Roma: „Sicherheit“ gibt es auf dem Balkan nicht

Am Sonnabend protestierten Roma auch auf dem Kiez gegen Abschiebungen. In den Herkunftsländern erwarten sie Elendsquartiere.

500 Menschen haben am Sonnabend für einen Abschiebestopp und ein Bleiberecht für alle Roma demonstriert. Dazu aufgerufen hatte die Gruppe „Romano Jekipe Ano Hamburg“ (Vereinigte Roma Hamburg) zusammen mit „Recht auf Stadt – never mind the papers!“ und dem bundesweiten Netzwerk „alle bleiben!“. Schon in der vergangenen Woche hatten täglich bis zu 100 Menschen vor der Ausländerbehörde protestiert.

Peggy Parnass: Diskriminierung von Roma hat Tradition

Zu Beginn der Demo sprach Peggy Parnass, Kolumnistin und Autorin, deren Eltern im KZ Treblinka ermordet wurden. Sie erinnerte an das gemeinsame Schicksal mit vielen Roma: „Unsere Eltern und Großeltern starben in KZs“, sagte sie. „Wir werden zur Zeit nicht mehr abgeschlachtet, das ist schon ein Fortschritt. Jetzt werden unsere Freunde beiseite gedrängt und diskriminiert. Das hat Tradition. Aber das darf nicht so bleiben.“

Es könne nicht sein, dass sich Hamburg einerseits als weltoffene Stadt rühme und andererseits zulasse, „dass Roma in ein unerträgliches Leben abgeschoben werden“, sagte sie im Gespräch mit dem St. Pauli Blog. “Sie wollen sich eine Existenz aufbauen und arbeiten. Aber sie werden nur geduldet und bekommen keine Arbeitserlaubnis. Dann wirft man ihnen wieder vor: Die wollen ja nicht arbeiten. Das ist ein Teufelskreis.”

Was Roma in den Balkanländern erfahren, ist “nichts als Ausgrenzung”

„Viele von uns kommen aus Staaten, die die Bundesregierung per Gesetz als ‘sichere Herkunftsländer’ erklärt hat: Mazedonien, Bosnien, Serbien. Auch das Kosovo soll als ‘sicher’ erklärt werden“, sagte Zlatko, einer der Sprecher von Vereinigte Roma, dem St. Pauli Blog. Dabei hätten die Roma die Balkanländer ja gerade deshalb verlassen, weil ihnen dort der Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung oder zur Gesundheitsversorgung weitestgehend versperrt sei. „Wir haben dort nichts als Diskriminierung erlebt, sowohl von Seiten der Behörden wie auch von der Mehrheitsbevölkerung. Die Ausgrenzung von Roma ist dort lebensbedrohlich, vor allem für Kinder und alte Menschen.“ Das werde von der Ausländerbehörde, der Justiz und den politisch Verantwortlichen in der Bürgerschaft aber einfach ignoriert. Asylanträge würden gar nicht mehr geprüft, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Hamburg macht Druck für “freiwillige Ausreise”

„alle bleiben“ zufolge sind in den kommenden fünf Wochen mindestens 17 Sammelabschiebungen vorgesehen, von denen Hunderte Menschen betroffen seien. Mit einem Schreiben an die in Sammelunterkünften lebenden Roma will Hamburg offenbar Druck für eine „freiwillige Ausreise“ machen. Die zugesandten Formulare „Meldeauflage für die Bundespolizei am Flughafen Hamburg“, in denen Fotos von den Familien mit abgedruckt seien, erwecken den Eindruck von Abschiebeanordnungen. Sie enthalten Termine und sollen zur Identifizierung bei der Zentralen Ausreisekontrolle am Flughafen vorgezeigt werden. „Der Aufenthalt gilt bis zum o.g. genannten Termin als geduldet.“ Nach Ablauf des Termins erlischt die Duldung.

Viele der Betroffenen wüssten gar nicht, was das bedeutet, so Romano Jekipe Ano. Sie stehen mit diesen Briefen vor dem Aus – obwohl sie teilweise schon seit Jahren in der Stadt leben. Nach Angaben der Roma-Vereinigung würden Roma auch dann für reisefähig erklärt, wenn sie Atteste für schwere Erkrankungen vorweisen können. Die Abschiebung werde dann ärztlich begleitet und die Rechnung dafür den Betroffenen hinterhergeschickt.

Zlatko Schmidt ist mit seiner Familie aus Serbien gekommen. „Die meisten Leute hier denken, da ist doch jetzt kein Krieg mehr und alles bestens“, sagt er. „Aber nicht für Roma. Ich habe mich auf freie Stellen beworben und bin zu Vorstellungsgesprächen gegangen. In dem Moment, wo sie sehen, dass man Roma ist, hat man keine Chance.“

Der Mythos von den “sicheren Herkunftsländern”

Eine Delegation aus Juristen und Flüchtlingsorganisationen, die 2013 Serbien besuchte und sich über die Lage der Roma informierte, bestätigte eine massive Diskriminierung. „Wir haben informelle Siedlungen gesehen, deren Häuser nur aus Sperrmüll und Pappe bestanden. Wir haben städtische Roma-Siedlungen gesehen, die seit Jahren nicht ans öffentliche Abwassernetz angeschlossen werden. Immer wieder wurde uns über die Verweigerung der Zuzahlungsbefreiung von Medikamenten für chronisch Kranke berichtet“, berichteten Mitglieder der Delegation. Roma seien auch immer wieder körperlichen Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt. Polizeilichen Schutz gebe es nicht.

Kritisch ist die Lage der Roma auch in Ländern wie Montenegro, Bosnien-Herzegowina Mazedonien und dem Kosovo. In all diesen Ländern ist mit dem Ende der Balkankriege nicht der Wohlstand ausgebrochen, eine funktionierende Verwaltung gibt es nicht.

Im Kosovo wartet das Elend

Besonders die Flucht aus dem Kosovo habe „überwiegend mit der Verarmung breiter Schichten zu tun“, so die Organisation pro asyl: „Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt von weniger als 1,40 Euro pro Tag, viele leben im absoluten Elend, darunter insbesondere die Angehörigen von diskriminierten Minderheiten wie etwa den Roma“. Viele von ihnen hätten Bezüge zu Deutschland, weil sie in der Tito-Ära schon als Gastarbeiter hier gearbeitet hätten und die Sprache sprechen oder während der Balkankriege in Deutschland Asyl suchten.

Aber noch heute gibt es im Kosovo keine funktionierenden Strukturen. „Nachdem Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien ohne ausreichende Prüfung der menschenrechtlichen Verhältnisse auf die Liste der sogenannten ‘sicheren Herkunftsstaaten’ gesetzt wurden, um damit bereits laufende Abschiebungen zu legitimieren, droht dies nun im Falle Kosovos, Montenegros und Albaniens fortgeschrieben zu werden“, so pro asyl.

Die überwiegende Mehrzahl der nichtdeutschen Roma im Bundesgebiet hat keinen rechtmäßigen Aufenthalt, sondern wird lediglich geduldet. Nach Schätzungen der Bundeszentrale für politische Bildung lebten 2011 insgesamt etwa etwa 80.000 bis 120.000 Roma in der Bundesrepublik. Inzwischen dürften es weit mehr sein.

Quelle: St. Pauli Blog
Stand: 20.07.2015