Regierungsprogramm für Roma-Integration präsentiert

Ausgrenzung soll ein Ende haben

Der Staatssekretär für sozialen Anschluss, Zol­tán Balog, stellte am vergangenen Dienstag wesentliche Aspekte des neuen Programms zur Bekämpfung der Aus­gren­zung von Roma vor. Das einzige Roma-Mitglied im Euro­päi­schen Parlament, Lívia Járóka, die Seite an Seite mit Balog saß, sagte, dass die „Roma-Frage“ eigentlich eine Frage der Ar­mut sei und nicht nur auf eine ethnische Minderheit beschränkt werden dürfe.

Arbeit und Bildung sind der Schlüssel zur Integration der Roma, die bis zu sieben Prozent an der Gesamtbevölkerung Ungarns (rund zehn Millionen) ausmachen, erklärten die Regierungsvertreter am vergangenen Don­nerstag. Das neue Programm der Regierung setzt genau da an, denn es zielt darauf ab, Zehntausende in die Arbeitswelt zurückzuführen und mehr als drei Mal so viele Roma-Studenten an die ungarischen Universitäten zu bekommen, so der Vorsitzende der Landes-Roma-Selbstverwaltung (ORÖ) und Parlamentsabgeordnete des Fidesz, Flórián Farkas. Er stellte die Grundpfeiler des neuen Regierungsprogramms zur Bekämpfung der Ausgrenzung der Roma vor.
Lívia Járóka sagte, dass die bisherigen Versuche, das Roma-Problem anzugehen, allesamt gescheitert seien. Was bisher getan wurde, war vor allem Geldverschwendung, so Járóka.
Zoltán Balog, erklärte, dass das Kabinett in der vergangenen Woche einem Ab­kom­men mit der ORÖ zugestimmt habe, der die Stra­­te­gie Ungarns zu diesem Thema beinhalte. Er war Anfang der Woche von Mi­nis­ter­­prä­sident Viktor Orbán und dem ORÖ-Vor­sitzenden Flórián Farkas unterzeichnet worden. Balog sagte, dass Lívia Járóka „die wichtigste Kämp­ferin“ im Europäischen Par­­lament für eine Integrationsstrategie der Roma sei.

Rund zwölf Millionen Roma leben in der Europäischen Union

Es leben schätzungsweise zehn bis zwölf Millionen Roma in der Europäischen Uni­on, vor allem in den neuen Mitgliedstaaten. Járóka ist das einzige Roma-Mitglied im Europäischen Parlament seit sechs Jahren. „Ich bin immer noch allein, obwohl es angesichts des Roma-Anteils an der EU-Ge­samtbevölkerung eigentlich 21 Roma-Abgeordnete geben sollte“, betonte die Politikerin. Eines der Dinge, für die sie plädierte, war die „de-Ethnifizierung“ der EU-Roma-Politik. Die Strategien zur Roma-Integration in den vergangenen 20 Jahren blieben größtenteils erfolglos, so die Abgeordnete.
Das Roma-Problem „wurde nie als territoriale Besonderheit betrachtet, sondern immer nur mit der ethnischen Zugehörigkeit verbunden“, so Járóka.

„In Ungarn haben wir drei Millionen arme Menschen. 700.000 davon mit Roma-Herkunft (…) Sie alle leben in denselben Regionen“. Diese abgelegenen Gebiete hätten sich zu unsichtbaren Stauzonen entwickelt, wo jede Generation die Armut der Eltern erbe, fügte sie hinzu. Die Abgeordnete redete denn auch einer integrierten Strategie das Wort: Die EU-Mitgliedstaaten sollten Probleme der Bildung, Lebensbedingungen, Infrastruktur und des Gesundheitswesens gebündelt ansprechen, sagte Járóka.
Rassismus und allgemein empfundene Anti­pathie gegenüber Roma sind jedoch in vielen EU-Staaten ein häufiges Problem. Auf die Frage, welche Fehler Járóka in der Roma-Politik der EU sehe, antwortete die Europa-Abgeordnete, der Text der Verträge fordere eindeutig die konsequentere Umsetzung existierender Anti-Dis­kri­mi­nierungs-Gesetze. Diese sind für die Mit­glied­staaten schon jetzt verpflichtend. Járóka merkte an, eine Untersuchung vor einigen Jahren hätte gezeigt, dass einige Mitgliedstaaten in diesem Punkt durchgefallen sind. „Ich hoffe, die Euro­päische Kommission wird hart gegen jene Mit­gliedstaaten vorgehen, die diese Gesetze nicht umsetzen“, sagte Járóka.

Vor 1990 waren 90 Prozent der ungarischen Roma berufstätig

Für Járóka ist es das Wichtigste, den Roma wie­der Arbeit zu geben. 90 Prozent der Roma seien vor 1990 berufstätig gewesen. Jetzt sei vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit unter den Roma bestimmend. Andere EU-Mitgliedstaaten erreichten allein durch die Angleichung der Lebensverhältnisse von Roma und Nicht-Roma auf regionaler Ebene bemerkenswerte Verbesse­rungen. „Die Roma und die Armen stellen eher ein Potential denn eine Gefahr dar.“ sagte Járóka. Schlimm sei, dass oft EU-Gelder bereitstünden, die Regierungen aber diese aus falscher Rücksicht auf Wählerstimmen nicht abrufen würden.
Ungarn hat die Roma-Integration zu einem der Kernelemente ihrer Ratspräsidentschaft erklärt. „Bisher hat kein Mitgliedstaat während seiner Ratspräsidentschaft dieses Thema vor den Europäischen Rat gebracht. Nun erwarten wir, dass jeder Mitgliedstaat bis Dezember einen Ak­tionsplan vorlegt“, forderte Járóka. Die Gel­der der EU wären dann auch sehr kurzfristig abrufbar. „Das Ganze ist ein sehr komplexes Thema. Der Zeitpunkt ist perfekt, wir müssen ihn nutzen. Wenn wir die ungarische Präsidentschaft bei diesem riesigen Vorhaben nicht unterstützen, mag die Chance für lange Zeit vertan sein“, fürchtete Járóka.
In Ungarn gibt es eine Besonderheit im Kom­munalwahlrecht. Staatlich anerkannte und selbsternannte Minderheiten können sich im Rahmen der Kommunalwahlen eigene Selbstverwal­tungen wählen. Unter diesen ist die Landes-Roma-Selbstverwaltung (ORÖ) mit 6.000 Ver­tretern in 2.400 Gemeinden die mit Abstand größte. „Als Roma und Abgeordneter war es für mich beruhigend zu sehen, dass Minister­präsident Viktor Orbán so schnell auf die Geschehnisse in unserem Land reagiert hat“, beschrieb ORÖ-Präsident Flórian Farkas das harte Vorgehen der Regierung gegen rechtsextreme Gruppen. „Dies ist entscheidend, allerdings ist uns allen bewusst, dass dies noch lange nicht ausreichend ist.“ „Schlagzeilen-Politik“ müsste durch praktische Bemühungen ersetzt werden, forderte Farkas.

Hunderttausend Arbeitsplätze sollen geschaffen werden

Farkas bezeichnete das Programm der Regie­rung als „das erste konkrete Programm in den vergangenen 20 Jahren“. Im Rahmen des Pro­gramms sollen 100.000 Arbeitsplätze für sozial benachteiligte, vor allem Roma-stämmige, Un­garn geschaffen werden. Dies dürfe nicht in Form von gemeinnütziger Arbeit geschehen, also Stra­ßenfegen oder ähnlichen Beschäftigungen für Empfänger von Transferleistungen. Diese würden keinen langfristigen Nutzen schaffen.
Im Rahmen des Regierungsprogramms soll es 10.000 jungen Roma ermöglicht werden, ihren Schulabschluss nachzuholen. So sollen in diesem Jahr auch 5.000 Roma Zugang zu Universitäten finden, berichtete Farkas. Derzeit würden nur rund ein Prozent der Roma-Jugendlichen an Hochschulen studieren. Insgesamt sollen drei Milliarden Forint für Stipendien bereitgestellt werden. 50.000 Roma sollen außerdem die Mög­lichkeit bekommen, Sprach- und Artiku­la­tionskurse zu belegen.
Farkas weiter: „Wir planen in verschiedenen Komitaten insgesamt 16 Hilfszentren für sozial benachteiligte Roma-Gemeinden.“ Darüber hinaus forderte er die Schaffung eines Roma-Kulturzentrums auf europäischer Ebene. Roma-Kindern sollte ihre kulturelle Herkunft vermittelt werden. Weil aus einer Studie hervorging, dass die Lebenserwartung der Roma zehn bis 15 Jahre unter dem nationalen Durchschnitt liegt, soll nun ein Team aus 2.000 Roma-Sozial­ar­beitern und Krankenschwestern zusammengestellt werden, das medizinische Untersuchungen an 150.000 Roma in rückständigen Gebieten vornimmt.

Bürgerwehren ohne staatliche Genehmigung werden künftig bestraft

Ungarn sah sich in den vergangenen Monaten immer wieder harscher Kritik ausgesetzt. Insbesondere wurde diese von wachsenden ethnischen Spannungen genährt. Die immer neuen Aktivitäten rechtsextremer Gruppen wirkten wie Katalysatoren. Staatssekretär Balog sprach von einer „negativen Angelegenheit“ im Hinblick auf die Vorkommnisse in Gyöngyöspata. Die 2.800-Einwohner-Gemeinde, in der rund 450 Roma leben, befand sich im März ungewollt im Zentrum des medialen Interesses. Die rechtsextreme „Szebb Jövõért Polgárõr Egyesület“ (Bürger­wehr für eine bessere Zukunft) „patrouillierte“ mehrere Wochen lang in der Gemeinde, um die ungarischen Einwohner vor der Zigeuner-Kri­mi­na­li­tät, wie sie es nennen, zu schützen. Ba­log wies auf die neueste Änderung des ungarischen Strafgesetzes hin. Diese stellt Bürgerwehren, die ohne staatliche Genehmigung agieren, unter Strafe.
Bis zu zwei Jahre Haftstrafe könnten nun verhängt werden. Auch würde das neue Gesetz der Polizei die Möglichkeit geben, effizienter gegen Mitglieder rechtsextremer Gruppen vorzugehen, die zwar keine Straftaten begehen, aber die Roma-Bevölkerung durch Uniformierung und Aufmachung einschüchtern, erklärte Balog. Der Staatssekretär wies zudem darauf hin, dass dieses Gesetz durch die oppositionellen Parteien MSZP und LMP unterstützt worden sei – ein seltenes Beispiel überparteilicher Einigkeit. Nur die nationalistische Jobbik-Partei habe das Gesetz abgelehnt. Dies offenbare ein klares Bild von der politischen Situation in Ungarn, erklärte Balog.

Quelle: Budapester Zeitung
Stand: 08.05.2011

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