Auch 2012: Antiziganismus in Tschechien

von Lara Schultz

Antiziganismus in Tschechien

In den ersten Stunden des Jahres 2012 erschießt ein Rentner im nordböhmischen Tanvald einen 22-jährigen Rom und verletzt dessen Bruder schwer. Zeugen gibt es keine, so steht Aussage gegen Aussage. Er habe in Notwehr gehandelt, da er mit einem Messer angegriffen worden sei, sagt der 63-Jährige, der nach seiner Vernehmung noch in der Neujahrsnacht wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Die Brüder seien außerdem auf Beutezug gewesen. Der jugendliche Überlebende fürchtet derweil um sein Leben. Er versteckt sich derzeit bei Verwandten und verlässt aus Angst die Wohnung nicht mehr. Seine Version der Ereignisse klingt vollkommen anders. Das Internetportal romea.cz zitiert ihn wie folgt:

Ich ging hinter meinem Bruder her und schaute auf meine Füße, damit ich nicht stolpere. Dort gibt es keine Straßenlaternen, es war dunkel. Plötzlich hörte ich einen Schuss, mein Bruder viel mir blutüberströmt vor die Füße. Ich hatte keine Ahnung, was los war. Ich kniete mich neben ihn und schrie ihn an, er möge mit mir sprechen. In diesem Moment sah ich den Mann, wie er über mir stand, hörte einen weiteren Schuss und verspürte einen starken Schmerz im Bauch.

Er weist außerdem den Vorwurf zurück, er und sein Bruder wären zum Klauen unterwegs gewesen.
Zu einer Ortsbegehung wurde nur der Täter, nicht aber das überlebende Opfer geladen. Die Ermittler kamen dann auch zu dem Schluss, der Rentner habe ich Notwehr gehandelt. Der Täter habe sich gegen eine Messerattacke geschützt, teilte die zuständige Kreisstaatsanwältin Lenka Bradačová mit, somit handle es sich also nicht um Mord. Durch Gutachten soll nun geprüft werden, inwiefern der Einsatz der Schusswaffe in der Situation angemessen war. Eine rassistisch motivierte Tat wurde übrigens von Anfang an ausgeschlossen, obwohl der Bürgermeister Petr Polák (Bürgerdemokraten, ODS) von aktuellen ethnischen Spannungen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und den Roma spricht. Unlängst wurden Roma aus anderen Teilen Tschechien uns der Slowakei in der 7.000-Einwohner-Stadt angesiedelt.
Die Trauerfeier für das Opfer musste von mehreren Dutzend Polizisten geschützt werden, die den Friedhof absperrten und eine Gruppe abhielten, die Beerdigung zu stören. Ein Mann aus der Gruppe sagte gegenüber der tschechischen Presseagentur ČTK:

Er war weit entfernt davon, unschuldig zu sein. Sie [die Roma] müssen wissen, dass wir uns verteidigen werden, wir werden es nicht zulassen, ausgeraubt und angegriffen zu werden. Wir haben Kinder und wir bekommen Angst, sie allein auf die Straße zu lassen.

Auch im nordböhmischen Varnsdorf gehen seit Beginn des Jahres die antiziganistischen Ausschreitungen weiter. Nachdem die antiziganistischen Demonstrationen Ende Oktober 2011 mit Wintereinbruch zum Erliegen gekommen waren, gab es an den ersten beiden Wochenenden des neuen Jahres wieder Aufmärsche mit 50 bzw. 200 Teilnehmenden. Wie bereits im Herbst wird ein angeblicher Rassismus der Roma gegenüber der Mehrheitsbevölkerung als Begründung herangezogen. Tatsächlich wurde eine dreiköpfige Familie in der Neujahrsnacht mit Verletzungen in Krankenhaus eingeliefert. Am 2. Januar erstatteten sie Anzeige, sie seien vor dem „Hotel Sport“ (einer der Sammelunterkünfte für Roma in Varnsdorf) von Roma angegriffen worden. Seit den Ausschreitungen im Herbst wird das Gebiet mit Videokameras überwacht. Von einem derartigen Angriff war auf dem Überwachungsvideo nichts zu sehen.