Antiziganismus, Sprachpolitik und deutscher Geist

von Benjamin Horvath

Mit „Die Beste Instanz“ rief Enissa Amani in kürzester Zeit ein Panel zusammen, um auf die unerträgliche WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ zu reagieren. Diese Reaktion war absolut notwendig, wies aber gewisse Schwächen auf.

Dass allzu viele Sendungen im deutschen Fernsehen nicht anzuschauen sind, sollte kritische Geister wenig verwundern. Die WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ vom 29. Januar 2021 konnte daraus sogar noch hervorstechen. Mit einer Talkrunde aus Personen, die weder in ihren jeweiligen Feldern noch zu gesellschaftlichen Fragen Qualität oder Expertise zeigen.

Der große Aufreger über die Sendung lag größtenteils am Beharren auf der Verwendung rassistischer Begriffe durch vier weiße Deutsche, die sich darüber beschwerten, dass heutzutage nichts mehr gesagt werden dürfe. Das Gros der Runde sprach Menschen ab, sich von diskriminierenden Begriffen verletzt zu fühlen. Kurz stach hier Micky Beisenherz als eine verhältnismäßige – jedoch nicht zu überschätzende – Stimme der Vernunft mit der Aussage heraus, man solle Worte eben ändern, wenn sich viele Leute durch diese verletzt fühlen. Er wandte jedoch passiv-aggressiv ein, ihm sei der Aufwand sich dagegen zu wehren zu groß – wohl weil er die Meinungsdiktatur schon im Nacken spürt.

Bei „Die Beste Instanz“ versammelte sich eine diverse Runde aus dem Bereich des antirassistischen Aktivismus und der Rassismus/Antisemitismus-Forschung, die dazu auch alle Mitglied einer rassistisch bzw. antisemitisch markierten Gruppe sind. Es wurde also ein kaum zu erschöpfendes Reservoir an Erfahrungen und Wissen akkumuliert, das jedoch die erste halbe Stunde zunächst die Albträume des ach-so-unterdrückten deutschen Volkstums wahr machte und sich um Sprachhygiene sorgte.

In einem irritierenden Eiertanz wurde mit Ersatzworten wie „Z-Wort“, „M-Wort“ und „N-Wort“ um rassistische Begriffe herum manövriert, die aber nach Möglichkeit selbst nicht mehr ausgesprochen werden sollen. „Zigeuner“ bspw. soll durch „rassistische Fremdbezeichnung gegen Sinti und Roma“ ersetzt werden, da dies weniger an Ersteres denken lasse. Amani bestärkte die Hoffnung, durch die Vermeidung diskriminierender Worte diese „auszuradieren“, womit – so wirkt es – die Hoffnung verbunden zu sein scheint, rassistisches Denken überhaupt abbauen zu können. Dieses Vorhaben wurde im weiteren Verlauf aber ad absurdum geführt, indem – aus unerfindlichen Gründen – auf eine diskriminierende Bezeichnung für Jüd:innen in den USA hingewiesen wurde, die in Deutschland – zum Glück – weitgehend weder bekannt ist noch ein hiesiges Äquivalent hat. Doch dem nicht genug, wurden die Zuschauer:innen danach dazu aufgerufen sich im Internet eine Übersicht anzuschauen in der weltweit existierende, vielfältige diskriminierende Begriffe aufgelistet sind.

Sprechen und Denken

Doch bereits die Prämisse dieses Abschnitts ist kritikwürdig. Die postmoderne Fixierung auf Sprache (Sprache ist Macht, durch sie wird Gewalt ausgeübt) lässt eben jenen Irrglauben zu, durch die Änderung der Sprache auch das Denken zu ändern. Dass sich niemand – oder zumindest die Wenigsten – rassistisch betiteln lassen möchten und sich in entsprechenden Situationen davon verletzt fühlen, sollte jeder zur Empathie fähigen und willigen Person einleuchten. Der simple Austausch von Worten birgt aber auch Gefahren, wie das Verhältnis zwischen „Zigeuner“ und Rom:nja beispielhaft zeigt:

Zunächst ist es notwendig klarzumachen, dass zwischen den Termini Rom:nja und „Zigeuner“ ein qualitativer Unterschied besteht. „Zigeuner“ steht für ein Stereotyp, das zwar hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, auf Rom:nja angewendet wurde. Die stereotype Zuschreibung als „Zigeuner“ hat in den wenigsten Fällen etwas mit der wirklichen Lebensrealität jener Menschen zu tun, auf die dieses Stereotyp angewendet wird. Wenn es Überschneidungen zwischen Stereotyp und Lebensrealität gibt, bemüht sich die Mehrheitsgesellschaft nicht nach den Hintergründen bestimmter Handlungen zu fragen, sondern verlagert die Gründe reflexartig ins Blut der diskriminierten Personen. In jenem Witz von Barbara Schöneberger, der in einem Einspieler bei „Die letzte Instanz“ gezeigt wurde, zeigt sich die Diskrepanz zwischen Stereotyp und Wirklichkeit. Sie fragte, was der politisch korrekte Ausdruck für Zigeuner-Soße sei. Die Antwort: Soße ohne festen Wohnsitz. Weder möchte die Mehrheitsgesellschaft anerkennen, dass die Mehrheit der Rom:nja nicht nomadisch lebt, noch hinterfragt sie, weshalb Menschen davon ausgeschlossen waren, sich an einem festen Ort niederzulassen.

Rom:nja und Angehörige anderer Gruppen wurden im NS als „Zigeuner“ und nicht als jene Menschen verfolgt, die sie individuell sind. Analog dazu wurden Jüd:innen durch den Antisemitismus zu Angehörigen einer nicht-existenten semitischen Rasse erklärt; selbst diejenigen, die nach den Regeln des Judentums nicht jüdisch waren. Um an diesem Unterschied festzuhalten, kann die Forschung auf den Terminus Antiziganismus nicht verzichten und stattdessen von „Rassismus gegen Sinti und Roma“ sprechen. Antiziganismus ist mehr als nur Rassismus. Er hat Überschneidungen mit anderen Rassismen, ist dabei aber auch eine ganz spezielle Ausformung, die sich eine lange Geschichte mit dem Antijudaismus und Antisemitismus teilt.

Ein reiner Austausch der Worte „Zigeuner“ und Rom:nja würde dieser Diskrepanz nicht gerecht werden. Durch den plumpen sprachlichen Austausch werden die Begriffe deckungsgleich und es

gibt keinen Grund mehr, die alten Stereotype nicht auch unter dem neuen Begriff zu denken. Damit landet man in der Euphemismus-Tretmühle. Die deutsche Geschichte beweist, wie wenig zielführend es ist, sich rein an Begriffen abzuarbeiten: Bereits vor wie auch nach 1945 gab es alternative, nichtsdestotrotz antiziganistische Begriffe wie „Landfahrer“ oder – sehr perfide – „MEM“ für „Mobile ethnische Minderheit“. Der neue Begriff hat die Polizeibehörden nach 1945 aber in keinster Weise davon abgehalten, „Zigeunerakten“ aus der Zeit des NS zu übernehmen. Und heutzutage schafft es sogar die NPD auf ihren Aufklebern „Sinti und Roma“ zu benutzen. Die Bild-Zeitung und ähnliche Formate gehen noch einen Schritt weiter und sprechen nur noch von „Rumänen und Bulgaren“ als Chiffre für antiziganistische Stereotype.

Dass das „Z-Wort“ für Markierte schmerzhaft ist, ist nachvollziehbar, aber es ist erstens – wie in „Die Beste Instanz“ richtig angemerkt – nicht die Aufgabe der Betroffenen, der deutschen Gesellschaft ihren Rassismus auszutreiben. Und zweitens ist – polemisch gesagt – niemandem damit geholfen, wenn in den nächsten deutschen Lagern Menschen ein „R“ statt einem „Z“ eintätowiert wird.

Der deutsche Geist

Das Schlimme an der Sendung „Die letzten Instanz“ war nicht allein die Weigerung, auf diskriminierende Begriffe zu verzichten und das sich lustig machen über jene, die dies einfordern. Es war der deutsche Geist, der die gesamte Sendung durchzog. Gleich zu Beginn werden Aktienunternehmen mit „FC“ oder „Borussia“ im Namen als „Traditionsfußball“ verkauft, die der Moderator „Weißblechdosen“-Vereinen entgegen stellt. Die Talkrunde bemängelte fehlenden Humor: Jenen klassisch deutschen Humor, der sich auf Minderheiten und Marginalisierte stürzt, statt auf die Mächtigen. Als Gesellschaft Straßennamen in Frage zu stellen, wird als Affront gegen die Traditionen gewertet und erntet gerade Mal bescheidenen Applaus. Lieber wird sich auf einen alten „Grundwerte-Katalog“ berufen, durch den auf Sprachsensibilität verzichtet werden müsse, um sich „wichtigeren Probleme“ zu widmen. Diese sind ihrer Meinung nach die viel zu harten Regelungen für Polizisten, wodurch diese sich alles gefallen lassen müssten, völlig überfordert seien und afrikanische und arabische Drogendealer ungestraft davon kämen. Der autoritäre deutsche Geist fordert härtere Gesetze, um die Polizei bzw. ihre „Schutzmänner“ zu schützen. Wegen ein paar schwarzen Schafen überhaupt auf Polizeigewalt, Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei (das eigentliche Thema des Abschnitts) einzugehen, ist die Sendezeit zu schade. Vielmehr bräuchten die ach so vielen, vielen migrantischen Menschen, die gute Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben, endlich Mal ein Stimme. Das deutsche Volk spricht nun Mal, wie das deutsche Volk denkt. Es geht also, wie Max Czolleck in „Die Beste Instanz“ sagte, um mehr als mit einer korrekten Sprache zu sprechen. Das kam in der Sendung jedoch leider deutlich zu kurz.

Quelle: Emanzipation und Frieden

Stand: 22.02.2021