Gräbern von Sinti und Roma droht die Räumung

Zahlreichen Grabstätten von Sinti und Roma in Deutschland droht die Räumung – die Ruhefristen der Friedhöfe laufen aus. Aber für die Angehörigen sind die Gräber zugleich auch Gedenkstätten für NS-Opfer. Und die müssten erhalten werden, fordert der Verband der Sinti und Roma in Heidelberg.

Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, hat deshalb Bund und Länder am Montag aufgefordert, mehr für den Erhalt der Grabstätten von Sinti und Roma zu tun. Die Gräber seien auch Erinnerungsorte an die Opfer des Holocaust, sagte er in Heidelberg. Das findet auch Max Birkenfelder. Er hatte fünf Geschwister einst, vier von ihnen haben den Holocaust überlebt, genauso wie er selbst und beide Elternteile. Seine kleine Schwester aber wurde im KZ Radom ermordet, einem Außenlager von Majdanek in Polen. Auch mehrere Onkels und Cousins überlebten die NS-Lager nicht.

„Dann fällt unsere Familie auseinander“

„Wenn ich heute zum Grab meiner Eltern gehe, dann denke ich nicht nur an sie, sondern an alle, die den Holocaust nicht überlebt haben. Es erinnert mich daran, was mit uns Sinti und Roma damals passiert ist“, sagt Birkenfelder. „Wenn das Grab irgendwann geräumt wird, dann fällt unsere ganze Familie auseinander.“ In vier Jahren läuft die Ruhefrist für das Grab aus. Etwa 3.000 Euro müsste der 76-Jährige zahlen, wenn er die Frist verlängern will. Woher er das Geld nehmen soll, weiß der Rentner nicht.

Max Birkenfelder hat dasselbe Problem wie zurzeit viele Sinti und Roma in Deutschland. Manchmal lässt sich eine Ruhefrist noch mit Geld verlängern, manchmal nicht mal das – das liegt am jeweiligen Friedhof. Was für andere Menschen schon ärgerlich und traurig ist, erscheint vielen Sinti und Roma unerträglich. Denn in den Grabstätten ruhen die wenigen Überlebenden des Holocaust – und sie sind zugleich der Ort, derjenigen zu gedenken, von denen es keine Spuren mehr gibt und auch kein Grab. Jener Sinti und Roma, die in der NS-Zeit ermordet wurden.

Strenge Friedhofsordnung

Das Gräbergesetz sieht vor: Überlebende des Holocaust, die vor dem 31. März 1952 starben, erhalten ein sogenanntes „Ehrengrab“ mit ewigem Ruherecht. Gräber von Opfern der NS-Diktatur, die nach diesem Stichtag gestorben sind, werden hingegen wie ganz normale Grabstätten behandelt. Eine Ausnahme bilden die jüdischen Friedhöfe.
„Wenn die Gräber beseitigt werden, dann geht den Familien auch die Erinnerung verloren, an einen Teil ihrer Biografie und an die Menschen, die einem einmaligen rassistischen Verbrechen zum Opfer gefallen sind“, sagt Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Er geht noch weiter: Es handele sich bei den Stätten auch um „Lernorte“ für die Bevölkerung: Man könne durch sie begreifen, was in Deutschland einmal möglich gewesen sei und was heute unvorstellbar erscheine.

Es geht um rund 3.500 Gräber

Um die Grabstätten zu schützen, schlägt der Zentralrat vor, sie unter Denkmalschutz zu stellen oder in Ehren- oder Dauergräber umzuwandeln. Maximal um 3.500 Gräber gehe es bundesweit – ihr Erhalt sei gemessen an den 40 Millionen Euro, die etwa der Bund jährlich für Kriegsgräberfürsorge aufwende, ein „minimaler Betrag“, urteilt Rose. Nun will sich Rose bei einem Treffen mit Vertretern des Bundesrats für eine bundesweite Lösung einsetzen. Das ist ihm auch deswegen wichtig, weil er darin auch eine symbolische Anerkennung der Sinti und Roma als Opfer des NS-Regimes sieht. Auf eine Lösung hofft auch Max Birkenfelder. Ihm ist vor allem die Erinnerung an die Geschichte seiner Familie wichtig – und an dieser sollen auch Außenstehende teilhaben, findet er: „Ich möchte auf dem Grab einen Hinweis anbringen, dass meine Eltern Überlebende des Holocaust sind.“

Quelle: SWR
Stand: 07.07.2014