Europa brennt

Brandanschläge und Hasskriminalität gegen Roma und Romnja in Europa

Gastbeitrag von Samuel Mago und Mirjam Karoly, Romano Centro

Ein wütender Pöbel. Häuser, die in Flammen stehen. Roma, die um ihr Leben laufen. Das sind Bilder, die wir mit Gräueltaten der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren verbinden. Heute finden wir sie in Videos auf Youtube und Facebook. In vielen Ländern Europas zählen Hasskriminalität und Brandanschläge auf Roma zum Alltag. Die Brandstifter schreien, die Roma schreien, nur die Behörden schweigen. Und die „Zigeunersiedlungen“ Europas stehen wieder einmal in Flammen.

Bereits letztes Jahr haben wir darüber berichtet, wie in Italien drei Roma-Mädchen im Alter von vier, acht und 20 Jahren bei einem Brandanschlag auf den Wohnwagen ihrer Familie ums Leben kamen. Meldungen über Attacken und Hasskriminalität gegen Roma und Romnja erreichen uns immer wieder. In einer europäischen Wertegemeinschaft, in der Menschenrechte groß geschrieben werden, sollten Szenen wie diese längst überholt und unvorstellbar sein. Und dennoch werden wir regelmäßig Zeugen von rassistisch motivierter Gewalt und Hasskriminalität. Vor allem vor dem Hintergrund des Gedenkjahres und über 70 Jahre nach dem Völkermord an Roma/Romnja und Sinti/Sintize wollen wir vor rassistischen Anschlägen und Hasskriminalität mahnen – und dem Potential dieser Gewalt die dazu führen könnte, dass sich die Geschichte wiederholt. Es ist erschreckend, dass Roma und Romnja in immer mehr europäischen Ländern nicht vor offener Hetze sicher sind und Menschen aus unserer Minderheit durch rassistische Attacken ihr Leben lassen müssen. Auch die Polizei und örtliche Behörden gehen der Hasskriminalität oftmals nicht nach und kümmern sich nicht angemessen um die rechtliche Verfolgung der Täter. In manchen Fällen sind Uniformierte sogar Zeugen oder Mittäter und greifen nicht zum Schutz der Betroffenen ein.

Hasskrimininalität gegen Roma und Romnja wird in vielen Fällen nicht zur Anzeige gebracht oder von den Behörden nicht als rassistisch motivierter Gewaltakt registriert. Im Jahre 2016 haben beispielsweise nur fünf der 57 OSZE-Staaten über Fälle von Hasskriminalität gegen Roma berichtet, was im großen Gegensatz zu den Erfahrungen der Zivilgesellschaft steht. Und nur wenige Vorfälle von Mob-Gewalt gegen Roma und Romnja erhalten internationale oder mediale Aufmerksamkeit.

Sind wir Roma nach hunderten von Jahren etwa wieder vogelfrei?


Linz, Österreich, Februar – März 2016:
innerhalb von zwei Wochen werden die Zelte obdachloser, armutsbetroffener rumänischer StaatsbürgerInnen in Brand gesteckt. Ca. 50 Personen, darunter auch Kinder sind vom Brandanschlag betroffen. Die Täter konnten nicht ausgeforscht werden.

Loshchynivka, Ukraine, August 2016:
Nachdem ein 21-jähriger Rom mit dem Verdacht des Mordes an einem neunjährigen Mädchen verhaftet wurde, versammelte sich ein Mob von 300 Personen vor Wohnhäusern von Roma-Familien in der Ortschaft. Die Roma waren geflüchtet, die Lichter brannten noch in den Häusern, als der wütende Pöbel die Fenster mit Steinen und Brandflaschen einschlug. Erschreckend ist, dass uniformierte Polizisten anstatt den Flüchtenden Hilfe zu leisten, dabei zusahen, wie die Tat verübt wurde. Viktor Paskalov, Bürgermeister der Ortschaft im Bezirk Odessa, traf sich am folgenden Tag mit 200 Bürgern, die die Aussiedlung aller dort lebenden Roma und Romnja forderten.

Gheorgheni, Rumänien, März 2017:
Nachdem Menschen aus der Zivilbevölkerung die Namen zweier minderjähriger Roma veröffentlicht hatten, die mutmaßlich an einem Diebstahl mitgewirkt haben sollen, wurden die Häuser mehrerer Roma-Familien in einem Vorort der rumänischen Stadt Gheorgheni im Bezirk Harghita in Brand gesetzt. Die Polizei hatte die Identität der mutmaßlichen Diebe nicht verifiziert, trotzdem wurde die gesamte Minderheit pauschal für vermeintlich kriminelle Handlungen Einzelner verantwortlich gemacht und Selbstjustiz seitens rechtsextremer Gruppierungen verübt. Augenzeugen zufolge hätten die Täter antiziganistische Parolen geschrien, die Roma und Romnja zunächst aus fünf Gebäuden herausgezerrt und verprügelt, bevor sie ihre Wohnhäuser in Brand steckten. Bürgermeister Zoltán Nagy reagierte mit den Worten, er würde die „unerfreuliche Tat bedauern“ und bezeichnete den Diebstahl als letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hätte. Die Brandlegung sei eine Folge der Diebstähle und der Bettelei von Roma in der Region gewesen.

Menidi, Griechenland, Juni 2017: Der tragische Tod eines 11-jährigen Jungen, der Medienberichten zufolge einem Irrläufer aus der Waffe eines Rom zu verschulden sei, war der Auslöser für einen dreitägigen Aufmarsch gegen Roma in einer Vorstadt von Athen. Im Tumult wurden Brandbomben in Häuser von Roma-Familien geworfen, die pauschal für die Tat verantwortlich gemacht wurden. Die Polizei reagierte mit Tränengas, um den Mob zurückzudrängen. Bereits in den Jahren zuvor waren Roma Opfer von solchen Attacken gewesen, allerdings nie in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt Athen. Auf einem Video kann man beobachten, wie die rechtsextremen Gruppierungen beim Aufmarschieren Parolen wie „Zigeuner! Schweine! Mörder!“ riefen.

Ein Europa der Grundrechte?

Rassistische Attacken, Hasskriminalität und Brandanschläge wie diese haben in einem Europa des 21. Jahrhunderts nichts zu suchen. Das European Roma Rights Center, Roma Organisationen in ganz Europa und auch Romano Centro, verurteilen diese Vorfälle aufs schärfste und rufen die zuständigen Behörden dazu auf, gegen rassistisch motivierte Gewalt entsprechend vorzugehen.

Die jüngste Erhebung der EU-Grundrechteagentur zu Minderheiten und Diskriminierung in der Europäischen Union ergab, dass Diskriminierung, Intoleranz und Hass in der gesamten EU nach wie vor weit verbreitet sind. Dies betrifft unterschiedliche ethnische und religiöse Minderheiten und Personen mit Migrationshintergrund. Von den Befragten waren 38 % in den vergangenen fünf Jahren Opfer von Diskriminierung. Zu den am stärksten betroffenen Personengruppen zählen NordafrikanerInnen (45 %), Roma und Romnja (41 %) und AfrikanerInnen aus Ländern südlich der Sahara (39 %). Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit zur Solidarität und für gemeinsames Handeln gegen Instrumentalisierung tradierter Vorurteilsmuster die Nährboden für weiteren Hass und rassistisch motivierte Gewalt sein kann (http://fra.europa.eu/en/publication/2017/eumidis-ii-main-results).

Kriminalität muss bekämpft werden, egal welcher ethnischen oder religiösen Gruppe eine Person angehört. Dass unsere Minderheit für die Taten Einzelner pauschal verantwortlich gemacht und durch Selbstjustiz zur Rechenschaft gezogen wird, ist schier falsch. Die ungebrochene Stereotypisierung von Roma und Romnja als Kriminelle, ist folgenschwer. Pogrome wie jene von Loshchynivka, Menidi und Gheorgheni dürfen nicht geduldet werden. Wir müssen jetzt handeln, bevor Europa wieder in Flammen aufgeht.

http://www.romano-centro.org/

Quelle: Zentralrat deutscher Sinti und Roma
Stand: 30.04.2018