Widerstandskämpfer mit antiziganistischer Vergangenheit

Nur wenige Menschen leisteten entschlossenen Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland. Unter diesen Widerstandskämpfern finden sich neben vielen aufrechten Personen auch einige mit zweifelhaften Motiven und Gesinnungen.
Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu. Beispielsweise waren die meisten Mitglieder der militärischen Opposition um Stauffenberg herum eher deutschnational als demokratisch motiviert. Im Stauffenberg-Kreis finden sich ehemalige begeisterte Nationalsozialisten und pragmatische Nazis. Ihnen ging es vor allem darum so viel wie möglich von Deutschland über das sich abzeichnende Kriegsende hinaus zu retten.
Auch Stauffenberg war ein Antisemit, so schreibt er 1939 in einem Brief an seine Frau über seine Erlebnisse im von Deutschland besetzten Polen:

Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohl fühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun.

Auch Antiziganismus findet sich bei Widerstandskämpfern. Ein Beispiel dafür wäre Wilhelm Leuschner (1890-1944). Der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hatte in der Weimarer Republik als Innenminister des damaligen „Volksstaates Hessen” (heutiges südliches Hessen am 21. März 1929 das „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerwesens” in den Landtag eingebracht. In der Begründung für das Gesetz hat er versprochen, die „Zigeunerplage” zu bekämpfen und auszurotten. Das Gesetz wurde am 3. April 1929 verabschiedet und orientierte sich an dem am 16. Juli 1926 im Freistaat Bayern verabschiedete „Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“. Leuschner war ein langjähriger Sozialdemokrat, er trat bereits 1913 in die SPD ein und engagierte sich weiter in der Gewerkschaft. Im Jahr 1924 zog er als SPD-Abgeordneter in den Landtag des „Volksstaates Hessen“ ein und wurde 1928 Innenminister im „Volksstaat Hessen“.
Leuschner war von Anfang an ein Gegner des Nationalsozialismus. Er wurde im Januar 1933 in den Bundesvorstand des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds“ (ADGB) gewählt und trat im April nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zum Rücktritt gezwungen, von seinem Amt als hessischer Innenminister zurück. Als Gewerkschaftsfunktionär weigerte er sich mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten und wurde deswegen inhaftiert. In den Jahren 1933 und 1934 war er ein Jahr lang in Gefängnissen und Konzentrationslagern gefangen, darunter im berüchtigten Emslandlager Börgermoor.
Nach seiner Entlassung im Juni 1934 aus dem Konzentrationslager, begann er mit dem Aufbau eines Widerstandsnetzwerks, was sich zur Schaltzentrale der illegalen Reichsleitung der deutschen Gewerkschaften entwickelte.
Leuschner kämpfte in gewerkschaftsnahen Widerstandsgruppen und unterhielt Kontakte zum „Kreisauer Kreis“ und ab 1939 auch zur Widerstandsgruppe des deutschnationalen und antisemitischen NS-Gegners Carl Friedrich Goerdeler. Nach dem geplanten Stauffenberg-Putsch war Leuschner im Schattenkabinett Beck/Goerdeler möglicherweise als Vizekanzler vorgesehen. Doch das Stauffenberg-Attentat scheiterte und Leuschner stellte sich am 16. August 1944, nachdem die Nazis seine Ehefrau als Geisel festgenommen hatten, den Behörden. Er wurde danach vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des berüchtigten Roland Freisler zum Tode verurteilt. Am 29. September 1944 wurde Wilhelm Leuschner im Strafgefängnis von Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Wie ist der Antiziganismus und die aktive NS-Gegnerschaft von Leuschner zu verstehen? Ganz einfach, sie stellen gar keinen Widerspruch dar. Man kann einerseits gegen den Nationalsozialismus sein und andererseits auch eine Minderheit diskriminieren und drangsalieren. Mehr noch, die Geschichte von Leuschner veranschaulicht das bereits in der Weimarer Republik Antiziganismus in der Bevölkerung, auch unter Sozialdemokraten, weit verbreitet war. Die Nazis haben den Antiziganismus nicht erfunden, sie konnten sogar auf bereits bestehende Gesetze zurückgreifen und diese radikalisieren bis hin zur Vernichtung.
Dass sich rassistische und sozialdarwinistische Hetze und eine SPD-Mitgliedschaft problemlos miteinander vereinbaren lassen, zeigt dieser Tage Thilo Sarrazin.