Ungarn: Deutsches Verdienstkreuz für umstrittenen Minister

Der ungarische Minister Balog bekam von Bundespräsident Gauck einen hohen Orden – auch wegen seines Einsatzes für Menschenrechte und Minderheiten. Doch in seiner Heimat werfen ihm Bürgerrechtler vor, er wolle in den Schulen die Isolation von Roma-Kindern wieder legalisieren.

Ungarns Minister für Humanressourcen war hocherfreut über die deutsche Auszeichnung. Zoltán Balog, 55, im Kabinett von Viktor Orbán der zweitwichtigste Mann nach dem Regierungschef, erhielt aus der Hand des deutschen Botschafters in Budapest das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, einen der höchsten deutschen Verdienstorden.

Bundespräsident Joachim Gauck wollte damit vor allem Balogs Verdienste um das deutsch-ungarische Verhältnis würdigen, denn der evangelische Pastor und gelernte Theologe engagiert sich seit Jahrzehnten im Bereich deutsch-ungarischer Kirchenkontakte.

Doch die Auszeichnung gilt explizit auch Balogs Wirken für Minderheiten, wie es in der Begründung heißt, vor allem seinen Bemühungen um eine Verbesserung der Lage der Roma. Genau deswegen jedoch muss sich der Minister dieser Tage in Ungarn scharfe Kritik von Bürgerrechtlern und Roma-Aktivisten anhören. Sie werfen ihm vor, er wolle die Segregation von Roma-Kindern im Bildungswesen, die seit 2003 in Ungarn gesetzlich verboten ist, wieder legalisieren. Am vergangenen Sonntag demonstrierten mehrere hundert Bürgerrechtler und Roma-Aktivisten vor Balogs Ministerium, ihre Forderung lautete: „Gemeinsame Schulen in einem gemeinsamen Land!“

Anlass für den Protest ist eine Gesetzesänderung, die Balog kürzlich vorgeschlagen hatte – ein ergänzender Halbsatz im Antidiskrimierungsgesetz von 2003, das ein ausdrückliches Segregationsverbot im Bildungswesen vorsieht. Die Neufassung des betreffenden Paragrafen würde die Trennung von Schülern zulassen, wenn sie „nach sachgerechter Einschätzung auf die Förderung der notwendigen gesellschaftlichen Angleichung ausgerichtet ist“.

In Ungarn reicht die Praxis der systematischen Trennung von Roma und Nicht-Roma an Schulen bis weit in die kommunistische Zeit zurück. Schon damals wurden Roma-Kinder flächendeckend zu geistig Behinderten erklärt und in Sonderschulen gesteckt. Daran änderte auch Ungarns Wende 1989/90 wenig. Trotz Segregationsverbot funktionieren selbst heute noch mehrere hundert Sonderschulen für Roma, die meisten von ihnen Einrichtungen für sogenannte „Kinder mit spezifischen Erziehungsanforderungen“ (SNI-Kinder).

Zoltán Balog kennt die Probleme aus ureigener Anschauung. Er wuchs in Nordost-Ungarn auf, wo der größte Teil der insgesamt rund 800.000 ungarischen Roma schon zu kommunistischen Zeiten in völlig verelendeten Verhältnissen lebte. Seit vielen Jahren gehört es zu Balogs erklärtem Anliegen, dabei mitzuhelfen, dass sich die Lage der Roma in Ungarn verbessert. Doch er hat etwas gegen „ideologischen Menschenrechtsaktivismus“, wie er es nennt. Er möchte die „gesellschaftliche Angleichung der Roma im begründeten Einzelfall auch mit getrenntem Lernen erreichen“.

Liberales Aushängeschild in Orbáns Regierungsmannschaft

Eigentlich gilt der Chef des „Ministeriums für menschliche Kraftquellen“, wie die sperrige Originalbezeichnung lautet, als liberales Aushängeschild in Orbáns Regierungsmehrheit. Balog engagiert sich im jüdisch-christlichen Dialog und ist einer der wenigen, der immer wieder deutliche Worte gegen Rechtsextremismus findet. Anderseits verantwortet sein Superministerium, das die Bereiche Soziales, Gesundheit, Kultur, Familie, Bildung, Minderheiten und einiges mehr umfasst, beispielsweise den Nationalen Grundlehrplan, in dem antisemitische Schriftsteller der Zwischenkriegszeit Schülern kritiklos zur Lektüre empfohlen werden. In diesem Jahr erhielten erklärte Antisemiten und Rassisten Auszeichnungen des Ministeriums. Balog hatte davon offenbar keine Ahnung. Einen, den Journalisten, notorischen Roma-Hasser und Antisemiten Ferenc Szaniszló, forderte Balog hinterher auf, seinen Medienpreis zurückzugeben. Was dieser tat. János Petrás, der Sänger der rechtsextremen Band Kárpátia, durfte seinen Verdienstorden behalten.

Um die Anerkennung der Roma in Europa voranzutreiben, hat Balog während der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2011 einen EU-Aktionsplan mitinitiiert. Doch wenn von Antiziganismus die Rede ist, sagt Balog meistens, es gebe auch Rassismus gegen Ungarn. Das „soziale Abrutschen eines Teils der Mittelklasse in Ungarn“ bezeichnete er in einem Interview mit dem österreichischen „Standard“ vor einem Jahr als „Zigeunerisierung“. Im November 2011 forderte er auf einer Konferenz im ungarischen Städtchen Esztergom junge Roma-Studenten dazu auf, sich nicht nur als Opfer zu betrachten, sondern mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Dabei fielen die Sätze: „Das größte Übel der ungarischen Gesellschaft besteht darin, dass alle Opfer sein wollen und meinen, einen Anspruch auf Entschädigung zu haben. Da sind die Holocaust-Opfer, die Opfer des Kommunismus, der Christenverfolgung, der Roma-Diskriminierung und die Opfer der eigenen Dummheit. Wenn alle Opfer sind, wer wird dann hier noch arbeiten?“

„Es stimmt“, sagt Balog im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE zum Thema Segregation, „die sachlichen Kriterien bei der Beurteilung der SNI-Kinder waren bisher ungenügend. Aber das Lernen im eigenen sozialen und ethnischen Kreis ist berechtigt, wenn Kinder, sachlich begründet, bessere Integrationschancen haben, als wenn sie einfach unvorbereitet mit anderen Kindern vermischt werden“.

„Die Roma-Sonderschulen sind meistens in einem katastrophalen Zustand“

„Die Segregation führt dazu, dass die Roma weiterhin marginalisiert bleiben“, hält die Roma-Aktivistin Erzsébet Mohácsi dem Minister entgegen. „Die Roma-Sonderschulen sind meistens in einem katastrophalen baulichen und technischen Zustand, und sie haben ein völlig inakzeptables Bildungsangebot. In Wirklichkeit steckt hinter Zoltán Balogs Gesetzesinitiative ein Wählerinteresse, denn die Mehrheit der Ungarn will, dass die Roma-Sonderschulen bestehen bleiben.“

Erzsébet Mohácsi ist die Direktorin der Stiftung Eine Chance für benachteiligte Kinder (CFCF). Die Organisation hat in den vergangenen Jahren ein Dutzend Prozesse gegen Roma-Sonderschulen geführt und davon neun gewonnen, Anfang Januar erwirkte sie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der den ungarischen Staat wegen seiner Segregationspraxis im Fall von Roma-Kindern verurteilte.

Zoltán Balog hat seine Gesetzesinitiative wegen des Streits vorerst auf Eis gelegt und will mit Bürgerrechtlern und Roma-Aktivisten, darunter auch mit der CFCF, ab der kommenden Woche über das Thema Segregation sprechen. Der Minister lässt jedoch wenig Zweifel daran, dass er hinter seinem Konzept steht, und auch viele ungarische Roma-Aktivisten glauben nicht, dass er von seiner Linie abrücken wird. Manche werfen ihm gar „Apartheid-Politik“ vor, wie etwa Aladár Horváth, in der Wendezeit 1989/90 einer der Mitbegründer der ungarischen Roma-Bürgerrechtsbewegung.

Wie eine Politik gegen Segregation funktionieren kann, hat ein Kollege von Balog vorgemacht: János Lázár, der Kanzleichef des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Bis 2012 war er Bürgermeister der südungarischen Kleinstadt Hódmezövásárhely. Um im Ort die Trennung von Roma und Nicht-Roma an Schulen aufzuheben, ließ er einfach die Grenzen der Schulbezirke neu ziehen. Es funktionierte, wie viele Roma-Aktivisten lobten. Zoltán Balog sagt, er wolle das Modell nun auch landesweit einführen.

Im Bundespräsidialamt verweist man darauf, die Ordensverleihung sehr gründlich geprüft zu haben. Etliche Stellungnahmen wurden dazu eingeholt, unter anderem vom deutschen Zentralrat der Sinti und Roma. Dieser habe die Verleihung an Balog ausdrücklich begrüßt. Zudem wurde der Vorgang – wie üblich – vom Außenministerium und dem Kanzleramt gegengezeichnet.

Quelle: Spiegel
Stand: 31.05.2013