Keine drei Groschen

Die Vorstellung von der „Bettelmafia“ mündet in Repression gegen BettlerInnen und ermöglicht ein gutes Gewissen beim Verweigern von Kleingeld.

„Die Bettler aus Südosteuropa, oft Roma, meist von kriminellen Organisationen ausgebeutet, werden geduldet.“ So falsch der Satz ist, so treffend spiegelt er das österreichische Bewusstsein über Roma und Betteln. Hans Rauscher schrieb ihn am 6. Februar 2015 auf die erste Seite des Standard in seinen Kommentar zum 20. Jahrestag des antiziganistischen Bombenanschlags von Oberwart. In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 hatte Franz Fuchs in der Oberwarter Romasiedlung mit einer Sprengfalle vier Menschen ermordet.

Dass die BettlerInnen geduldet würden, ist schlicht falsch, das illustrieren die anderen Texte dieses Schwerpunkts allzu anschaulich. Wo immer der Rechtsstaat nicht im Wege steht oder auf einer Polizeistube nicht allzu genau genommen wird, werden BettlerInnen mit allen Mitteln schikaniert. Die aufschlussreicheren Teile des Satzes aber sind die Einschübe: BettlerInnen seien Roma, weiß Österreich mit Rauscher, und sie würden von kriminellen Organisationen ausgebeutet.

Zum „Roma-Sein“ der BettlerInnen: Es ist stark zu bezweifeln, dass Hans Rauscher auch nur irgendwelche BettlerInnen dazu befragt hat, ob sie Roma seien. Weder ob er gefragt hat, noch ob „sie“ es sind, spielt aber eine Rolle. Er „weiß“ es einfach, und er steht nicht allein. Die schiere Fülle von Medienberichten, die „Roma“ und „Bettler“ synonym verwenden, illustriert dies alltäglich, und sie ist Einstimmung auf die Tat. Zum Beispiel: „Die seit Monaten brodelnde Auseinandersetzung um Bettler aus Rumänien in der Stadt Salzburg eskaliert. Montagnachmittag gingen zwei provisorische Roma-Lager im Stadtteil Schallmoos in Flammen auf. Unbekannte hatten Matratzen und andere Habseligkeiten in den notdürftigen Unterkünften angezündet.“ (Der Standard, 9.4.2014, S. 6)

Antiziganismus ist sprachlich flexibel

„Roma“ steht hier nur, weil Rauscher „Zigeuner“ nicht schreiben will, denn das sagt man nicht mehr. Die Nazis haben unter diesem Begriff etwa eine halbe Million Menschen ermordet. „Roma“ hingegen ist eine Selbstbezeichnung, das macht es als Wort und damit alle, die es verwenden, fast immun gegen reine Sprachkritik. Doch „Roma“ ist mehr als Selbstbezeichnung, es kann uneingeschränkt den Inhalt von „Zigeuner“ transportieren. Der ist eine Figur, die aus einer pathischen Projektion entsteht, sie ist der Kern des Antiziganismus und bezeichnet keine Menschen, sondern jene Figur, die nichts über die von AntiziganistInnen so bezeichneten Menschen, aber alles über die AntiziganistInnen sagt. In der sesshaften, nationalen Arbeitsgesellschaft müssen alle dauernd zurückstecken, Bedürfnisse bleiben unerfüllt, Wünsche müssen unterdrückt werden. Und doch gibt es die Ahnung davon, dass es eine Gesellschaft geben könnte, in der das nicht so ist. Um des alltäglichen Weitermachens willen aber darf dieser Gedanke nicht zugelassen werden, er wird abgespalten und – unter anderem – in die Zigeunerfigur projiziert. Wer mit dieser Figur identifiziert wird, wird diskriminiert, verfolgt, vertrieben oder ermordet. Daran ändert es auch nichts, wenn die Menschen, die mit ihr identifiziert werden, in der Zeitung „Roma“ genannt werden, auch wenn die Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ zu Recht und einigermaßen erfolgreich nicht zuletzt von SintiZe und RomNija und deren Verbänden kritisiert wurde und wird.

Die beiden wichtigsten Inhalte dieser projektiv erzeugten Zigeunerfigur für das Ressentiment gegen BettlerInnen sind Ortlosigkeit und Umherziehen (als Antagonismus zur nationalen Sesshaftigkeit), sowie der Lohn ohne Arbeit (als Antagonismus zum Fleiß), der unter anderem durchs Betteln, eine spezifische Form der unterstellten Nichtarbeit, erzielt würde. Beides trifft offensichtlich auf das Bild zu, das Rauscher von BettlerInnen hat. Deshalb „weiß“ er, dass sie „Roma“ seien. Den Text mit „Roma“ zu überschreiben, tut dem Antiziganismus keinen Abbruch.

Nichts bleibt

Zu den kriminellen Organisationen: Der Kampf gegen BettlerInnen wird nicht als einer gegen Einzelne geführt, sondern als einer gegen angebliche Bettelbanden oder eine „Bettelmafia“. Die Vorstellung von einer „Bettelmafia“ funktioniert so: Die Menschen, die auf Österreichs Straßen betteln, säßen dort nicht aus doppelt freien Stücken, weil sie mit dem Verkauf ihrer Arbeitskraft auf dem Markt gescheitert sind, sie keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben und Betteln eine von ganz wenigen, wenn nicht die einzige Möglichkeit ist, das nackte Überleben ein wenig länger zu sichern, sondern weil sie von ominösen Hintermännern – die im Gegensatz zu den BettlerInnen immer männlich angenommen werden – dazu gezwungen würden. Sie müssten das erbettelte Geld abgeben (das versteht Rauscher, ganz ohne Marx, unter „Ausbeutung“) und würden unter Gewaltandrohung oder -anwendung in elenden Verhältnissen gehalten.

Für die Existenz dieser „Bettelmafia“ oder ihrer Hintermänner gibt es keine Belege, trotz großen Fahndungsaufwands. Eine Anzeige der Salzburger Polizei vom September 2014, in der einem slowakischen Staatsbürger Menschenhandel zum Zweck der „Bettelei“ vorgeworfen wurde, hat die Staatsanwaltschaft zum Verdacht der Untreue zusammengestrichen, und das Verfahren wurde im Januar 2015 an die slowakischen Behörden übergeben. Natürlich erst, als der vermeintliche Hintermann, der selbst wenig luxuriös im Auto auf einer Raststätte nächtigte, tagelang durch den Boulevard gezerrt worden war.

Die Berichte darüber, dass bei Bettelnden „alle zwei, drei Stunden einer vorbeigeht und das Geld abkassiert“, werden wahrgenommen, als ob die „Bettelmafia“ den BettlerInnen das Geld abnähme. Auch wenn die Beobachtung an sich stimmt, erscheint sie in einem anderen Licht, wenn man weiß, dass in zahlreichen Bettelverboten auch geregelt ist, dass die Polizei das erbettelte Geld einziehen kann, wenn sie der Ansicht ist, die Person habe auf verbotene, d.h. etwa aggressive, organisierte oder gewerbsmäßige Weise gebettelt, und die Person kontrolliert und straft. Durch das Abgeben an wohl bekannte Personen soll erreicht werden, dass nicht die Einnahmen des ganzen Tages an die Polizei gehen, sondern nur die weniger Stunden. Wer aber von einer „Bettelmafia“ ausgeht, kann das nicht sehen, sondern sieht sein oder ihr Bild von der Mafia bestätigt.

Auch der kleinste Rest ökonomischer Rationalität müsste der Mär von der „Bettelmafia“ eine Absage erteilen: BettlerInnen berichten von höchstens niedrigen zweistelligen Eurobeträgen als Tagesverdienst. Da bleibt einfach nichts, das abgepresst werden könnte.

Ideologische Gesetzgebung

Doch die Vorstellung von der „Bettelmafia“ und den Bettelbanden hält sich hartnäckig, und sie findet zunehmend Eingang in die Gesetze. Die Wiener SPÖ beispielsweise hat im März 2010 einen Antrag in den Landtag eingebracht, der den § 2 des Wiener Landessicherheitsgesetzes, der bestimmte Formen der „Bettelei“ unter Strafe stellt, um das Betteln „in […] gewerbsmäßiger Weise“ erweitern sollte und angenommen wurde. Ganz zu Anfang der Begründung des Antrags heißt es: „In letzter Zeit treten verstärkt Personen auf, die Wien offensichtlich organisiert und ausschließlich deshalb aufsuchen, um zu betteln und sich auf diese Weise eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen.“

Im September 2009, also kein halbes Jahr vor diesem Antrag, ergab eine parlamentarische Anfrage, dass in „den vergangenen 12 Monaten“ in Wien „sechs Fälle von ‚Organisierter Bettelei‘ im Sinne des [bis dahin] geltenden Landesgesetzes festgestellt“ wurden, wobei „bisher […] in keinem der sechs Fälle dahinter stehende Organisationen bzw. Personen ausgeforscht werden“ konnten. Auch wenn die Statistik den angeblich so vielen Fällen von organisiertem Betteln in Wien widerspricht, schienen diese den Abgeordneten doch „offensichtlich“; der Antrag wurde angenommen. Dass BettlerInnen sich in der Familie oder unter Bekannten organisieren, ist allein schon notwendig, um Miete und Fahrtkosten zu sparen und aufeinander achtzugeben. Unter den aktuellen Gesetzen sind aber auch diese gar nicht mafiösen oder bandenmäßigen Formen von Organisation strafbar. Die Wahnvorstellung materialisiert sich und Leute zahlen Strafen wegen „organisierten Bettelns“ – weil sie Blickkontakt hatten.

Boykott gegen die internationale Verschwörung

Doch wenn es die „Bettelmafia“ nicht gibt, warum reden alle von ihr? Die Antwort liegt in der Suche nach den Schuldigen. Es ist ja offensichtlich, dass es den meisten Menschen, die betteln, dreckig geht. Dies ist das Ergebnis von Staat, Nation und Kapital, von Diskriminierung auf dem oder Ausschluss vom Arbeitsmarkt, von Massenarbeitslosigkeit gerade in Südosteuropa und fehlendem Zugang zu Sozialsystemen in den alten EU-Ländern. Würde das zugegeben, stünde dieses System in Frage, der ganze schöne Kapitalismus, den man doch mittragen muss, um nicht selbst abzusteigen, wäre als Ursache erkannt. Dies verhindert der „Hintermann“: Er wird bereitgestellt, um in seiner Grausamkeit, Skrupellosigkeit und Raffgier, als Mitglied einer internationalen Verschwörung die Schuld auf sich zu nehmen. Einerseits die Schuld am offensichtlichen Elend der bettelnden Menschen, andererseits die Schuld an deren Anwesenheit im schönen Österreich, wo sie, nach wie vor als „Zigeuner“ wahrgenommen und gehasst, geschäftsschädigend auf der Straße sitzen und gleichzeitig an die Möglichkeit des guten Lebens und die eigene Bedrohung vom sozialen und ökonomischen Abstieg erinnern.

Auch wenn „die Opfer sich oft nicht als solche sehen“, was etwa Gerald Tatzgern als Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels im Bundeskriminalamt besser weiß, müssen sie vor der „Mafia“ und den „Hintermännern“ geschützt werden. Die Mittel des Staates im Kampf gegen die Mafia sind Bettelverbot und Schikane, jenes der Bevölkerung ist der Boykott. Werden die bettelnden Menschen als Opfer der Mafia und so kaum noch als Menschen gesehen, hilft es, ihnen auch noch die paar überheblich hingeworfenen Cent zu verweigern. Dann nämlich, so viel ökonomische Rationalität wird auch von denen unterstellt, die glauben, beim Betteln bliebe etwas übrig, das abgepresst werden könnte, würde sich das Betteln für die Mafia nicht mehr lohnen. Almosenverweigerung fürs gute Gewissen.

Quelle: Malmoe on the web
Stand: 08.07.2015