Über die Jenischen, eine unbekannte Minderheit

„Wir campen nicht, wir wohnen. Warum lasst ihr uns nicht?“
jenische Familie

Wagen von Fahrenden

BILD: Schnappschuss aus Tübingen, kunstvoll verzierter Wagen von Fahrenden

Antiziganismus richtet sich im deutschsprachigen Raum nicht nur gegen Sinti und Roma, sondern kann sich auch gegen die Minderheit der Jenischen richten. Die Existenz dieser Minderheit ist in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik trotzdem kaum bekannt. Nicht selten werden sie mit Sinti oder Roma verwechselt.
Generell sind die Jenischen eine soziokulturelle Minderheit, deren Mitglieder sich teilweise auch als ethnische Minderheit verstehen. Es handelt sich um „eine transnationale europäische Minderheit, deren Wurzeln bis ins Mittelalter und möglicherweise noch weiter zurückreichen“.
Jenische sind bzw. waren eine Gruppe von Fahrenden, die sich nicht den Sinti und Roma zuordnen und über eigene Traditionen und eine eigene Verständigungssprache verfügen. Unklar ist Herkunft und Entstehung dieser Gruppe. Einer Theorie nach sind die Jenischen eine im Zuge der Bauernkrieg (1520-25) aus der Schweiz ausgewanderte Volksgruppe. Viele jenische Wörter stammen aus dem Romanes, aus der jüdischen Umgangssprache, dem Jiddischen und aus dem Rotwelschen. Allerdings ist Jenisch als Sprache an der Stufe zum Aussterben. Zwar wird Jenisch in Deutschland z.B. noch in Waldachtal, einem Ortsteil Lützenhardt, gesprochen bzw. zur Verständigung genutzt. Aber es gibt insgesamt wohl nur noch einige hundert, die diese Sprache bzw. ihren Wortschatz beherrschen.
Traditionell übten durch ihre fahrende Lebensweise die Jenischen bestimmte Berufe aus. Berufe wie das Altwarensammeln, verschiedene Formen von Wanderhandwerken (Kesselflicker, Scherenschleifer, Korbflechter etc.) und den Hausierhandel. Diese Berufe verdeutlichen auch die Stellung der Jenischen als marginalisierte Minderheit und ihre gesellschaftliche Deklassierung.
In der Mehrheitsgesellschaft wurden die Jenischen, auf Grund ihrer traditionell fahrenden Lebensweise, häufig als „Zigeuner“ wahrgenommen und angefeindet und manchmal auch als „weiße Zigeuner“ bezeichnet.

Interessanterweise entstanden Gruppen mit ähnlichem Charakter fast zeitgleich in Großbritannien („Traveller“), Irland („tinker“) und Frankreich („Gens de Voyage“). Auch sie stoßen auf starke Ablehnung der ansässigen Mehrheitsgesellschaft. So lehnten in einer Umfrage 75 % der englischen Bevölkerung ansässige Traveller in ihrer Nachbarschaft ab. Durch Auswanderung gibt es auch größere Gruppen von Traveller in den USA.

Besonders im deutschsprachigen Raum ist die Minderheit der Jenischen zu finden. In Österreich sollen 35.000 Jenischen leben, genau soviel in der Schweiz, wo sie vermutlich am besten organisiert sind. Weitere Länder mit Jenischen-Minderheiten sind Frankreich und Luxemburg. Es soll auch Jenischen in Ungarn und Weißrussland geben.
Was die Zahlen der Minderheit in Deutschland betrifft, so gibt es hier sehr unterschiedliche Angaben. Sie schwanken zwischen 8.000 und 250.000. Die Bundesregierung sprach von etwa 8.000 Jenischen. Bis zu 400.000 Menschen in Deutschland sollen jenischer Abstammung sein, die wenigsten dürften sich dessen allerdings bewusst sein. In ganz Deutschland sollen noch etwa 5.000 Personen noch jenischen Traditionen leben. Heute ist die große Mehrheit der Jenischen fest ortsansässig. Nur ein paar hundert sollen noch ganzjährig fahrend sein, d.h. in einem Wohnwagen leben. Eine ältere Schätzung nennt 8-10.000 „Landfahrer“ für die alten Bundesländer, worunter aber auch Kleinzirkusleute, Schausteller und fahrende Sinti mit erfasst sein dürften. Sowieso ist der Begriff „Landfahrer“ durch eine jahrzehntelange Kriminalisierung von Fahrenden durch Behörden unter diesem Begriff zu vermeiden.
Als wichtigste Interessenorganisation der Minderheit in der Bundesrepublik gilt der „Jenische Bund in Deutschland“, der nach Eigenangaben etwa 4.000 Mitglieder haben soll.
Siedlungsschwerpunkt ist Süddeutschland. Angeblich leben bis zu 120.000 Jenische in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Traditionell leben sie hier in einzelnen, kleineren Orten oder Vierteln. Die baden-württembergische Stadt Singen gilt als Hochburg der Jenischen, wo hunderte Menschen mit jenischen Selbstverständnis leben.

Verfolgung im Nationalsozialismus
Jenische sind eine vergessene und bis heute öffentlich nicht anerkannte Opfer-Gruppe des Nationalsozialismus.
Die Jenischen wurden im Nationalsozialismus häufig auf Grund ihrer Lebensweise als „Zigeuner-Mischlinge“ oder wegen ihrer Lebensweise „als Asoziale“ bzw. „nach Zigeunerart umherziehende Personen“ kategorisiert und verfolgt. Anfangs waren sie auf Grund ihrer Lebensweise auch Opfer der frühen Asozialen-Verfolgung im Nationalsozialismus. Später wurden sie auch wegen angenommener oder tatsächlicher Sinti-Vorfahren verfolgt und ermordet.
Manchmal wurden die jenischen NS-Opfer im „Dritten Reich“ aber auch als Jenischen benannt. So wurden bei den deportierten „Kindern von Mulfingen“ die Jenischen-Kinder auch als Jenischen benannt, während die Opfer dieser Deportationen in der Geschichtsschreibung zumeist nur als Sinti benannt wurden.
Im NS-Deportationserlass gegen Sinti und Roma von 1943 wurden sie dagegen nicht noch einmal gesondert erwähnt.
Jenische NS-Opfer sind teilweise auch anhand ihres Wohnortes erkennen. Beispielsweise, wenn die Opfer aus Fichtenau im Kreis Schwäbisch Hall stammten, wo heute noch 50 Familien mit jenischem Stammbaum leben. Allein aus diesem kleinen Ort wurden fünf Jenische im KZ umgebracht.
Viele wurden ermordet oder zwangssterilisiert, die genaue Zahl der Opfer aus dieser Minderheit ist unbekannt. Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Opfern aus. Timo Adam Wagner, ein Minderheiten-Vertreter gab an, fast jede zweite Familie habe Opfer zu beklagen gehabt, „meist sogar mehrere“.

In der Schweiz wurden die Jenischen zwar nicht wie im Nationalsozialismus verfolgt und umgebracht, aber es wurden ihnen durch eine staatliche Behörde mit Zwang hunderte Kinder weggenommen.