebiete, den Untergrund oder inhaftiert sie gleich für längere Zeit.
So geraten Armut und soziale Randgruppen aus dem Blickfeld der bürgerlichen Gesellschaft. Ähnliches geschah mit Sinti und Roma, die einer Vertreibung oder der Forderung nach Zwangsassimilation ausgesetzt waren.