Buchkritik: Antiziganistische Zustände

Der Sammelband „Antiziganistische Zustände“ enthält sehr unterschiedliche Beiträge. Diese untergliedern sich in die Themen „Zur Theorie und Kritik des Antiziganismus“, „Bundesdeutscher Erinnerungsdiskurs“, „Mediale Repräsentationen“ und „Antiziganismus in Europa“.
Die Autor_innen sind mehrheitlich im linksakademischen Spektrum zu verorten, was man den meisten Texten auch anmerkt. Auf der sprachlichen Ebene gibt es durch das Übermaß an Akademismen teilweise eine hohe sprachliche Hürde für Nicht-Akademiker_innen. Viele Themen (z.B. „Adorno und »die Zigeuner«“) sind sehr speziell und es wird auch stellenweise einiges an Vorwissen vorausgesetzt. Daher ist das Buch auch weniger eine Einführung in das Thema, sondern eher für Personen mit fortgeschrittenen Wissenstand.
Antiziganistische Zustände
Der Beitrag von Roswitha Scholz zum Thema „Antiganismus und Ausnahmezustand. Der »Zigeuner« in der Arbeitsgesellschaft“ beleuchtet, dass das Stereotyp vom „wilden“ und ungebundenen „Zigeuner“ für die „Ungebundenheit und Arbeitsverweigerung“ steht. Der antiziganistischen Mehrheitsgesellschaft erscheinen „Zigeuner“ als „Repräsentanten der untergegangenen Welt der Vormoderne“. Dabei werden „Zigeuner“ wie später die Bevölkerung der Kolonien als „Naturkinder“ dargestellt, die den „Kulturmenschen“ gegenüberstehen. Der „Zigeuner“ wird so zum Gegenbild vom „zivilisierten Europäer“. So wird der Antiziganismus zu einer Art „romantischer Rassismus“. Hier zeigt sich auch eine der Gemeinsamkeiten von Antisemitismus und Antiziganismus. Denn beiden ist gemeinsam, dass sie gegen „arbeitsscheue Parasiten“ mobil machen. Auch der Antiziganismus unterlag wie der Antisemitismus (bzw. Antijudaismus) im 18. Jahrhundert einer „Rassifizierung“.
Ob die Diskriminierung von sozial Schwachen und Randständigen wirklich als „struktureller Antiziganismus“ bezeichnet werden kann, ist sehr diskutabel.

Der Beitrag „Doing Gender and Doing Gypsy. Zum Verhältnis der Konstruktion von Geschlecht und Ethnie“ von Rafaela Eulberg untersucht die Analogien der Konstruktion von Geschlecht und Ethnie. In den antiziganistischen Bildern von „Zigeunerfrauen“ finden sich sowohl eine überbetonte und sexualisierte „Weiblichkeit“ (z.B. die verführerische Tänzerin) als auch die nichtkonforme „Weiblichkeit“ (z.B. rauchende oder hosentragende „Zigeunerinnen“).

In „Konkurrenz und Uneinigkeit. Zur gedenkpolitischen Stereotypisierung der Roma“ befasst sich Yvonne Robel mit der Mediendarstellung der Debatten um das Denkmal für die ermordeten Roma in Berlin. Sie arbeitet u.a. heraus wie Juden und Roma von den Medien zu Konkurrenten stilisiert werden und wie sich zahlreiche antiziganistischen Klischees in der Berichterstattung wiederfinden.

In dem Beitrag „»Das Leid der Roma und Sinti in der NS-Zeit berechtigt nicht zu rechtswidrigen Handlungen heute.« Bleiberechtskämpfe Hamburger Roma an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.“ weist Kathrin Herold darauf hin, dass die deutsche Öffentlichkeit zwar bereit ist Sinti und Roma in den offiziellen Gedenkkanonen aufzunehmen, aber kaum bereit die Abschiebungen von den Nachkommen dieser Opfergruppe zu stoppen.

Ines Busch befasst sich mit „Das Spektakel vom »Zigeuner«. Visuelle Repräsentationen und Antiziganismus“ mit „Zigeunerromantik“ in modernen Medien. Sie weist überzeugend nach, dass die exotisierende „Zigeunermalerei“ in Foto-Reportagen wie in der „National Geographic“ weiterlebt. Auch in den modernen Abbildungen vermeintlicher Realitäten finden sich die „Mythen des Alltags“ und Exotismus.

In „Von Zigeunern und Vampiren. »Der Zigeuner« als das Andere des rumänischen Selbst“ veranschaulichen die Autor_innen Anda Nicolae Vladu und Malte Kleinschmidt, dass sich die rumänisch-nationale Kollektividentität stark in Abgrenzung zu den Roma und ihren angeblichen Eigenschaften konstruiert.

Katrin Lange befasst sich in „Die Stille durchbrechen. Antiziganistische Stimmungsmache in Italien und der Widerstand dagegen“ mit dem Wechselspiel zwischen von oben geförderten und von unten auf der Straße umgesetzten Antiziganismus in Italien. So erfährt man auch, dass bereits von der Vorgänger-Regierung Berlusconis Roma in „campi nomadi“ („Nomaden“ ersetzt in Italien immer mehr den Begriff „Zigeuner“) ghettoisiert wurden.

Leider fehlt dem Buch ein Fazit, was in Anbetracht der Thembreite auch schwierig gewesen wäre.
Doch lässt sich gut zusammenfassen, dass eine Kritik des Antiziganismus die Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse sein muss. Dass Autor_innen-Duo Anda Nicolae Vladu und Malte Kleinschmidt schlussfolgert daraus:
„Denn Voraussetzung für die Abschaffung des Antiziganismus ist sowohl die Abschaffung des Nationalismus als auch der kapitalistischen Klassengesellschaft.“ (Seite 232)

Markus End, Kathrin Herold, Yvonne Robel (Hg.): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments, Münster 2009.