Romafamilie nachts abgeschoben: „Das zerbricht einem das Herz“

Mitmenschlichkeit gegenüber Flüchtlingen – das hat Bundespräsident Gauck gefordert. Eine Bonner Grundschule hat das mit Leben erfüllt – und nun Freunde verloren, ohne Abschied nehmen zu können. Die Familie wurde abgeschoben. Zurück bleiben Kinder mit vielen Fragen.

„Ich habe den ganzen Abend geweint, als Dyfidana und Muhamed weg waren“, erzählt Leo. Die serbischen Kinder waren ein halbes Jahr in der gleichen Klasse wie Leo an der Ketteler Gemeinschaftsgrundschule in Bonn. Auch für Flüchtlingskinder gilt die Schulpflicht und die beiden sind gerne zum Unterricht gegangen.

Um fünf Uhr stand die Polizei vor der Tür

Am 20. Januar 2015 erschienen die Geschwister nicht zum Unterricht, was ihre Lehrerin Marijana Lovrincevic skeptisch gemacht hat. „Ihre Eltern sind 100 Prozent zuverlässig, haben die Kinder immer persönlich entschuldigt, wenn sie mal krank waren“, erzählt sie. Erst am Nachmittag erreicht sie per Handy den Vater von Dyfidana und Muhamed, der mit seiner neunköpfigen Familie am Flughafen auf den Abflug nach Serbien wartet. „Die Polizei hat die Familie ohne Vorankündigung um fünf Uhr morgens abgeholt. Ich war einen Tag später in der Wohnung und habe das Chaos gesehen. Sie haben nur einen Koffer mitgenommen.“

Die zurückgebliebenen Freunde sind schockiert

In der Wohnung stehen noch die gepackten Tornister der Kinder. „Dyfidana hatte Kekse und Lebkuchen für die Klassenkameraden eingepackt, denn sie hatte einen Tag vorher Geburtstag“, erzählt Marijana Lovrincevic. „Das zerbricht einem das Herz. Wir standen alle unter Schock.“ Leo kann schwer akzeptieren, dass seine Freunde für immer weg sein sollen. Sein Vater Simon Mauch erzählt: „Leo hat lange geweint und wir sprechen viel darüber. Ich habe die Kinder kennengelernt. Es sind ganz wunderbare Menschen, die unsere Gesellschaft bereichert hätten.“

Vater: „Hier gibt es kein Leben für uns“

Das alte Haus der Familie in Serbien wurde völlig ausgeplündert und ist abbruchreif. Sie sind jetzt in dem Haus des Großvaters von Dyfidana und Muhamed untergekommen. Die Zustände dort sind gesundheitsgefährdend: Es gibt Schimmel, zugefrorene Rohre, kaum Möbel, kein fließendes Wasser und nur einen kleinen Holzofen zum Heizen. Die Kinder sind krank geworden und vermissen ihre Freunde in Deutschland. „Wir haben hier keine Hoffnung. Hier gibt es kein Leben für uns“, sagt Idriz Zivoli, Vater der sieben Kinder. Er erzählt, dass er in Serbien als Roma keinen Job bekommt, dass seine Kinder bei den Ärzten abgewiesen werden, sein Volk diskriminiert wird.

„Die Familie hätte um hier bleiben zu können nachweisen müssen, dass die Kinder in Serbien nicht behandelt werden. Wie hätten sie das machen sollen? Das bestätigt doch kein Arzt“, sagt Marijana Lovrincevic, die nahezu täglich mit der Familie über das Handy in Kontakt steht. Sie – und auch die Kinder ihrer Klasse – stellen sich immer wieder die Frage, warum die Familie nicht bleiben konnte, warum sie bei Nacht und Nebel verschwinden musste.

Weniger als ein Prozent der Serben dürfen bleiben

Die meisten Serben müssen Deutschland wieder verlassen, denn Serbien gilt als sicheres Herkunftsland. Der Anteil der Anerkennung von Asylgründen liegt bei unter einem Prozent. Dass Familien nachts ohne Vorankündigung von der Polizei abgeholt werden, ist kein Einzelfall. „Die Betroffenen sind informiert, dass sie das Land innerhalb einer bestimmten Frist verlassen müssen“, sagt Marc Hoffmann, Sprecher der Stadt Bonn. Wer trotzdem nicht geht, wird abgeschoben. Über die Abreisezeiten entscheide nicht das Bonner Ausländeramt, sondern die Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW, so Hoffmann. Es gibt keine Vorankündigung, damit die Betroffenen nicht untertauchen können. Die frühen Abreisezeiten kommen zustande, damit die Flüchtlinge in ihrem Herkunftsland zu Zeiten ankommen, wenn die zuständigen Behörden geöffnet sind.

Keine Chance für Roma

Die hoffnungslosen Lebensumstände für Roma in der EU beschäftigen Heinz Drucks seit über 20 Jahren. Er ist Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats NRW und Flüchtlingsberater in Soest. „Roma sind massiven Diskriminierungen und rassistischen Ausgrenzungen ausgesetzt. Diese finden jedoch keine Berücksichtigung im hiesigen Asylverfahren“, sagt er. Sie hätten keine Chance, ihre Lebenslage aus eigener Kraft zu ändern, denn ihnen fehle der Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, so Drucks.

Hilfe für Familie Gas

Die Bonner wollen Familie Gas nicht im Stich lassen: Marijana Lovrincevic hat Kontakt zur serbischen Caritas aufgenommen, die die Familie mit einigen Lebensmitteln versorgt hat. Schulleiterin Christina Lang hat gemeinsam mit Ralf Knoblauch, Diakon der Pfarrgemeinde St. Thomas Morus ein Spendenkonto eingerichtet und die Kinder lassen eine Spardose bei Eltern und Lehrern rumgehen. Marijana Lovrincevic: „Vielleicht bekommen wir so viel Geld zusammen, dass Familie Gas sich ein kleines Häuschen leisten kann mit einem Garten zur Selbstversorgung. Die Gesellschaft dort können wir nicht ändern.“

Quelle: WDR
Stand: 23.02.2015