Von “Armutsflüchtlingen” und klugen Köpfen

Seit Wochen warnt Innenminister Friedrich vor “Armutsflüchtlingen” aus Bulgarien und Rumänien. Die NPD ist nun auf diesen Zug aufgesprungen und hetzt gegen “kriminelle Zigeuner”.

Seit der rassistischen Gewaltwelle Anfang der 1990er Jahre ist dutzende Male auf die Bedeutung der medialen und politischen Kampagne gegen Flüchtlinge hingewiesen worden. Durch reißerische Überschriften und Panikmache fühlten sich viele Rechtsextreme offenbar in ihrem Selbstbild bestätigt, den “geheimen Volkswillen” zu vollstrecken. Dass sich die Wut des Mobs dabei oft gegen türkisch-stämmige Menschen oder ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Asien richtete, ist kein Widerspruch, denn für Rassisten gilt: Asylant ist eine Chiffre für Ausländer.

Aktuell sind es “Armutsflüchtlinge” aus Bulgarien und Rumänien, vor denen die Politik warnt. Gemeint seien “Menschen besonders aus Rumänien und Bulgarien, die in anderen EU-Ländern Sozialleistungen beantragen”, erläuterte die Welt. Zahlreiche Städte und Gemeinden spüren nach Angaben der Innenminister von Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Großbritannien eine starke Belastung durch den Zuzug, da die Zuwanderer Leistungen in den Bereichen Bildung und Gesundheitsversorgung beanspruchten und ihnen darüber hinaus Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden müssten. Mit anderen Worten: Menschen suchen nicht nur nach einer besseren Zukunft, sie gehen auch noch zum Arzt, schicken ihre Kinder auf Schulen und wollen außerdem noch ein Dach über den Kopf haben…

Der Massenansturm nach der Freizügigkeit…

Friedrich hatte zuvor bereits vorgeschlagen, Rumänien und Bulgarien aus dem Schengen-Abkommen auszuschließen. Bürgermeister deutscher Städte warnten laut Welt zudem vor den Folgen einer hohen Zuwanderung ab 2014, wenn Arbeitnehmer aus beiden Ländern überall in der EU leben und arbeiten dürfen.

Es ist das alte Lied: Deutschland werde von Ausländern überrannt. So erklang es Anfang der 1990er Jahre; so schallte es vor zwei Jahren durchs Land, als die Freizügigkeit in Kraft trat. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte eine Netto-Zuwanderung von bis zu 140.000 Osteuropäern im Jahr vorhergesagt, andere Institute hatten laut Welt “gar eine Bugwelle von 800.000 Arbeitskräften in den ersten zwei Jahren nach der Freizügigkeit prophezeit”. Wie es aber nun mal so mit Vorhersagen ist, gerade im Bereich Wirtschaft und Bevölkerungsentwicklung: Sie sind zumeist schlicht falsch. Und so konnte die Welt den verängstigten Lesern Entwarnung geben:

“Der vielfach befürchtete Massenansturm von osteuropäischen Arbeitskräften auf den deutschen Arbeitsmarkt ist bislang (!) ausgeblieben. In den zwei Jahren seit Öffnung der Grenzen am 1. Mai 2011 kamen per saldo 100.856 Zuwanderer aus den acht osteuropäischen Beitrittsländern nach Deutschland. Das geht aus dem Wanderungsmonitor des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hervor.”

Trotz dieser Erfahrungen mahnt Friedrich also munter weiter – zur Freude der NPD. Die setzt gerne auf das Thema “kriminelle Ausländer” und mobilisiert insbesondere in NRW aktuell gegen die “Zigeunerflut”. Am 18. Mai liefen Neonazis in Duisburg auf, um unter dem Motto “Einmal NRW und zurück, Asyl ist kein Selbstbedienungsladen” gegen alle Menschen zu demonstrieren, die dem Weltbild der NPD zufolge nicht nach Deutschland gehören. Da ist es nur konsequent, dass die Parole “Asylmissbrauch stoppen” noch um die angebliche Gefahr durch die “Islamisierung” erweitert wurde.

Auch bei Facebook verbreitete die NPD-NRW ihre Propaganda. Ein Mitglied des Netzwerks beschwerte sich über dieses Motiv, die Antwort von Facebook:

“Danke für deinen Bericht. Wir haben das von dir gemeldete Foto geprüft und festgestellt, dass es nicht gegen die Facebook-Gemeinschaftsstandards zu Hassbotschaften, die u.a. Beiträge oder Fotos, die Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geburtslandes, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres Gesundheitszustands angreifen umfassen, verstößt.”

Die guten nach Deutschland, die schlechten ins Mittelmeer

Bundesregierung und Bundesagentur für Arbeit versuchen derweil, zwischen guten und schlechten Ausländern zu differenzieren. “Armutsflüchtlinge” will man auf keinen Fall, Fachkräfte aber schon. Doch Überraschung: Im “Wettstreit um die klügsten Köpfe” konkurriere Deutschland mit anderen Staaten, beklagte das BA-Vorstandsmitglied Becker laut Welt. “Leider ist Deutschland im Ausland noch nicht bekannt dafür, Menschen mit offenen Armen zu empfangen.” Daran müsse man noch arbeiten. Ob damit eine Imagekampagne oder eine andere Politik gemeint war, blieb offen.

Und so fördert die Bundesregierung genau das, was sie danach wieder bekämpft: Durch ihre strikte Austeritätspolitik verschärft sie die Krisen in vielen EU-Staaten und treibt die Menschen so dazu, sich dort Arbeit zu suchen, wo die Wirtschaft von dem Euro profitiert – beispielsweise in Deutschland. Derzeit ziehen nämlich vor allem junge Menschen aus Spanien und Portugal nach Deutschland.

Die erwünschten fertig ausgebildeten und hochqualifizierten “klugen Köpfe” schreckt die Bundesrepublik hingegen durch ihr “Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern” (Zuwanderungsgesetz) ab. NSU-Terrorserie – an dem die “Integrationsunwilligen” laut der wichtigsten konservativen Zeitung in Deutschland mitschuldig sein sollen – und Nazi-Schläger sowie institutioneller Rassismus erledigen den Rest.

Grundrechte – mehr als Verfassungsfolklore?

Angesichts der Einteilung in “gute” und “schlechte” Ausländer, in “integrationswillige” und willige sowie in Armutsflüchtlinge und kluge Köpfe lohnt sich mal wieder ein Blick ins Grundgesetz. Da steht ganz am Anfang: Die Würde des Menschen ist unantastbar – das gilt übrigens für alle Menschen.

Quelle: Publikative.org
Stand: 20.05.2013

Von “Armutsflüchtlingen” und klugen Köpfen

Seit Wochen warnt Innenminister Friedrich vor “Armutsflüchtlingen” aus Bulgarien und Rumänien. Die NPD ist nun auf diesen Zug aufgesprungen und hetzt gegen “kriminelle Zigeuner”.

Seit der rassistischen Gewaltwelle Anfang der 1990er Jahre ist dutzende Male auf die Bedeutung der medialen und politischen Kampagne gegen Flüchtlinge hingewiesen worden. Durch reißerische Überschriften und Panikmache fühlten sich viele Rechtsextreme offenbar in ihrem Selbstbild bestätigt, den “geheimen Volkswillen” zu vollstrecken. Dass sich die Wut des Mobs dabei oft gegen türkisch-stämmige Menschen oder ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Asien richtete, ist kein Widerspruch, denn für Rassisten gilt: Asylant ist eine Chiffre für Ausländer.

Aktuell sind es “Armutsflüchtlinge” aus Bulgarien und Rumänien, vor denen die Politik warnt. Gemeint seien “Menschen besonders aus Rumänien und Bulgarien, die in anderen EU-Ländern Sozialleistungen beantragen”, erläuterte die Welt. Zahlreiche Städte und Gemeinden spüren nach Angaben der Innenminister von Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Großbritannien eine starke Belastung durch den Zuzug, da die Zuwanderer Leistungen in den Bereichen Bildung und Gesundheitsversorgung beanspruchten und ihnen darüber hinaus Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden müssten. Mit anderen Worten: Menschen suchen nicht nur nach einer besseren Zukunft, sie gehen auch noch zum Arzt, schicken ihre Kinder auf Schulen und wollen außerdem noch ein Dach über den Kopf haben…

Der Massenansturm nach der Freizügigkeit…

Friedrich hatte zuvor bereits vorgeschlagen, Rumänien und Bulgarien aus dem Schengen-Abkommen auszuschließen. Bürgermeister deutscher Städte warnten laut Welt zudem vor den Folgen einer hohen Zuwanderung ab 2014, wenn Arbeitnehmer aus beiden Ländern überall in der EU leben und arbeiten dürfen.

Es ist das alte Lied: Deutschland werde von Ausländern überrannt. So erklang es Anfang der 1990er Jahre; so schallte es vor zwei Jahren durchs Land, als die Freizügigkeit in Kraft trat. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte eine Netto-Zuwanderung von bis zu 140.000 Osteuropäern im Jahr vorhergesagt, andere Institute hatten laut Welt “gar eine Bugwelle von 800.000 Arbeitskräften in den ersten zwei Jahren nach der Freizügigkeit prophezeit”. Wie es aber nun mal so mit Vorhersagen ist, gerade im Bereich Wirtschaft und Bevölkerungsentwicklung: Sie sind zumeist schlicht falsch. Und so konnte die Welt den verängstigten Lesern Entwarnung geben: Continue reading Von “Armutsflüchtlingen” und klugen Köpfen