Pogromstimmung gegen Minderheit

Über 1000 Neonazis und Bürger/innen haben am Wochenende im Norden der Tschechischen Republik gegen Angehörige der Roma protestiert. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Zwei ältere Frauen spazieren mit einem kleinen Hund am Samstagvormittag durch die Straßen der nordtschechischen Glasstadt Novy Bor. Sie stoppen an einer Kreuzung vor einem leerstehenden Gebäude, schauen auf ein Plakat und diskutieren. Nach einem kurzen Gespräch reißt eine der beiden sorgfältig das Plakat von der Wand, wechselt die Straßenseite und wirft es in einen Müllcontainer. Um sie herum, ebenso wie in der gesamten Stadt, hängen noch weitere Aufkleber und Plakate, die sich gegen die neonazistische „Dělnická strana sociální spravedlnosti“ („Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit“, DSSS) und deren Rassismus gegen Roma richten. Als sie merkt, dass andere Leute stehen bleiben und schauen, schlendert die Frau mit ihrer Begleiterin weiter in Richtung Innenstadt.

Viele Menschen sind an diesem schwülen Sommertag in der rund 12.000 Einwohner zählenden Stadt unterwegs. Auch die tschechische Polizei ist mit 600 Beamten, ein Großteil Spezialeinheiten, hier und in der gesamten Region, keine 45 Minuten von der deutschen Grenze entfernt, präsent. Nicht ohne Grund. Die DSSS hat für den Tag in Novy Bor sowie in den nahe gelegenen Ortschaften Varnsdorf und Rumburk öffentliche Veranstaltungen gegen die in allen drei Städten lebende Roma-Minderheit angemeldet. Dabei kam es in den vergangenen zwei Wochen immer wieder zu pogromartigen Auseinandersetzungen und nur mit Mühe wurden Attacken auf die von Roma bewohnten Häuser unterbunden.

„Zigeuner geht arbeiten“

Auslöser waren gewalttätige Konflikte in den vergangenen Wochen. Wie die Behörden mitteilten, hatte eine Gruppe Roma Anfang August in Novy Bor den Chef eines Spielsalons angegriffen und dabei drei Personen schwer verletzt. Nur zwei Wochen später kam es zu einer weiteren Konfrontation in Rumburk, bei der eine größere Gruppe Roma vor einer Bar Jugendliche attackierte und verletzte. Seit Wochen herrscht eine aufgeheizte Stimmung in der Region. Medien berichteten, dass beim letzten Protestzug vor einer Woche Parolen wie „Zigeuner ins Gas!“ gerufen wurden.

Am frühen Nachmittag des 10. September versammeln sich rund 400 Neonazis aus ganz Tschechien und etwa 100 Einwohner am Bahnhof in Novy Bor, am Rande eines alten Industriegebietes. Unter den Teilnehmern sind auch deutsche Neonazis, die im Vorfeld in einschlägigen Foren schrieben: „Männer an die Waffen, Selbstschutzformationen aufgestellt und schützt, was der Staat nicht zu schützen vermag!“

Als sich die Demonstration unter Rufen wie „Tschechien den Tschechen“ und „Zigeuner geht arbeiten“, durch kleine Straßen in Richtung Innenstadt in Bewegung setzt, applaudieren viele Anwohner aus ihren Fenstern, andere kommen aus ihren Wohnungen und schließen sich direkt an. Nur ganz vereinzelt finden sich Gegendemonstranten ein und halten Schilder mit Sprüchen wie „Stoppt Nazismus“ in die Luft.

„Da helfen nur radikale Lösungen“

Auf einem zentralen Platz findet eine Zwischenkundgebung statt, bei der sich irritierende Szenen abspielen. Hunderte Einwohner strömen zu den Neonazis und jubeln den Rednern der DSSS zu. Sie haben keine Berührungsängste gegenüber einer Gruppierung, deren Vorläuferorganisation „Dělnická strana“ (DS) 2010 als gefährlich eingestuft und verboten worden ist. Auch die ältere Frau, die wenige Stunden vorher das antirassistische Plakat abgerissen hat, sitzt auf einer Bank und applaudiert.

Auf Nachfrage erklärt Jindřich Nestler, ein lokaler DSSS-Funktionär: „Die Leute wollen keine Zigeuner hier…“. Bevor er seinen Satz beenden kann, fällt ihm ein anderer lokaler Anführer in Thor Steinar-Kleidung und mit langen Rastalocken ins Wort: „Hier passiert soviel Scheiße und da helfen nur radikale Lösungen, um die Scheiße sofort wegzumachen.“

Vor dem heruntergekommenen mehrstöckigen Wohnhaus am Ortseingang von Novy Bor spielen Jugendliche Fußball. Es sind aus Prag angereiste Nazigegner, die dort mit Roma-Jungen kicken. Vom Eingang aus schauen ihnen junge und alte Frauen zu. Ängstlich gucken manche zur Hauptstraße. Dort haben sich Polizeibeamte postiert, aber auch eine kleine Gruppe Protestler. Ein älterer Roma spricht mit einem Fernsehteam.

Mit einer Gaspistole auf die Beamten gefeuert

Der von den Neonazis angeführte Protestmarsch führt nicht weit von dem Wohnhaus der Roma entfernt wieder zum Bahnhof. Nur die starke Polizeipräsenz verhindert, dass die aufgepeitschten Massen direkt dorthin ziehen können. Aufgebrachte Bürger beschimpfen die Einsatzkräfte. Eine kleine Gruppe von Neonazis versucht, über die Wiesen an das Haus heranzuschleichen, wird aber entdeckt. Die Polizei greift sie auf.

Die nächste Station der Neonazis an diesem Tag ist Varnsdorf. Viele fahren von Novy Bor aus mit dem Zug, andere mit Autos und auch ein vollbesetzter Reisebus ist unterwegs. Kurz vor Varnsdorf, auf einem Parkplatz in einem kleinen Waldstück, hat die Polizei Straßensperren errichtet und kontrolliert die anreisenden Neonazis. Dabei beschlagnahmen die Beamten Macheten, Messer, einen Baseballschläger und eine Axt. Wie tschechische Medien berichten, feuerte ein Neonazi in einer Vorkontrolle mit einer Gaspistole auf die Beamten und wurde verhaftet.

Der Mob hat das Sagen

In Varnsdorf spielen sich schon zu Beginn die gleichen Szenen ab wie in Novy Bor. Zwar soll hier nur eine Kundgebung stattfinden und keine Demonstration, trotzdem sammeln sich erneut mehrere Hundert Einwohner, denen die Redner der DSSS scheinbar aus dem Herz sprechen. Mitten auf dem Platz steht eine Gruppe junger Leute, die ein Transparent halten. „Wir wollen keine Gewalt, wir wollen Gerechtigkeit und Sicherheit“m steht dort. Sie werden nicht beachtet, die Menge will an diesem Tag erneut etwas anderes. Die Polizei hat sich vom Platz zurückgezogen. Der Mob hat hier das Sagen.

Kaum ist die Kundgebung für beendet erklärt, bewegt sich die Masse wie von unsichtbarer Hand gesteuert langsam in Richtung des ehemaligen Hotel „Sport“, dort leben eng zusammengepfercht viele Roma-Familien. Alle werden aufgefordert: „Los, gehen wir zu ihnen!“ Bis auf wenige Ausnahmen schließen sich die Kundgebungsteilnehmer dem Aufzug an. Die ersten jüngeren Neonazis vermummen sich. Es ist eine gruselige Atmosphäre. Die meisten reden nicht. Manche lächeln, machen Scherze. Die ganz vorne schreien Parolen. Die Menge geht schnell, es scheint ein endloser langer Aufzug, der sich durch die Straßen von Novy Bor zieht.

Neonazis sammeln Ziegelsteine und Steinbrocken

Jeder kennt das Ziel. Wohl niemand weiß, was geschehen wird. Journalisten eilen vorneweg. Es sind nur noch hundert Meter bis zum ehemaligen Hotel „Sport“ mit seinen Roma-Familien. Doch die einzige kleine Brücke vor dem Haus wird von zwei Reihen Spezialeinheiten der Polizei, einer Reiterstaffel, Hunden und zwei Fahrzeugen versperrt. Die Menge braucht etwas. Dann beginnen die ersten Protestrufe. Eine Gruppe Neonazis eilt in eine Seitenstraße und sammelt Ziegelsteinteile und Steinbrocken, um sie gegen die Sperre zu werfen. Die Polizei fährt einen Wasserwerfer vor und setzt ihn ein. Nun kommen auch Gäste einer Eckkneipe heraus und brüllen die Beamten an. Flaschen und Steine fliegen. Die Polizei setzt Lärmgranaten ein, um den Mob auseinanderzutreiben. Nach und nach gelingt es.

Von allen Seiten, aus den Straßen heraus, feuern normale Bürger, darunter auffällig viele Frauen, den Protestzug an. Doch Meter für Meter wird die Menschenmenge zurückgedrängt. Insgesamt gibt es 41 Festnahmen an diesem Tag in der Region zwischen der deutsch-tschechischen Grenze und Novy Bor. Einige Festgenommene widersetzen sich. Sie werden beklatscht.

Immobilienspekulanten locken Roma aus den Großstädten

Die Spannungen in der Region werden wohl auch in den kommenden Monaten anhalten und auch die Polizei wird die Wohnhäuser der Roma weiterhin vor Angriffen schützen müssen. Vor allem die sozialen Probleme lassen sich nicht kurzfristig und ohne umfassende Konzepte lösen. Am heutigen Montag soll es ein erstes großes Treffen zwischen Politikern, Behörden und Vertretern der Roma-Minderheit geben, um gemeinsam bestehenden Problemen begegnen zu können.

Ein wesentlicher Teil des Problems sind Immobilienspekulanten, erklärt ein Regierungsbeamter aus Prag. Sie würden in Großstädten in attraktiven Lagen Immobilien, die von Roma bewohnt werden, zu Spottpreisen aufkaufen. Gleichzeitig erwerben sie wertlose Objekte in strukturschwachen Regionen, in die sie die Roma-Familien aus den Städten mit Abfindungen anlocken. Verlierer sind die Roma. Während die Makler in den Städten die Häuser nun gewinnbringend verkaufen, kassieren sie auf dem Land noch Miete für schlechten Wohnraum. Auf der anderen Seite gewinnen Neonazis in der Region an Einfluss und können laut dem DSSS-Mann Jindřich Nestler „erfreuliche Mitgliederzuwächse“ verzeichnen.

Quelle: Blick nach Rechts
Stand: 12.09.2011