Antiziganismus in Europa: Während Bürger_innen von Marseille ungehindert von der Polizei zur Selbstjustiz greifen, um unliebsame Roma loszuwerden, können slowakische Behörden durch massiven Polizeieinsatz ein antiziganistisches Pogrom verhindern. Im bulgarischen Maglizh haben die Behörden über 30 von Roma bewohnte Häuser einreißen lassen.
Anwohner_innen des Marseiller Stadtteils Créneaux haben in der Nacht von Donnerstag auf Freitag knapp 50 Roma aus ihrem Camp vertrieben und die Unterkünfte mit allen Habseligkeiten anschließend in Brand gesetzt. Die Bürger_innen hatten bereits angekündigt, die Anwesenheit der Roma nicht länger zu dulden. Die Roma sind in Autos und Wohnwagen geflohen. Die Polizei rückte an, griff aber nicht ein. Da es nicht zu Gewalttaten gekommen sei, habe es auch keine Festnahmen gegeben, so die Logik der Behörden.
Bereits in den vergangenen Wochen hat die Polizei selbst etliche Camps räumen lassen und Hunderte Roma vertrieben. Auch die Anwohner_innen von Créneaux hätten sich von den Roma „belästigt“ gefühlt, zitiert die FAZ die zuständige Stadtteilbürgermeisterin, die Sozialistin Samia Ghali. Um dem „Stehlen“ und der „Verschmutzung“ Einhalt zu gebieten, hatten die Bürger_innen kurzerhand zur Selbstjustiz gegriffen.Das harte Vorgehen der sozialistischen Regierung unter Präsident François Hollande gegenüber Roma und die Idee, Roma mit einer Zahlung in Höhe von 300 Euro dazu zu bewegen, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, stößt bei Romavertreter_innen auf heftige Kritik. Menschenrechtsaktivist_innen rufen nun zu internationalen Protesten auf, um die ethnische Minderheit in Frankreich zu unterstützen.
Eine Vertreibung in noch größerem Umfang hatte sich der slowakische Faschist Marián Kotleba für den vergangenen Samstag vorgestellt: Der Chef der ultrarechten „Volkspartei unsere Slowakei“ (LS-NS) mobilisierte seit dem 13. September über Facebook zu einer „Aufräumaktion“ in Krásnohorské Podhradie, unterhalb der Burg Krásna Hôrka. 13.000 Leute hatte er zum Abriss der Siedlung eingeladen, 2.000 hatten zugesagt oder waren noch unentschlossen. „Genug der Worte, die Zeit der Taten ist gekommen“, schrieb Kotleba bei Facebook und: „Wenn wir 300 sind, wird vielleicht nichts passieren, aber wenn wir 3.000 sind mit Hacken und Schaufeln, dann hält uns niemand auf. Wir bitten alle, die schweres Gerät bedienen können, im Vorfeld Kontakt zu uns aufzunehmen.“
Gekommen waren schließlich nur einige Dutzend Parteianhänger, denen die Polizei keinen Zugang zur Siedlung gewährte. Kotleba hatte sich um die Anmeldung einer Veranstaltung bemüht, diese jedoch nicht erhalten. Seinem Antrag bei der Polizei auf „Sicherung der öffentlichen Ordnung“ war nicht stattgeben worden. Außerdem ist Krásnohorské Podhradie, ganz im Südosten der Slowakei gelegen, von anderen Landesteilen aus besonders schwierig zu erreichen.
Trotzdem hatte selbst die tschechische extrem rechte „Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit“ (DSSS) im Vorfeld in die Slowakei mobilisiert: „Die Burg ist vernichtet, der Abfall ist geblieben. Die Zeit der Taten hat begonnen!“ „Die DSSS Nord unterstützt die Aktion und ruft alle Nationalisten zur Teilnahme auf“. Gefolgt ist dem Aufruf niemand.
Kotleba selbst wurde am Samstagmorgen von der Polizei festgenommen und auf der Wache verhört, seine Parteikollegen wurden durch die Polizei am Betreten des Grundstücks gehindert.
Rund 900 Roma leben in illegalen Siedlungen am Fuße des Berges. Kotleba ist seit Kurzem Miteigentümer einer der Parzellen: Nach einem Brand in der mittelalterlichen Burg im März dieses Jahres, den möglicherweise rauchende Roma-Jungen aus eben jener Siedlung verursacht haben, hat der Vorbesitzer und Unterstützer der LS-NS dem Parteivorsitzenden das Grundstück mit eindeutiger Absicht vermacht. Seitdem bekundet Kotleba seine Absicht, die Häuser einzureißen. Auf den Vorschlag der Roma, das Land abzukaufen, ist er nicht eingegangen.
Kotleba, 35, war Vorsitzender der „Slowakischen Gemeinschaft – Nationale Partei“, die im März 2006 als erste Partei der Slowakei verboten wurde, weil ihre politischen Aktivitäten als verfassungswidrig eingestuft wurden. 2010 übernahm Kotleba die Führung der neugegründeten „Volkspartei unsere Slowakei“. Auch diese Partei verherrlicht den mit dem nationalsozialistischen „Deutschen Reich“ verbündeten Slowakischen Staat und bezieht sich mit ihrem Parteiemblem eindeutig auf die faschistische Hlinka-Garde, die von 1938 bis 1945 zahlreiche Gewalttaten auf Jüdinnen und Juden, Roma und politischen Gegnern des Volkspartei-Regimes beging. 1942 beteiligte sich die Garde aktiv bei den Deportationen slowakischer Juden nach Auschwitz.
Bereits am Dienstag haben die Behörden im zentralbulgarischen Städtchen Maglizh ihre Drohung wahrgemacht und 32 Häuser in einer illegalen Roma-Siedlung mit Baggern abgerissen. Der stellvertretende Bürgermeister Metodij Makov sah in der Zerstörung der Häuser kein großes Problem, da 90 % der Bewohner_innen bei Verwandten unterkommen könne. Die vier ärmsten Familien seien einstweilen in einer Schule untergebracht worden. Die Behörden haben bereits angekündigt, spätestens bis Ende April 2013 alle weiteren illegalen Bauten abzureißen. Davon werden über 220 Menschen betroffen sein.
Quelle: Publikative.org
Stand: 06.10.2012