„Ein Zeichen über die Grenzen unseres Landes hinaus“

Neue „Forschungsstelle Antiziganismus“ an der Universität – Grundlagenforschung über Diskriminierung der Sinti und Roma

Es war ein weiter Weg, an dessen Ende sich alle Beteiligten glücklich zeigten: die Universität Heidelberg, das Land Baden-Württemberg und nicht zuletzt der in Mannheim ansässige Landesverband im Verband Deutscher Sinti und Roma. Als bundesweit erste Einrichtung dieser Art wurde jetzt die „Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg“ eröffnet, die ihren Sitz im Gebäude Hauptstraße 216 an der Ecke zum Karlsplatz hat. Sie wird sich mit einem Phänomen beschäftigen, das nicht nur historisch, sondern auch noch in der Gegenwart mit negativen Auswirkungen auf eine gesellschaftliche Minderheit verbunden ist: die Diskriminierung und Verfolgung von als „fremd“ und als „Zigeuner“ wahrgenommenen Sinti und Roma.

Da die Räume der neuen Forschungsstelle für die Eröffnungsfeier nicht ausgereicht hätten, fanden sich die zahlreichen Gäste in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gegenüber ein. Unirektor Bernhard Eitel, der in seiner Ansprache auch Ehrensenator Manfred Lautenschläger und Bürgermeister Wolfgang Erichson begrüßte, bezeichnete es als großen Vorteil, dass die Forschungsstelle unter dem Dach der Universität angesiedelt ist: Das im Grundgesetz garantierte Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gewährleiste eine wissenschaftlich unabhängige Arbeit.

Darüber hinaus liege die dem Historischen Seminar der Universität zugeordnete Einrichtung nicht irgendwo isoliert, sondern mitten in der Altstadt neben vielen anderen Forschungseinrichtungen. Für die Sinti und Roma, so Eitel weiter, sei fast noch schlimmer, als diskriminiert zu werden, die Erfahrung, nicht zur Kenntnis genommen zu werden. Er hoffe, dass die Arbeit der Forschungsstelle „Treibstoff für die Zukunft“ sei. Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, deren Haus die Einrichtung mit Mitteln in Höhe von jährlich rund 220.000 Euro finanziert, unterstrich den Wunsch der Landesregierung, der geschichtlichen Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma gerecht zu werden. Die Forschung wolle „ankommen in der Öffentlichkeit und hat den Transfergedanken mit im Kern etabliert“, bekräftigte Bauer.

„Antiziganismus ist das Problem der Mehrheitsgesellschaft, nicht der Minderheit“, betonte Daniel Strauß, der Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg im Verband Deutscher Sinti und Roma, der 2013 mit dem Land einen Staatsvertrag schloss – die Grundlage für die Eröffnung der Forschungsstelle. In wenigen Wochen werde ein solcher Staatsvertrag auch mit dem Land Hessen vereinbart, kündigte er an. In einer ironischen „Anleitung zum Schreiben und Berichten über Sinti und Roma“ führte Strauß alle bekannten Stereotypen an, die über die Minderheit existieren. Um „den lästigen Debatten um ‚Zigeunerschnitzel‘ oder anderen Ausformungen politischer Korrektheit aus dem Weg zu gehen“, empfahl er potenziellen Autoren, sich idealerweise einen Angehörigen der Minderheit zu suchen, für den die Bezeichnung „Zigeuner“ okay sei, der sich „im besten Fall selbst als solcher bezeichnet“.

Für den Leiter der Forschungsstelle, den Heidelberger Zeithistoriker Prof. Edgar Wolfrum, ist es wichtig, die Geschichte der Sinti und Roma als eine Beziehungsgeschichte von Minderheit und Mehrheitsgesellschaft zu analysieren. Dabei müsse auch die eigene Position des Wissenschaftlers hinterfragt werden: „Die Selbstreflexion steht am Anfang jeder Forschung.“ Die Forschungsstelle wolle in erster Linie Grundlagenforschung betreiben, „aber nicht im stillen Kämmerlein“. Man suche die Zusammenarbeit mit anderen Forschungsinstitutionen. „Aufklärung und Normativität“ nannte Wolfrum als das Motto seiner Arbeit.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, erinnerte daran, dass Antiziganismus im Nationalsozialismus Staatsideologie war und zu den wesentlichen Voraussetzungen des Völkermords an den Sinti und Roma gehörte. Und heute? In den Medien seien „antiziganistische Zerrbilder“ allgegenwärtig, wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, wie verbreitet nach wie vor feindliche Einstellungen gegenüber der Minderheit in der deutschen Bevölkerung seien. Er dankte Ministerin Bauer dafür, dass mit der Forschungsstelle ein sichtbares Zeichen gesetzt worden sei, „das über die Grenzen unseres Landes hinaus wirkt“

Quelle: Rhein-Neckar Zeitung
Stand: 31.07.2017