Denkmal für Sinti und Roma: Keine Opfer zweiter Klasse

Gedenken nach langem Streit: Am Mittwoch wird in Berlin ein Denkmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma eingeweiht. Lange war über Gestaltung und Kosten gestritten worden. Ein besonderes Ärgernis, denn auch heute noch werden Sinti und Roma ausgegrenzt und verfolgt.

Inmitten einer dunklen, glatten Oberfläche ein Farbtupfer: Eine Blume für abertausende ermordete Menschen. Einmal täglich versinkt sie im dampfenden Wasser, kurz darauf taucht unter gebrochenen Geigenklängen eine frische Blume auf.

Nach über zwei Jahrzehnten Wartezeit wird an diesem Mittwoch im Berliner Tiergarten, nur einen Steinwurf vom Bundestag entfernt, das Denkmal für die im Holocaust ermordeten Sinti und Roma eingeweiht.

Dass nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch Bundespräsident Joachim Gauck an der Einweihung teilnehmen, verweist auf das politische Gewicht des Termins. Lange haben Roma, Sinti und andere fahrende Völker darauf gewartet, als Opfer der Nationalsozialisten anerkannt zu werden. Der Streit um die Gestaltung des Denkmals zog sich über zwanzig Jahre hin.

Dann gleich ein Denkmal für Wale?

Angestoßen von der Journalistin Lea Rosh wurde seit den späten achtziger Jahren über ein Holocaust-Denkmal diskutiert. Auf Drängen der Initiatorin ist das 2005 eingeweihte Mahnmal zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz allerdings ausschließlich den im Nationalsozialismus ermordeten Juden gewidmet. Als deshalb 1995 ein ergänzendes Mahnmal für Sinti und Roma angedacht wurde, soll der Historiker Eberhard Jäckel gesagt haben, dann könne man auch gleich ein Denkmal gegen das Killen der Wale fordern.

Später bestritt Jäckel die Aussage gegenüber dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Dagegen vorgegangen ist er jedoch nie. Für den Zentralratsvorsitzenden Romani Rose kommt das einem Eingeständnis gleich, Jäckels Kommentar nennt er „einfach beschämend“.

Dabei hatte SS-Reichsführer Heinrich Himmler bereits 1938 – noch vor der „Endlösung der Judenfrage“ – die „endgültige Lösung der Zigeunerfrage“ angeordnet. Den Mord an circa einer halben Million Menschen (die Zahlen variieren) nennen die Roma „Porajmos“ („das Verschlingen“). Erst 1982, unter Bundeskanzler Helmut Schmidt, wurde durch die Bundesregierung der Völkermord an Sinti und Roma anerkannt. Mit dem jetzt errichteten Denkmal, so Rose zu SPIEGEL ONLINE, „bezieht die Bundesregierung direkt vor der Haustür des Deutschen Bundestages Stellung, nachdem die Ermordung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus für deutsche Historiker viele Jahre nur ein Anhängsel der Shoa war.“

Keine aufgezwungenen Gefühle

Das Denkmal, ein Wasserbecken mit einem Durchmesser von zwölf Metern, wurde vom israelischen Künstler Dani Karavan, 81, entworfen. In Nürnberg, Regensburg und Duisburg schuf Karavan bereits Arbeiten mit Bezug zum Holocaust. Für den Bundestag stellte er im Regierungsviertel eine dreißig Meter lange Glasfassade mit 19 Artikeln des Deutschen Grundgesetzes auf. International ist Karavan für seine Werke zwischen Skulptur und Landschaftsarchitektur bekannt. Auch beim Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma traf er damit den richtigen Ton. Denn gewünscht, so Rose, war nicht ein Denkmal, durch das Gefühle aufgezwungen werden, sondern ein Ort der Erinnerung und Information.

Der Entwurf Karavans für das Wasserbecken existiert bereits seit 1992. Dennoch stritten Sintivertreter untereinander jahrelang über die umlaufende Inschrift. Geeinigt hat man sich schließlich auf das Gedicht „Ausschwitz“ des Roma Santino Spinelli: „Eingefallenes Gesicht/ erloschene Augen/ kalte Lippen/ Stille/ ein zerrissenes Herz/ ohne Atem/ ohne Worte/ keine Tränen.“ Wasserbecken und Gedicht werden durch beistehende Tafeln mit einer chronologischen Dokumentation der Verfolgung ergänzt.

Finanziert wird das Denkmal vom Bund. Die Kosten stiegen in den vergangenen zwei Jahren auf einen Betrag von 2,8 Millionen Euro, denn Künstler und Berliner Verwaltung fingen an, sich zu streiten. Dem Künstler ging es um die „Heiligkeit seines Werkes“ – Ist der Stahl garantiert rostfrei? Gibt es sichtbare Schweißnähte? Ist die Farbe des Wassers wie erwünscht? – während Berlins Verwaltung Karavans Spesen- und Reisekostenabrechnungen in Frage stellte. Die Zankereien verzögerten den Bau weiter.

Ein Signal nach Europa

Immerhin – die ästhetischen Erwartungen sind erfüllt. „Ich bin vor zwei Tagen dort gewesen und habe mich sehr gefreut“, erzählt Romani Rose, „Dani Karavan hat alles genau so umgesetzt, wie wir uns das vorgestellt haben.“ Nach zwanzig Jahren Engagement hat Rose sein Ziel erreicht. „Es geht bei dem Denkmal nicht darum, Schuld auf Enkel oder Urenkel der Generation zu übertragen, die den Holocaust zu verantworten hatte.“

Vielmehr, so Rose, verstehe er das Denkmal als Signal an die EU – und vor allem an Osteuropa -, aus der Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen und die demokratischen Werte der EU weiterhin zu schützen: „Unsere Minderheit lebt in Osteuropa teilweise in sehr bedrohlichen Situationen, in denen uniformierte Rechtsextreme durch Dörfer marschieren und Menschen verängstigen.“ Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) erkennt in dem Denkmal auch eine „Aufforderung, gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma anzugehen und sich immer wieder für Menschenrechte, Toleranz und den Schutz von Minderheiten einzusetzen“.

Die Einweihung des Denkmals fällt in eine Zeit, in der sich Nachrichten über die Ausgrenzung von Sinti und Roma wieder häufen. In Ländern wie Ungarn und Montenegro, aber auch Frankreich nehmen Proteste und Gewalt gegen sie zu. Hierzulande ist die Stimmung mit der Debatte um den Anstieg der Asylbewerber vom Balkan brisant wie lange nicht mehr. Das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma verweist insofern nicht nur in die Vergangenheit – es ist hoch aktuell.

Quelle: Spiegel Online
Stand:23.10.2012