Ewige „Sündenböcke“

Nach wie vor sind Roma rassistischen Ressentiments und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt – besonders in osteuropäischen Staaten.

Bis zu 500 000 Sinti und Roma fielen dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer. Die als „Zigeuner“ beschimpfte Volksgruppe ist heute mit acht Millionen die größte Minderheit in Europa – und wird vielerorts drangsaliert. Besonders in Osteuropa müssen die Roma häufig als „Sündenböcke“ für Krisen jeder Art herhalten und sind rassistischen Übergriffen und Gewalttaten ausgesetzt. Rechtsextreme Parteien schüren die Stimmung, hetzen gegen die „Zigeuner“, rufen verbal und manchmal auch konkret zu Gewalt auf. Bnr.de beleuchtet die Situation in verschiedenen osteuropäischen Staaten:

Bulgarien

Sinti und Roma machen in Bulgarien rund 15 Prozent der Bevölkerung aus. Von einem geregelten Erwerbsleben sind sie nahezu komplett ausgeschlossen. Ihre Arbeitslosigkeit liegt bei rund 90 Prozent. Etwa 80 Prozent von ihnen haben keine Ausbildung.

„Roma raus“ und „Arbeitslager für verurteilte Zigeuner“ fordert die von Volen Siderow im April 2005 gegründete und geführte Partei Ataka (Attacke). 2007 sprach Siderov über angeblich „bulgarophobe“ Kräfte. Siderov behauptete: „Unter dem Druck äußerer, Bulgarien feindlich gesinnter Faktoren sollen von unserem Volk 3,5 bis 4 Millionen Einwohner übrig bleiben. (…) indem man sie dem Terror seitens der Zigeunerbanden überlässt, die die bulgarische Nation Tag um Tag überfallen, berauben, vergewaltigen; die von ihnen verübten Verbrechen werden bewusst nicht ausgerottet, denn die Direktive von außen ist so, dass die Verbrechen dieser Minderheitengruppen nicht verfolgt werden.“ Bei den Parlamentswahlen 2009 erhielt die im Europäischen Parlament vertretene Partei Ataka 9,36 Prozent der Stimmen.

Erst vor wenigen Tagen, am Abend des 2. Dezember, haben Skinheads in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zwei junge Roma attackiert und dabei einen von ihnen schwer verletzt. Der Schwerverletzte wurde mit einem Schädelbruch und einer Gehirnverletzung ins Krankenhaus eingeliefert. Der Angriff ereignete sich in einem Bus im Stadtzentrum.

Slowakische Republik

In der Slowakischen Republik, vor allem im Osten des Landes, leben bis zu 500.000 Roma. Die ultranationalistische Slovenska narodna strana (Slowakische Nationalpartei SNS) zeigte auf einem Wahlplakat zu den Parlamentswahlen im Juni einen beleibten und halbnackten Roma mit Tätowierungen am ganzen Körper, stellte das gesamte Volk der Roma als arbeitsscheu dar. Unter dem Plakat prangte der Slogan „Damit wir nicht mehr jene durchfüttern, die nicht arbeiten wollen.“ Mit 5,08 Prozent der Stimmen übersprang die im Europäischen Parlament vertretene und 1990 gegründete SNS den Sprung ins Parlament. SNS-Chef Jan Slota fordert, dass „verwahrloste Romakinder“ in Erziehungsheime gesteckt werden. SNS-Vizechefin Anna Belousova verkündet: „Der Großteil jener, die nicht arbeiten wollen und am meisten aus dem Sozialsystem beziehen, sind Zigeuner“.

An einer Demonstration von slowakischen Rechtsextremisten im März 2009 nahm auch eine Abordnung der deutschen Neonazi-Truppe „Freies Netz Süd“ teil.

Die von Marian Kotleba geführte rechtsextreme Partei Slovenska pospolitos (Slowakische Gemeinschaft) marschiert regelmäßig gegen „Zigeunerkriminalität“ auf. An den Demonstrationen beteiligen sich auch Gleichgesinnte aus Tschechien und Ungarn. Slovenska pospolitos bekennt sich zum Vermächtnis des klerikal-faschistischen Tiso-Staates. Der katholische Priester Jozef Tiso hatte 1939 einen Marionetten-Staat von Hitlers Gnaden gegründet. 2009 gab Kotleba kund: „Wenn die Regierung nicht beginnt, das Zigeuner-Problem konstruktiv zu lösen, sind wir bereit, unsere Demonstrationen überall wo es notwendig ist, zu wiederholen“.

2009 wurde in der nordostslowakischen Gemeinde Ostrovany eine zwei Meter hohe Mauer errichtet, um „die Bürger“ vor „den Roma“ zu schützen.

Im vergangenen August ermordete ein Roma-feindlicher Ex-Soldat bei einem Blutbad in einem Wohnblock im Bratislavaer Stadtteil Devinska Nova Yes sechs Roma.

Tschechien

Mitglieder der tschechischen Neonazi-Partei Delnicka strana (Arbeiterpartei) stürmten im November 2008 eine von Roma bewohnte Plattenbausiedlung in der Industriestadt Litvinov. Auf Plakaten riefen die Neonazis zur „Schädlingsbekämpfung“ auf. Die Delnicka strana (DS) wurde im Februar vom obersten tschechischen Verwaltungsgericht verboten. Die Partei, so das Gericht, sei fremdenfeindlich, rassistisch, totalitär, chauvinistisch und aggressiv. Enge Verbindungen pflegte die DS zur NPD. So war ihr Führer Tomas Vandas im September 2008 Redner beim 3. „Fest der Völker“ der NPD im thüringischen Altenburg.

Die von Petra Edelmannova geführte Partei Narodni Strana forderte in einem TV-Slogan ihres Wahlkampfs zum Europäischen Parlament 2009 die „Endlösung der Zigeunerfrage“. Eine Terminologie, die bewusst an die „Endlösung der Judenfrage“ anknüpft, die die Nazis propagiert hatten. Die Hetze eskalierte in der Forderung: „Wir wollen keine Parasiten unter uns“. Im Mai 2009 war Edelmannova Gastrednerin bei einer Veranstaltung der „pro“-Bewegung in Köln. „Pro Köln“ kündigte die Rassistin als „hochkarätigen Gast“ an.

Im Oktober verurteilte das Kreisgericht in Ostrava vier junge Neonazis zu hohen Haftstrafen. Die Neonazis wurden für schuldig befunden, in der Nacht zum 19. April 2009 drei Molotow-Cocktails in das Haus einer neunköpfigen Roma-Familie in der Stadt Vitkov geschleudert zu haben. Vor dem Wurf der Brandbomben brüllten die Neonazis „So, Zigeuner, jetzt werdet ihr brennen!“ Bei dem Terror-Anschlag wurden ein Ehepaar und dessen Kleinkind schwer verletzt. Die Täter hätten mit dem Anschlag auf den 120. Geburtstag Hitlers aufmerksam machen wollen, heißt es im Gerichtsurteil.

Im vergangenen April scheiterte ein Brandanschlag auf ein von Roma bewohntes Haus in Opava. Kurz zuvor konnte ein durch Brandflaschen entfachtes Feuer im Kinderzimmer einer Roma-Familie in Ostrava rechtzeitig gelöscht werden. In Tschechien leben rund 250 000 Roma, zwei Drittel von ihnen in abgeschlossenen Ghettos.

Ungarn

Jeder sechste Ungar gab bei den Parlamentswahlen im April 2010 seine Stimme der rechtsextremen Partei Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn). Die 2003 gegründete Jobbik ist seither drittstärkste politische Kraft im Land. Wahlkampf hatte die rechtsextreme Partei unter anderem mit dem Slogan „Zigeunerkriminalität“ gemacht. Geführt wird Jobbik von Gabor Vona, einem Interviewpartner der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ Noch am Wahlabend richtete der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt eine Grußbotschaft an Vona. Voigt bekundete: „Sehr geehrter Herr Vona, liebe ungarische Kameraden … Wir stehen an Eurer Seite! Für ein freies Ungarn, Deutschland und Europa!“

Sechs Roma fielen zwischen Januar 2008 und August 2009 bei einer Mordserie zum Opfer. Den brutalen Morden gingen Märsche der Ungarischen Garde, dem zwischenzeitlich verbotenen paramilitärischen Jobbik-Flügel, durch Roma-Viertel voraus. In Ungarn leben etwa 600 000 Roma.

Rumänien

Im Parteiblatt der 1991 gegründeten Partidul Romania Mare (Großrumänienpartei ‘PRM‘) ist von „stinkenden Zigeunern“ zu lesen. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2009 errang die PRM überraschend 8,7 Prozent der Stimmen und drei Mandate. Im Straßburger Parlament ist unter anderem PRM-Parteichef Corneliu Vadim Tudor vertreten. Sein Lösungsvorschlag: „Zigeunerbanden kurzerhand liquidieren“, meinte er. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs waren etwa 12 000 Roma in Rumänien ermordet worden.

Eine Lösung des „Zigeunerproblems“ fordert die rumänische nationalistisch-orthodoxe Bewegung Noua Dreapta (Neue Rechte), die Kontakte zur deutschen NPD pflegt. „Wir wollen nichts mehr von einer Romasprache hören“, heißt es in einem programmatischen Text der 2000 gegründeten Partei. Punkt fünf der zehn aufgeführten Ziele der Noua Dreapta lautet: „Verbot der Benennung ‘Roma‘ für Zigeuner“. Domaininhaber der deutschsprachigen Homepage der Noua Dreapta ist ein Remus Gabriel Radoiu im nordrhein-westfälischen Essen.

Quelle: BNR
Stand: 10. 12. 2010