Im Ring mit den Mördern

Keiner beherrschte den Boxring so spielerisch wie er: Der tänzelnde „Zigeunerboxer“, wie er genannt wurde, war der Liebling der Massen. Doch ab 1933 wurde Johann Rukeli Trollmann zum tragischen Helden. Das Dokudrama „Gibsy“ zeichnet ein ungewöhnliches Schicksal in Zeiten des Völkermords nach.

Ungewöhnlich ist auch der Zugang zur Geschichte dieses wahrlich extremen Lebens, das 1944 durch die Hand eines Kapos in einem Außenlager des KZ Neuengamme endete: Autor und Regisseur Eike Besuden erzählt nicht nur, wie Trollmann immer mehr zwischen die Mühlen des NS-Rassenwahns geriet. Ebenso tragend für diesen Film ist der Weg eines Sinto-Jungen aus der heruntergekommenen Altstadt Hannovers zum umjubelten, aber auch angefeindeten Deutschen Meister im Halbschwergewicht, der jäh ein Ende fand. Zumal Trollmann seinen Widerstandsgeist auch jener über Jahre antrainierten Zähigkeit und Ausdauer verdankt haben dürfte.

Doch wir lernen keine Lichtgestalt kennen, sondern einen Menschen, der seine schillernde Persönlichkeit in nicht minder überraschende Haken und Hiebe zu übersetzen wusste. Schlussendlich war Trollmann ein Kind seines Milieus. So wird auch jene untergegangene multikulturelle Welt, die Hannover und andere deutsche Großstädte vor dem Zweiten Weltkrieg prägten, wieder zum Leben erweckt.

Faustkampf gegen den „Vorzeige-Arier“

Nach jahrelangen, teils unseligen Debatten über die Rangfolge von Opfern des NS-Genozids wurde im vergangenen Oktober das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin eröffnet. Schätzungen zufolge wurden zwischen 200 000 und 500 000 Sinti und Roma in Lagern vergast oder hinter der Front im Osten erschossen. In der Roma-Sprache wird der geplante Mord, der auch in Trollmanns Kreisen wütete, mit dem Begriff Porjamos („das Verschlingen“) beschrieben. Trollmann selbst lebt seit Jahren an mehreren Gedenkorten weiter: So etwa durch einen Stolperstein vor seinem früheren Wohnhaus.

Wie es sich für einen Film, der nicht nur, aber auch einen Sportler porträtiert, gehört, setzt „Gibsy“ – die abgewandelte Form des englischen „Gipsy“ („Zigeuner“) war Trollmanns Spitzname – mit dessen „Schicksalskampf“ ein, wenngleich die Beschreibung nur einen Teil der Wahrheit wiedergibt: Die Entscheidung, wer im Juli 1933 in der Berliner Bockbierbrauerei den Faustkampf gewinnen sollte, hatte der von Nazis durchsetzte Boxverband längst getroffen. Trollmann (Hannes Wegener), dem kurz zuvor sein Titel als Deutscher Meister aberkannt worden war, hatte es gewusst. „Ich boxe heute deutsch“, sagt er seinem Trainer in dieser Schlüsselszene, bevor er gegen den „Vorzeige-Arier“ Gustav Eder in den Ring steigt.

Der Fall ins Bodenlose

Es war mehr als bittere Ironie: Qua Auflage war ihm untersagt worden, seinen tänzelnden Stil mit Schlägen aus der Distanz zu pflegen. Stattdessen geht er in einen weitgehend statischen Nahkampf, von Insidern als „Deutsch-Boxen“ tituliert. Um die Karikatur des blonden Herrenmenschen zu geben, hatte Trollmann sich die Haare blond gefärbt und die Arme weiß gepudert. Am Ende verliert er mit K.O. Und wenig später seine Boxlizenz.

Was nun? Behutsam erzählt der Film, wie Trollmann ins Bodenlose fällt, wenngleich der filigrane Faustkämpfer, Lebemann und Liebling der Frauen schon immer rassistisch motivierte Tiefschläge hinnehmen musste: 1928 wurde ihm, der schon damals zu den größten Talenten im Land gehörte, die Teilnahme an den Olympischen Spielen verweigert. Was bleibt, ist die Familie. Und später, als ihn die Polizei sucht, der Untergrund.

Wenn „Gibsy“ die Nöte, aber auch die Zuversicht unter den Trollmanns beschreibt, blickt er ins Innere einer verfolgten Minderheit, ohne Klischees zu bedienen. Doch Willkür, Gewalt und Tod werden auch vor diesem weitverzweigten und zugleich alteingesessenen Hannoveraner Clan nicht Halt machen. So verleihen nicht zuletzt die Erinnerungsberichte der Überlebenden den zwischen lebenshungrig und lebenssatt lavierenden Momentaufnahmen, die sich in mitunter etwas spröde inszenierten Spielsequenzen wiederfinden, zwangsläufig eine düstere Note.

Lektionen für die Peiniger

Für Klischees eignet sich Trollmanns Lebensweg ohnehin herzlich wenig. Als Wehrmachtssoldat wird der „Untermensch“ von Front zu Front geschickt. Doch auch das bewahrt ihn nicht vor einer Aufgabe, die grotesker nicht sein könnte: Als KZ-Häftling muss er SS-Rekruten das Boxen lehren. Spätestens jetzt zeigt sich, dass dieser Sport nicht nur sein Lebenselixier ist. Er bedeutet auch seinen Untergang, wenngleich die Geschichte noch weitergeht. Gerade in diesen kurzen, aber eindringlichen Spielszenen erweist sich die Stärke der zurückgenommenen Inszenierung.

Und doch gibt es in all den Wirren einen visionären Ruhepol, der nicht müde wird, Kraft zu schöpfen und zu geben: Es ist Trollmanns Mutter Friederike, gespielt von Hannelore Elsner. Als der Sturm vorüber ist, hockt sie in ihrem Wohnwagen vor der Stadt und blickt zurück. Mit Trauer, aber auch im unerschütterlichen Glauben an die nachwachsende Generationen.

Gibsy – Die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann. Ein Film von Eike Besuden mit Hannes Wegener und Hannelore Elsner, 90 Minuten.

Quelle: Blick nach rechts
Stand: 21.01.2013