Abschiebung bei „Nacht und Nebel“ und viele Grauzonen

Die Abschiebung eines jungen Paares aus dem Konstanzer Flüchtlingslager Steinstraße Anfang Februar wirft viele Fragen auf: Wo sind ihre Pässe geblieben? Warum wurde ihr Antrag auf Asyl nicht berücksichtigt? Was passierte mit ihrer persönlichen Habe und ihren Arbeitsentgelten? Muss der Abgeschobene in Mazedonien wegen „Verunglimpfung des mazedonischen Staates im Ausland“ ins Gefängnis, nur weil er in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat? Der Versuch einer Spurensuche um die Umstände einer Abschiebung in ein angeblich „sicheres Herkunftsland“.

Die Szene spielte sich bereits in der Nacht zum Montag, 3. Februar 2014 im Konstanzer Sammellager in der Steinstraße 20 ab. Gegen 3 Uhr fuhren mehrere Streifenwagen der Polizei vor. Einige Beamte sicherten sämtliche Ausgänge des Hauses, andere betraten das Haus durch die unverschlossene Eingangstüre. Ziel der Beamten war das Zimmer eines jungen Paares im 3. Stock. Roma aus Mazedonien. „Wir haben geschlafen, die Tür war verschlossen“, so der zur Abschiebung bestimme 25jährige, „die Polizei kam mit einem Schlüssel ins Zimmer“. Er und seine Frau seien schockiert gewesen, gibt er am Telefon eines Verwandten in Mazedonien Auskunft auf meine Fragen.
Ihr Asylverfahren sei nicht entschieden, mit einer Abschiebung haben sie nicht gerechnet. „Wir waren ahnungslos und hatten große Angst“ als Polizisten mitten in der Nacht vor ihrem Bett standen, um sie abzuholen. Zehn Minuten gaben die Beamten den Beiden um ihre Habe zu packen und fertig für den Abtransport zu sein. Die anderen Flüchtlinge im Lager liefen auf die Gänge oder verrammelten aus Angst die Türen ihrer Zimmer.
Artikel 13 des deutschen Grundgesetzes garantiert die „Unverletzlichkeit der Wohnung“. Eines von zahlreichen Grundrechten, welches Flüchtlinge nicht gewährt wird. Dennoch war das Verfahren, wie sich die Konstanzer Polizei Zutritt zum privaten Wohnbereich der Flüchtlinge verschafft, in den letzten Wochen Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Offensichtich sind die Beamten im Besitz von Schlüsseln zu den privaten Wohnbereichen der Flüchtlinge. Offiziell bestätigen will dies jedoch niemand. Der Pressesprecher des Konstanzer Polizeipräsidiums Fritz Bezikofer hat darüber, wie sich die Kollegen Zutritt zu den privaten Räumen verschaffen „keine Kenntnis“, wie er auf telefonische Anfrage Auskunft gibt. Manfred Roth, Pressesprecher des Landratsamtes Konstanz, „kann sich zu dieser Frage aus behördeninternen Gründen nicht äußern“. Solche Formulierungen sind nicht dazu geeignet das Verfahren transparent zu machen und lassen Raum für Spekulationen. Letztlich führt dies unter den Flüchtlingen zu Verunsicherung. Viele der traumatisierten Flüchtlinge lebten seit dieser Nacht in Angst, so Susanne Scheiter vom Konstanzer Bündnis Abschiebestopp.
Das Landratsamt Konstanz ist eigentlich für das Wohl der Flüchtlinge, ihre Unterbringung und Versorgung im Kreis zuständig. Seit 1999 hat es auch die Sozialbetreuung der Flüchtlinge übernommen, die zuvor behördenunabhängig durch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) organisiert wurde. Handlangertätigkeiten für die Abschiebebehörden verbieten sich da von selbst. Sollte es zutreffen, dass sich das Landratsamt aktiv oder durch Überlassen der Schlüssel zu den privaten Bereichen an den Abschiebungen beteiligt, ist dies ein eklatanter Vertrauensbruch zu den dort betreuten Flüchtlingen.
Streitpunkt: Bei der Abschiebung des Paares soll eine leitende Mitarbeiterin des Lagers nachts vor Ort gewesen sein und den Polizeibeamten Schlüssel übergeben haben. Landrat Frank Hämmerle bestreitet dies vehement. Mehrere Flüchtlinge im Lager bestehen nach wie vor darauf, die Mitarbeiterin in der Nacht gesehen zu haben. Hier steht Aussage gegen Aussage.
Das jungen Paar, so berichtet der Abgeschobene, sei noch in der Nacht von Konstanz „in einen kleinen Ort bei Stuttgart“ gebracht worden. Von dort aus wurden sie mit anderen Flüchtlingen über den Flughafen Stuttgart in die serbische Hauptstadt Belgrad abgeschoben. Die deutschen Beamten hätten ihnen weder Dokumente über die Abschiebung noch ihre Pässe ausgehändigt, die sie im Asylverfahren in Deutschland abgeben mussten.

„Straftat“ Asylantrag
Die deutsche Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, dass es in Mazedonien keine Verfolgung von Roma gibt. Unlängst wurden eine Reihe von Staaten in Afrika und Südosteuropa, darunter auch Serbien und Mazedonien, generell zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Das bereits stark eingeschränkte Grundrecht auf Asyl soll so für Roma aus diesen Ländern ganz ausgeschaltet werden.
In Belgrad gelandet seien das Flüchtlingspaar von der serbischen Polizei übernommen und weiter auf eine mazedonische Polizeistation an der Grenze gefahren worden. Drei Stunden ging dort das Verhör bei der mazedonischen Polizei, so der Rom aus dem Konstanzer Lager. Sie wurden dazu befragt, welche Fluchtgründe aus Mazedonien sie bei den deutschen Behörden geltend gemacht haben. Am Ende des Verhörs wurde ihnen eröffnet, dass sie durch den Antrag auf Asyl in Deutschland nun eine Anklage zu erwarten hätten. Der Vorwurf bedeutet übersetzt so viel wie „Verunglimpfung Mazedoniens im Ausland“.
Bereits Mitte Februar wurde der Mann deswegen, so seine Schilderung, von einem mazedonischen Gericht zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verurteilt. „Ich kann das nicht bezahlen“, klingt der Mann am Telefon verzweifelt. Er hat die Befürchtung, dass deswegen ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt und er verhaftet wird und ins Gefängnis muss. Diese Einschätzung ist richtig. Es stellt sich nur die Frage, ob ein Staat als sicheres Herkunftsland bezeichnet werden darf, in dem einem für einen Antrag auf Asyl in Deutschland Strafverfolgung und Gefängnis droht. Zudem verstößt schon allein der Umstand, dass gegen ihn und seine Frau ein dreijähriges Ausreiseverbot aus Mazedonien verhängt wurde gegen die Menschenrechte.

Ohne Papiere, ohne Gesundheitsversorgung und obdachlos
„Es ist eine Katastrophe“, so beginnt der junge Mann im Telefongespräch fast jeden zweiten Satz. Was er zu berichten hat, klingt tatsächlich mehr als beunruhigend. „Unsere Pässe sind noch bei den Behörden in Deutschland“, so vermutet er. „Weder die deutsche, noch die Polizei in Serbien oder Mazedonien hat sie uns ausgehändigt“, beklagt er weiter. Hingegen wurde ihnen schon beim ersten Verhör in Mazedonien mitgeteilt, dass die Krankenkasse sie als Versicherte gestrichen habe.
Ohne im Besitz ihrer Pässe zu sein, leben sie nun als Illegale in Mazedonien. Sie haben keinerlei Anspruch auf Unterstützung oder Sozialversorgung. Sie können ohne Papiere auch nicht arbeiten. „Ich bin ein Nichts“, ruft er ins Telefon. Das junge Paar befindet sich in Strumica im Südosten Mazedoniens nahe der Grenze zu Griechenland. Sie haben keine Wohnung und leben tagsüber auf der Straße. Nachts kommen sie bei Verwandten oder Freunden in völlig überfüllten Wohnungen unter. Es sei kalt und sie seien krank, so der Mann.
Vor allem die Frau ist bereits in Konstanz in Behandlung bei verschiedenen Ärzten gewesen. Sie hatte sogar weitere Termine in laufenden Therapien gehabt. Durch die nächtliche Abholung und Abschiebung konnte sie weder die Behandlungen fortsetzen, noch Arzttermine absagen. In Mazedonien ist unter den momentanen Umständen an eine weitere ärztliche Behandlung nicht zu denken. Sie machen sich große Sorgen auch um ihre Gesundheit.
Die Abschiebung erfolgte trotz eines so genannten Winterabschiebestopps nach Serbien, Mazedonien und in den Kosovo, der in Baden-Württemberg bis 1. März galt. Die grün-rote Landesregierung hat die „humanitäre Maßnahme“ jedoch an zahlreiche Bedingungen geknüpft. Auch das junge Paar erfüllte diese Kriterien nicht. Am Wochenende vor der Abschiebung gab es „Jahrhundertschneefälle“ mit bis zu 1,5 Metern Neuschnee in Serbien und Mazedonien.

Rechtsstaatlichkeit oder vogelfrei?
Für alle Flüchtlinge kann Schwarzfahren, das Verlassen des Bundeslandes oder Strafrechtsdelikte von minderjährigen Familienangehörigen schon ein Abschiebegrund für die ganze Familie sein. Dies ist nichts anderes als eine Art „Sippenstrafe“. Zahlreiche Sondergesetze, jenseits deutscher Rechtsstaatlichkeit und der Grund- und Bürgerrechte des Grundgesetzes, gelten für Flüchtlinge.
Nicht ganz so genau nimmt man es in den Amtsstuben scheinbar, wenn es um die Rechte und das Eigentum der Flüchtlinge selbst geht. Die Flüchtlinge leben in den staatlichen Lagern in einem Zimmer mit ihrer persönlichen Habe. Wer nachts innerhalb von zehn Minuten unter Ängsten und Anspannung neben wartenden Polizeibeamten packen muss, kann kaum mehr frei über sein Eigentum verfügen. Auf Anfrage erklärt Pressesprecher Roth vom Konstanzer Landratsamt, dass „nach den uns vorliegenden Erkenntnissen die Abgeschobenen ihre persönliche Habe mitnehmen. Sollte unabhängig davon doch etwas nicht mitgenommen werden können, obliegt es den Betroffenen, wie verfahren werden soll.“ Fragt sich nur, wie und mit wem dies in ein paar Minuten mitten in der Nacht zu regeln ist? Der Verbleib persönlicher Gegenstände in einem vollen Zimmer ist damit nicht geklärt.
Im beschriebenen Fall gibt es zudem handfeste Vorwürfe gegen das Landratsamt Konstanz. Das junge Paar hatte nach deren Angaben für das Landratsamt gearbeitet. Sie erledigten Putzdienste gegen Bezahlung in den allgemeinen Räumen in der Steinstraße 20. Solche kleinen Verdienste von Asylsuchenden im Lager sind gängige Praxis. Die Abgeschobenen beziffern ihre nicht bezahlten Entgelte dafür auf 300,- Euro. Zudem stand ihnen noch ein Anteil an Taschengeld für den Zeitraum vor der Abschiebung zu, so ihre Angaben.
Fragen zum Stand des Asylverfahrens, zum Verbleib der Pässe und persönlichen Habe, Ansprüchen wie Arbeitsentgelten und Unterhalt wird nun ein Rechtsanwalt in Deutschland klären müssen, so ein deutscher Unterstützer.
In den nächsten Wochen und Monaten ist zu erwarten, dass vom Stuttgarter Flughafen und vom Baden Airport aus zahlreiche Roma-Familien mit ihren Kindern aus Konstanz und ganz Baden-Württemberg nach Serbien, Mazedonien und in den Kosovo abgeschoben werden. Kinder, die teilweise hier seit Jahren zur Schule gehen und hier sozialisiert sind. Das Konstanzer Bündnis Abschiebestopp will diesen Kindern in den kommenden Wochen Namen und Gesichter in der Öffentlichkeit geben.
Auch der vorliegende Fall des jungen Paares aus Mazedonien zeigt, dass sich fern populistischer Stammtischparolen, der Hetze gegen Roma und den nackten Zahlen von Flucht und Abschiebung menschliches Leid und Unrecht verbirgt. In der Öffentlichkeit zeigen sich meist augenzwinkernd diskriminierende Vorurteile gegen Roma. Objektiv gibt es aber keinen Grund einem deutschen Politiker oder Landrat mehr zu vertrauen oder zu glauben, als einem einfachen Flüchtling. Der Fall zeigt, dass Roma vielerorts Sonderbehandlungen unterworfen sind oder ihnen allgemeine Rechte nicht zugestanden werden. Scheinbar nicht einmal in dem Land, dass deren Angehörige und unmittelbare Vorfahren hundertausendfach per „Befehl des Reichsführer SS“ vergast, erschossen oder erschlagen hat.

Quelle: Blog von Jürgen Weber
Stand: 07.04.2014