Roma-Hetze in Tschechien

Hass auf die Nachbarn

Jedes Wochenende herrscht Belagerungszustand: Die Roma im tschechischen Varnsdorf verbarrikadieren sich in ihrem Haus, draußen marschieren die grölenden Ultrarechten auf. Am meisten Angst haben die Belagerten vor Hasstouristen aus dem Ausland – den Neonazis aus Deutschland.

Jetzt spielen es sogar schon die Kinder. „Zigeuner ins Gas“, tönt es dann mit heller Stimme. Beim ersten Mal ging Julius Danko noch ans Fenster. „Hört auf! Wisst ihr denn eigentlich, was ihr da sagt?“, rief der 49-Jährige den Nachbarskindern zu. Die spielten „Demonstranten und Polizei“ unten im Hof des ehemaligen Hotels „Sport“. Zuvor hatten sie ausgelost, wer Demonstrant sein muss. Wer will schon den „Bösen“ spielen? Auch wenn man dabei aus vollem Hals krakeelen kann. Also losen die Kinder die Rollen aus.

Das Leben hat für Julius Danko zu viele Nieten bereitgehalten. Vor gut drei Jahren hatte der Familienvater einen Herzinfarkt. Damit begann der Abstieg der Familie, der mit dem Umzug ins „Sport“ vor einem Jahr sein Ende fand. Jetzt sitzt er mit seiner fünfköpfigen Familie in einer 55-Quadratmeter-Wohnung. Über das Sofa haben sie ein Gemälde mit einer lächelnden Nackten gehängt. Auf dem Schrank hat Dankos Frau Verona mächtige Plastikblumen platziert, außerdem haben sie ein Handtuch mit buntem Urwaldvogel als Schmuck an die Wand gehämmert. „Wir haben nicht viel, aber wir machen das Beste daraus“, wischt Verona Dankova über die Diskrepanz zwischen der üppigen Nackten und dem kreischbunten Tukan hinweg.

Die Familie hat bessere Zeiten gesehen. Damals, als Verona und ihr Mann beide einen Job hatten und man in einem Haus mit Garten wohnte. Die Kinder konnten im Sommer in einem aufblasbaren Becken plantschen. „Ich hatte sogar eine kleine Tomatenzucht“, erzählt Verona Dankova. Sie lächelt dabei, aber es ist ein angespanntes Lächeln. In nicht mal zwei Stunden wird vor dem Haus das geschehen, was die Kinder im Hinterhof so oft lautstark nachspielen. In Varnsdorf wird an diesem Wintersonntag wieder marschiert.

Eigentlich haben die Demonstranten längst erreicht, was sie wollen. Die Dankos wünschen sich nur eines, dass sie hier endlich weg können. In eine Wohnung in einem sichereren Teil der Stadt, weit weg vom „Sport“ – aber wie sollen sie sich die Miete von der kleinen Invalidenrente leisten? Und vielleicht kommen dahin auch wieder die Rechten?

Normalbürger, mitten im Aufmarsch der Neonazis

Der zwölfte Hass-Aufmarsch seit September beginnt mit fröhlicher, fast südländischer Note. Das gilt zumindest für die Musik, die aus den Lautsprechern schallt. Ein Blick in die Runde lässt etwaige Urlaubsgefühle schnell erlöschen. Stiernackige Glatzköpfe, dumpfe Blicke, blank gewienerte Springerstiefel, DSSS-Fahnen. Die Marschierer tragen Secondhand-Uniformteile aus dem Army-Laden, Pullover mit markiger Aufschrift. Das übliche Szenario, wenn eine rechtsextreme Partei mobil macht.

Noch viel mehr Angst macht der Familienvater mit der modischen Jacke und dem Kleinkind auf den Schultern. Und das junge Pärchen im bunten Partnerlook, die „Gerechtigkeit ist kein Rassismus“ auf ein Schild gemalt haben. Normalbürger mitten im Aufmarsch der tschechischen Ultrarechten. Die „Arbeiterpartei für soziale Gerechtigkeit“ (DSSS) bläst auf dem Marktplatz des 16.000-Einwohner-Städtchens zum Demonstrationszug in Richtung „Sport“. Wie so oft.

Wie so oft sind auch NPD-Funktionäre aus dem benachbarten Deutschland dabei. Eine Stadträtin ist dieses Mal aus Zittau angereist. Die tschechischen und deutschen Rechtsaußen arbeiten schon seit Jahren grenzübergreifend miteinander.

Die Ultrarechten schüren den Volkszorn

Das schäbige Gebäude am Rande der Stadt hat einen traurigen Symbolcharakter erlangt. Im Sommer vergangenen Jahres überfielen Roma in einer Kneipe gut 30 Kilometer von Varnsdorf entfernt einen Gast und verletzten ihn mit Macheten. Kneipenschlägereien, die war man gewohnt. Aber ein Streit mit Messern, das war eine neue Qualität der Gewalt. So hatte alles begonnen.

Die DSSS wusste den „Volkszorn“ gut zu nutzen. Egal, dass die Bewohner aus dem „Sport“ nichts mit dem Überfall zu tun hatten. Das vergammelte „Sport“ mutierte bei den Rechten zu einem wahren Haus des Bösen. Bei den folgenden Demonstrationszügen marschierten teilweise mehr als 1500 Menschen vor dem Gebäude auf.

DSSS-Chef Tomáš Vandas hat für den zwölften Aufmarsch wieder einen Anlass gefunden. Dieses Mal gab es eine Schlägerei zwischen „weißen Tschechen“ und Roma. Eine der Anwesenden, eine ältere Frau, starb Wochen später. „Ob ihr Tod etwas mit der Schlägerei zu tun hat, ist noch völlig unklar. Sicher ist, von der Unterkunft ‚Sport‘ war niemand beteiligt“, erklärt Markus Pape. Der in Prag lebende Bürgerrechtler und Journalist versucht mit dem Netzwerk „Hass ist keine Lösung“ den Bewohnern des ehemaligen Hotels beizustehen.

Für die DSSS sind Roma eben Zigeuner, und so wird wieder zum „Sport“ marschiert, vermutlich nicht zum letzten Mal. Das befürchtet auch Julius Danko. Er kann sich noch bestens daran erinnern, wie die Demonstranten versuchten, das „Sport“ zu stürmen. Die Polizei griff ein. Steine und Feuerwerkskörper flogen. Vor dem Hotel rangelten behelmte Bereitschaftspolizei und Skinheads. Im „Sport“ waren alle wie gelähmt vor Angst. „Ich dachte, jetzt kommen sie und nehmen alles auseinander“, sagt Julius Danko. Seitdem überwachen Kameras das Umfeld des „Sport“. Gegenüber, in einer heruntergekommenen ehemaligen Disco und Spielhölle, ist eine Polizeiwache eingezogen.

„Irgendwann werfen uns die Demonstranten einen Molotow-Cocktail durch das Fenster“, sagt Denissa, die 14-jährige Tochter. Vater Danko will sie beruhigen. „Die Leute aus Varnsdorf werden das nicht machen“, meint er. Aber die Nazis von außerhalb, die machen ihm Sorgen, sagt er dem Journalisten. Danko versucht, ärgerlich zu klingen, und ist doch viel zu angespannt. „Was kommen diese Menschen immer zu uns? Wir haben niemanden etwas getan. Bis zu meinem Infarkt habe ich gearbeitet. Wir sind keine Sozialschmarotzer“, erklärt der Roma.

Der 49-Jährige erzählt, wie er seine zweijährige Dienstzeit in der tschechoslowakischen Armee abgeleistet hat. „Wenn da jemand was Rassistisches gesagt hat, dann kam er in den Bau. So war das, keine Probleme.“ Er berichtet von seinem Job bei der Bahn und als Hilfsarbeiter in einer Textilfabrik. „Seit 30 Jahren lebe ich in Varnsdorf. Geboren wurde ich in einem Nachbardorf. Das hier ist meine Heimat“, sagt Danko.

Das Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit

Doch viele „weiße“ Tschechen in Varnsdorf klagen über einen dauernden Zuzug von Roma aus anderen Teilen der Republik, über einen Anstieg der Kriminalität. Roma aus den Metropolen sollen von Immobilienhaien Geld bekommen, wenn sie aus schick werdenden Altstadtgebieten fortziehen. Endstation ist dann oft eine schäbige Unterkunft in der Provinz.

Pape kann da nur mit dem Kopf schütteln: „Im ‚Sport‘ leben derzeit ausschließlich Roma aus der Region, dem Schluckenauer Zipfel, der an Sachsen grenzt. Familien wie die Dankos, die vom Sozialamt hier Zimmer zugewiesen bekommen haben. Ich glaube, das Hauptproblem von Varnsdorf sind 15 Prozent Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven für viele Bewohner.“ Auf einen Job zu hoffen, hat sich Verona Dankova verboten: „Bei der Arbeitslosigkeit, als Roma? Hoffnungslos. Nicht, dass ich es nicht weiter versuchen würde. Immer wieder und wieder. Ich habe wirklich gern gearbeitet.“

Seit den DSSS-Märschen dürfte es für sie noch schwieriger geworden sein. In der Kleinstadt Varnsdorf kennt man sich, doch der Unfrieden wächst. „Am Wochenende marschieren sie vor unserem Haus vorbei, und am nächsten Tag grüßen sie freundlich im Supermarkt. Als wäre nichts gewesen. Da sind Kollegen darunter, mit denen ich jahrelang hart zusammen gearbeitet habe“, brummt Julius Danko.

Die Türen werden verbarrikadiert

Seine Tochter zuckt traurig mit den Achseln. Sie hat genug von der Roma-Häme, die selbst der eine oder andere Lehrer gar nicht mehr zu verstecken versucht. Die Teenagerin würde gerne nach England auswandern. „Da würde ich in einem Hotel arbeiten“, meint sie. Dann blickt sie kurz um sich. „Ich meine natürlich, in einem richtigen, schönen Hotel.“ Mittlerweile werden die Kinder ins Haus gerufen und die Türen verbarrikadiert. Der Marsch vom Marktplatz aus auf das ehemalige Hotel hat begonnen.

Studentinnen von „Hass ist keine Lösung“ fangen mit ihrem Kinderprogramm im Gebäude an. Aus einer Mini-Stereoanlage wummern die Chartbrecher. Und die jüngsten Bewohner vergessen beim Malen den drohenden Aufmarsch völlig. Stattdessen machen sich die Mädchen große Justin-Bieber-Plakate. Und die Jungs mehr was graffitimäßiges. „Muss zu unserer Breakdance-Gruppe passen“, erklärt der zwölfjährige Miescha, der Sohn der Dankos.

Draußen marschieren schon die Demonstranten vorbei, schwenken ihre Plakate mit der Aufschrift „Stoppt den schwarzen Rassismus“. Auch das Pärchen im Partnerlook blickt wütend die Hausfassade empor. Keine 300 sind es dieses Mal. Genug aber, dass die Kinder es wieder einmal von einem Schreier hören. „Zigeuner ins Gas.“

Quelle: Spiegel.de
Stand: 07.02.2012