Rassismus als Konsens?

Sogar bei den ungarischen Grünen hält die Hälfte Roma für genetisch kriminell

Was durch die gesellschaftliche Atmosphäre seit Jahren angezeigt wird, wurde jetzt auch offiziell mit Zahlen belegt: beim international erhobenen „Radikalismus-Index“, der 33 Länder umfasst, landete Ungarn auf Platz 5. Antisemitismus ist dabei stark auf dem Vormarsch, regelrecht verankert ist jedoch der Antiziganismus, dem auch der „weltoffene“ Teil der Gesellschaft erlegen ist.

Das in Budapest ansässige Forschungsinstitut „Political Capital“, sonst eher bekannt für relativ schwammige Politprognosen, stellte in einer interessanten Studie fest, dass die Zustimmung zu rechtsextremen Positionen und politischen Inhalten in Ungarn, bei den über 15-jährigen in den Jahren 2002 bis 2009 von 10 % auf 21% gestiegen ist, sich also mehr alsverdoppelt hat, was im internationalen Vergleich einen einmalig hohen Wert darstellt. Als „radikalste Nation“ wird von den 33 die Türkei eingestuft, die toleranteste sei Island.

Die treibenden Kräfte hinter der Entwicklung generell, in Ungarn speziell, sind ein Vertrauensverlust in die demokratischen Strukturen, zunehmende Vorurteile und auch gestiegene Ängste und Pessimismus. Während man die zunehmende gesellschaftliche Zukunftsangst und den Pessimismus in Ungarn deutlich in Verbindung mit der Finanzkrise und der miserablen wirtschaftlichen Situation Ungarns setzen kann, müssen die Gründe für den Vertrauensverlust in die Demokratie direkt bei der politischen Elite gesucht werden, von der man wohl auch derzeit nicht erwarten kann, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Das erklärt aber noch längst nicht alles.

Die gestiegene Präsenz von rechtsextremem Gedankengut äußert sich konkret vor allem in antisemitischen Verschwörungstheorien und einem Antiziganismus, der die gesamte Bevölkerung durchzieht. Schockierend, aber nicht unerwartet, ist, dass unter Jobbik-Anhängern 79% der Aussage zustimmen, dass Kriminalität bei Roma genetisch bedingt sei und diese daher zwangsläufig notorisch ist. Hier möchte man fast fragen, ob die anderen 21% sich etwa nicht auf Jobbik-Linie befinden, denn die These ist schließlich Parteiprogramm, ja Existenzgrundlage oder ob dieses Fünftel die Frage schlicht nicht verstanden hat? Was die gesellschaftliche Verbreitung von Rassismus deutlicher macht, sind jedoch die Positionen der Anhänger der anderen Parteien. Auch bei den „Sozialisten“, also den Anhängern der MSZP und den Fidesz-Anhängern stimmen mit 61 und 60% Zustimmung mehr als die Hälfte dieser Aussage zu.

Die niedrigste Zustimmung gibt es immerhin bei der grün-liberalen LMP-Partei, die wegen fehlender Abgrenzung ihrer Fürhungsfigur gegenüber Jobbik-”Kollegen” immer mal wieder in die Kritik geraten ist. Doch für eine grün-liberale Partei, deren Anhänger eigentlich durch Weltoffenheit und ein Mindestmaß an humanistischer Grundbildung auffallen sollten, sind Zustimmungswerte zu rassistischen Aussagen von 49% eigentlich kein Grund, sich über den Titel der Partei mit den am wenigsten rassistischen Anhängern zu freuen. Eigentlich ist es eine Schande.

Auch dass hier „nur“ 35% ihren Kindern verbieten würden, mit Romakindern in Kontakt zu sein, ist ein Wert, der zeigt wie tief gesellschaftlicher Rassismus auch bei sich sonst als aufgeklärt und liberal gebenden Ungarn verankert ist. Deutlich wird durch die nackten Zahlen auch, dass die Roma nur einen Teil des Problems bilden, ein Umstand, der in der oft mit missionarischem Ton geführten Debatte oft übersehen wird. Dass dort die Vorurteile gegenüber “den Weißen” durch eine gezielte Asozialisierung und Ausgrenzung über die Jahrhunderte geradezu gezüchtet worden sind, ist die eine Seite, das “Antrainieren” von “liebgewonnenen”, weil enigängigen und leicht verständlichen Vorurteilen die andere Seite der traurigen Medaille.

Nach diesen Zahlen kann man den Einzug der Jobbik ins Parlament 2010 eindeutig nicht mehr als „Unfall“ frustrierter Wähler verbuchen, auch wenn sie von der derzeitigen politischen Krisensituation zusätzlich profitieren. Wären heute Wahlen, würde Jobbik nicht knapp 15%, sondern bereits über 20% der abgegebenen Stimmen erhalten, auch ein Beweis, dass die lavierende, kalkulierende Taktik der Nationalkonservativen im Umgang mit den Rechtsextremen nicht aufgegangen ist, wie sie schon in der Geschichte nie – im Guten – aufgegangen ist.

Quelle: Pester Lloyd
Stand: 07.12.2011