Unbekannte warfen in der Nähe von Ulm eine brennende Fackel auf Wohnwagen: Brandanschlag auf Sinti-Familie

Ulm. Erst jetzt wurde ein rassistisch motivierter Brandanschlag am 25. Mai in Erbach-Dellmensingen bei Ulm bekannt. Wie das Polizeipräsidium Ulm mitteilte, wurde kurz nach 23 Uhr eine französische Familie von Sinti am Ortsrand Ziel der Attacke. Eine unbekannte Gruppe rief antiziganistische Parolen aus einem dunklen Kleinwagen und schleuderte eine brennende Fackel auf die Wohnwagen der Familie. Die Täter konnten unerkannt entkommen.

Die Familie kam mit dem Schrecken davon. Die brennende Fackel verfehlte knapp ihr Ziel und konnte keinen Schaden anrichten. „Ich bin sehr bestürzt über den Anschlag. Wir werden alles dafür tun, die Familie zu unterstützen“, sagte Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender des Verbands deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg (VDSR-BW).

Kerstin Müller von „Leuchtlinie“ – Beratung für Betroffene rechter Gewalt in Baden-Württemberg, in deren Beirat auch der VDSR-BW vertreten ist, erklärte: „Betroffene von rechter Gewalt und oft auch ihr soziales Umfeld benötigen besondere Hilfe bei der Bewältigung von psychischen, physischen und materiellen Schäden. Auch die Benennung der Tat als rassistisch, antisemitisch oder antiziganistisch spielt für Betroffene und für den gesellschaftlichen Kontext eine zentrale Rolle. Für unsere Arbeit ist es wichtig, dass PolizeibeamtInnen bereits vor Ort die Betroffenen auf das spezifische Beratungsangebot hinweisen. Wir klären, ob dies im konkreten Fall stattfand.“

Der Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus Michael Blume, sagte gegenüber dem VDSR-BW: „Wir stellen leider fest, dass sich die Verschwörungsmythen von Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus wieder verschränken. So werden Roma und Sinti im Netz wieder beschimpft und beschuldigt, Teil der angeblichen Umvolkung zu sein. Ich rufe daher dringend dazu auf, gegen die Verrohung aus dem Netz vorzugehen und auch die Gefahr des Antiziganismus lauter als bisher zu benennen!“

Gewalttätige Angriffe auf Sinti und Roma nehmen nach Angaben des Verbands europaweit zu. Die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2018 stelle fest: „Die Abwertung von Sinti und Roma […] nimmt kontinuierlich zu. “ Der Leipziger Studie zufolge lehnen 56 Prozent der Deutschen Sinti und Roma in ihrer Nachbarschaft ab, 60.4 Prozent halten Sinti und Roma für grundsätzlich kriminell. Die Zahlen sind in Ostdeutschland noch höher (60.3 Prozent und 69.2 Prozent).

„Diese Zahlen sind erschreckend. Dahinter kann sich ein gewalttätiges Potential verbergen“, sagt Daniel Strauß vom VDSR-BW. Sie zeigten auch, dass der Kampf gegen Antiziganismus noch lange nicht gewonnen sei, sondern intensiviert werden müsse. Dieser Vorfall stehe für die gewalttätige Rhetorik gegenüber Sinti und Roma, die im Europawahlkampf wieder vielerorts auf Wahlplakaten – nicht nur der NPD – zu erkennen war: „Antiziganismus – das ist der Rassismus von nebenan“.

Die Äußerungen des italienischen Innenministers Matteo Salvini haben bereits wiederholt antiziganistische Stimmungen angeheizt. In der Ukraine kam es allein 2018 zu elf pogromartigen Übergriffen auf Roma.

Romeo Franz, Abgeordneter im Europäischen Parlament, äußerte sich hierzu gegenüber dem VDSR-BW: „Antiziganismus ist eine Form des Rassismus, die leider zum großen Teil ignoriert wird. Dieser rassistisch motivierte Brandanschlag auf französische Bürger und Bürgerinnen mit Romno-Hintergrund, reiht sich ein in die Anschläge auf italienische Bürger und Bürgerinnen mit Romno-Hintergrund und auch auf kosovarische Roma im Kosovo. Die antiziganistischen Angriffe, die zum Teil wie in der Ukraine tödlich endeten, mehren sich dramatisch. Wenn die Zivilgesellschaft, aber auch die Politik nicht endlich erkennt, dass Antiziganismus auch heute noch Menschenleben kosten kann, und besonders die Justiz nicht endlich für das Thema Antiziganismus sensibilisiert wird, werden Bürger und Bürgerinnen mit Romno-Hintergrund (Sinti, Roma, Manusch, …) aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit nicht nur in der Bundesrepublik, Italien, Bulgarien, sondern in ganz Europa in Angst leben müssen.“

Quelle: Beobachter News

Stand: 24.06.2019