Guter Rat an die Lebenden

Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wird eine Straße in Berlin-Friedrichshain den Namen Ede-und-Unku-Weg erhalten. Dieses Ereignis gedenkt der toten und soll ein Zeichen sein für die lebenden Juden, Sinti und Roma im Land.

Der Name erinnert an ein Buch, seine Helden und an die Autorin. Der Jugendroman „Ede und Unku“, geschrieben 1931 von Grete Weiskopf, genannt Alex Wedding, gehörte zu meiner Kindheit. Er erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Berliner Kindern kurz vor dem Nationalsozialismus: Ede, Sohn eines Arbeitslosen trifft Unku, ein Mädchen aus einer Sintifamilie. Es geht um Loyalität, Freundschaft, Vorurteile und Klassenkampf. Die Helden der Geschichte gab es wirklich. Grete Weiskopf hatte die Sintifamilie, zu der Unku – mit bürgerlichem Namen Erna Lauenburger – gehörte, in der Nachbarschaft kennengelernt. Die junge, jüdische und kommunistische Schriftstellerin mochte die Familie sehr und war empört über deren tägliche Diskriminierung. „Ede und Unku“ war ihr erstes und bekanntestes Buch, frei von romantisierenden Zigeunerklischees, dafür mit der Empathie einer Jüdin, die weiß, was Herabsetzung bedeutet und mit dem Pathos jener Zeit, das vom siegreichen Klassenkampf die Lösung aller, auch der niedersten Probleme wie Antisemitismus und Antiziganismus erhoffte. Unku wurde im Alter von 24 Jahren mit ihren beiden Kindern nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Am 27. Januar redet zum ersten Mal ein Vertreter der Sinti und Roma vor dem Bundestag. Zoni Weisz, Überlebender einer niederländischen Sintifamilie, wird gewiss auch den noch immer alltäglichen Rassismus ansprechen, dem die Sinti und Roma in Deutschland und Europa ausgesetzt sind. Man mag die Staatsgeste des Gedenkens als zelebrierte Heuchelei empfinden oder als notwendigen Akt einer Räson der deutschen Demokratie – beides deutet darauf hin, dass der Holocaust, dem auch eine halbe Million Sinti und Roma zum Opfer fielen, die Gegenwart zu Recht bewegt. Das gelingt beim Andenken an die Toten – mal besser, mal schlechter. Doch wie sieht es mit den Lebenden aus?

Die Nachkommen der damals verfolgten Minderheiten machen immer Schwierigkeiten. Sie wollen nicht abgeschoben werden, wie die Roma aus dem Kosovo; sie wollen bessere Bildungschancen für alle Sinti und Roma, keine harschen Diskriminierungen und Anerkennung als wirklich echte Deutsche, und dass mehr getan werde gegen Antiziganismus und Antisemitismus. Darin sind sich Juden mit Sinti und Roma in Deutschland einig. Dafür reicht ein 27. Januar nicht – aber er könnte dazu dienen, wenigstens an diesem einen Tag die gröbsten Klischees zu meiden.

Wenn der Ede-und-Unku-Weg seinen Namen erhält, bin ich dabei. Die Feier findet am 27. Januar um 17 Uhr statt, vielleicht schaffe ich es hinterher noch ins Kino, denn an diesem Tag läuft in Berlin der türkische Film „Tal der Wölfe Palästina“ an, ein antisemitisches Actiondrama, in dem es darum geht, Judenhass auszuleben und möglichst viele Israelis abzuknallen. Einen solchen Film hat es nach dem Holocaust in Deutschland noch nicht gegeben. Im Kino werde ich bei Popcorn und Cola weiter darüber nachdenken, ob das Datum des Filmstarts ein Zufall ist oder gut gemeinter Rat an die Lebenden, sich nicht allzu sicher zu fühlen.

Quelle: Berliner Zeitung
Stand: 20.01.2011