„Das hier ist unsere Heimat“

In zwei Freiburger Stadtteilen leben etwa 300 Sinti – Haus an Haus, fast in einer Welt für sich. Die Gemeinschaft ist ihnen wichtig. Doch einige Häuser sollen abgerissen werden – das löst Ängste aus.

Von Jenni Rieger, SWR

Es riecht nach Lagerfeuer. Aus den Schornsteinen der einfachen Häuser im Ahornweg steigt Rauch. Er verteilt sich in der kalten Herbstluft. Vor den Eingängen lagern Holzscheite und Briketts, hoch gestapelt an den Außenwänden. Denn innen gibt es keine Zentralheizung.

„Wir haben uns daran gewöhnt“, sagt Sonja Lais, während sie ein Brikett in den Kachelofen des kleinen Wohnzimmers schiebt. „Der Ofen ist alt, die Fenster total marode, da zieht es durch. Aber trotzdem wollen wir um nichts in der Welt hier weg.“

Häuser als Wiedergutmachung

Hier, das ist der Ahornweg im Freiburger Stadtteil Lindenwäldle. Ein Dutzend Häuser etwa, vorne ein Hof, hinten ein kleiner Garten. „Nichts Besonderes vielleicht. Aber das hier ist unsere Heimat und wir wollen uns nicht vertreiben lassen“, sagt Sonja Lais. Sie ist eine Sintezza, eine Sinti-Frau. Und eine von etwa 300 Sinti, die im Ahornweg und im benachbarten Auggenerweg wohnen. In Häusern, die die Stadt Freiburg ihnen in den 1970er-Jahren zur Verfügung gestellt hat. „Als Wiedergutmachung für die Verbrechen der Naziherrschaft und mit einem Wohnrecht auf Lebenszeit“, erklärt Lais. Sie zeigt auf drei Porträtfotos: „Meine Großmutter, meine Mutter und jetzt ich.“

Zwei Generationen haben vor Lais in dieser kleinen Wohnung gewohnt. In den Nachbarhäusern leben acht ihrer Geschwister, ihre Kinder und die fünf Enkelinnen direkt nebenan. „Wir Sinti müssen zusammenbleiben, wir müssen aufeinander aufpassen.“ Das sei einfach ein Teil ihrer Kultur – und auch eine Strategie, sich zu wehren, gegen Bedrohungen von außen.

Angst vor einem Umzug

Die größte Bedrohung sehen viele der Sinti im Moment in einem Bebauungsplan, der einen Abriss der Häuser im Ahornweg vorsieht. Das gesamte Quartier Lindenwäldle soll modernisiert werden – und die alten Häuser aus den 1970er-Jahren sollen neueren, moderneren Bauten weichen. Vielen Sinti macht das Angst. Zwar garantiert die Stadt, dass sie später in die Neubauten ziehen dürfen – aber das wollen die Sinti nicht. Zu groß ist die Angst vor Veränderung, zu groß vielleicht auch das Misstrauen gegenüber den Gadje, den Nicht-Sinti, und ihren Staat.

Sterna Meinhardt ist zornig: „Wieso gibt dieser Staat, der unser Volk vernichten wollte, uns eine Wiedergutmachung, um sie dann wieder zu nehmen? Wir wollen hierbleiben. Man hat unseren Älteren damals genehmigt, hier zu wohnen. Und jetzt soll es uns weggenommen werden?“

Ob die Häuser wirklich als Wiedergutmachung an die Sinti gegeben wurden, damals, vor etwa 40 Jahren, ist nicht sicher. Man „prüfe den Vorgang“ momentan, heißt es von der Stadt. Doch die Emotionen unter den Sinti kochen hoch.

Meinhardt hat die Verfolgung und Vernichtung ihres Volkes nicht selbst erlebt. Aber die Eltern der 42-Jährigen sind Holocaust-Überlebende. Eine „Umsiedlung“, wie es hier manche nennen, würden sie nicht verkraften. Und so kämpft Meinhardt für ihre Eltern.

Im Freiburger „Radio Dreyeckland“ moderiert sie eine Sendung, die sich speziell mit den Themen der Sinti befasst. Denn diese seien zwar in Deutschland sesshaft gemacht worden, sie fühlten sich aber oft noch immer hin- und hergerissen zwischen der deutschen Kultur und der ihres eigenen Volkes. „Ich weiß, was ich als Deutsche leisten muss“, sagt die Radiomacherin. „Und ich bin auch bereit dazu, wenn ich das Sinti-Leben auch ausleben kann.“

Rückzug in die eigene Kultur

Das Sinti-Leben ausleben, im Auggener- und im Ahornweg ging das bislang gut. Im Schatten der Hochhäuser, mitten in Freiburg und doch unter sich. Viele hier arbeiten im Schrotthandel, in der Möbelrestaurierung. Die Kinder spielen zwischen den Autos und Wohnwagen auf der Straße. In die Sprache der Sinti mischen sich deutsche Brocken in breitestem Badisch. Die Sintisiedlung ist wie eine kulturelle Enklave, die hilft, die eigene Identität zu wahren, indem man hier zusammenhält, zusammen wohnt, sich nur so weit nach außen öffnet, wie es der eigenen Kultur gut tut und nötig ist. Eine Enklave, die schützt – notfalls auch mit Gewalt.

Denn nach vielen guten Gesprächen, Begegnungen und freundlichen Einladungen wird unser Team plötzlich beschimpft. Als „Nazis“, die „hier nichts zu suchen haben“. Man werde uns und unsere Kameradrohne „in den Boden stampfen“ und „platt machen“, denn „Sinti dürfen nicht gefilmt werden“. Zwei Männer bedrohen uns massiv, einer erhebt den Arm zum Schlag. Die Eskalation geschieht nicht auf Privatgrund, sondern im öffentlichen Raum. Auch Filmaufnahmen von Personen wurden zu diesem Zeitpunkt nicht gemacht. Dennoch ist die Situation aufgeheizt. Die Dreharbeiten werden abgebrochen.

Später versuchen einige Sinti zu schlichten – und zu erklären. Die Drohne habe Kriegstraumata bei einigen getriggert. Wir entschuldigen uns, falls wir unsensibel gewesen sein sollten – die Gewalt uns gegenüber jedoch wird heruntergespielt, eine Entschuldigung gibt es nicht. 

In Klischees gefangen

Am Ende bleiben Ratlosigkeit und Wut. Wut bei den Sinti, die denken, die Deutschen seien mal wieder nur gekommen, um Klischees zu filmen und über Krawalle zu berichten. Es gibt den Wunsch, den Übergriff zu verschweigen. Er werfe ein schlechtes Bild auf die Sinti.

Und Ratlosigkeit bei uns. Eine Kultur zu bewahren, vor allem eine wie die der Sinti, die von der Auslöschung bedroht war, ist wichtig. Doch dürfen für sie eigene Gesetze gelten? Alle gehen mit einem schalen Gefühl auseinander. Denn diese Begegnung hat Vorurteile bekräftigt – wohl auf beiden Seiten.

Stand: 17.02.2021

Quelle: tagessschau.de