Antiziganismus von Links: ein historisches Beispiel

In der Schriften-Sammlung „Der kurze Sommer der Anarchie“, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, finden sich zwei kleine Berichte (Seite 205-206) darüber, wie der berühmte spanische Anarchist und Revolutionär Buenaventura Durruti 1936 eine Gruppe spanischer Roma (vermutlich Kale) zur Arbeit an einer Straße von Pina de Ebro zu dem Dorf Monegrillo gezwungen hat. Als Begründung für diese Zwangsarbeit wird das antiziganistische Stereotyp von der angeblichen Arbeitsunwilligkeit von Roma angeführt.

War Durruti ansonsten auch in vielen Bereichen ein vorbildhafter Idealist, so darf dieser Aspekt in der Biografie des Anarchisten nicht verschwiegen werden.

Der Mitkämpfer Ricardo Sanz berichtet:

Diese Straße heißt bei den Bewohnern heute noch »Die Straße der Zigeuner«. Durruti hatte nämlich in seinem Operationsgebiet einige Zigeunerlager vorgefunden, und er brachte es fertig, das wandernde Volk zum Straßenbau zu überreden. Was andern wie ein Wunder erschien, nannten die Zigeuner freilich »eine Strafe Gottes«.

Heißt es bei Sanz noch „überreden“, so wir in dem Bericht von Gaston Leval eindeutig klar, dass es sich um Zwangsarbeit handelt:

Als die Kolonne Durruti nach Aragon vordrang, stieß sie auf ein Zigeunerlager. Ganze Familien kampierten da auf freiem Feld. Das war insofern unangenehm, als diese Leute sich um den Frontverlauf nicht im geringsten kümmerten und nach Belieben herüber- und hinüberwechselten. Es war nicht ausgeschlossen, daß sie sich als Kundschafter für Franco mißbrauchen ließ. Durruti dachte über das Problem nach. Dann ging er zu den Zigeunern und sagte ihnen: »Als erstes, meine Herrschaften, werdet ihr euch anders anziehen und das gleiche Zeug tragen wie wir.« Die Milizsoldaten trugen damals alle Monteurskittel, Overalls, und das in der Juli-Hitze! Die Zigeuner waren nicht gerade begeistert. »Heraus aus euren Lumpem! Was die Arbeiter tragen, das steht euch auch zu.« Die Zigeuner merkten, daß Durruti nicht zum Spaßen aufgelegt war, und zogen sich um. Aber damit nicht genug. »Jetzt, wo ihr Arbeitskleider habt, jetzt könnt ihr auch arbeiten«, fuhr Durruti fort. War das ein Heulen und Zähneknirschen. »Die Bauern hier haben ein Kollektiv gegründet und beschlossen, eine Straße zu bauen, damit ihr Dorf einen Weg zur Hauptstraße hat. Hier habt ihr Schaufeln und Pickel, auf geht’s!« Was blieb den Zigeunern anders übrig. Und von Zeit zu Zeit kam Durruti selbst vorbei und sah nach, wie die Arbeit voranging. Er freute sich diebisch darüber, daß er die Zigeuner dazu gebracht hatte, ihre Hände zu gebrauchen. »Der Seno‘ Durruti ist da!« flüsterten sich die Zigeuner zu, mit ihrem andalusischen Akzent, und erhoben die Hand zum antifaschistischen Gruß; das heißt, sie streckten ihm die geballten Fäuste hin, und Durruti verstand sehr wohl, was sie damit sagen wollten.

Interessant ist, dass hier mitten im Spanischen Bürgerkrieg einer Randgruppe Illoyalität bzw. Spionage („daß sie sich als Kundschafter für Franco mißbrauchen ließ“) und ein fehlender Arbeitsethos unterstellt werden. Ganz in der Tradition antiziganistischer Vorurteile.
Der Arbeitsethos der Mehrheitsbevölkerung und die Loyalität werden letztendlich mit Gewalt sicher gestellt bzw. erzwungen. Dies geschieht durch eine Art von Zwangsassimilierung der Roma, die gezwungen werden die (Arbeiter-)Kluft der anarchistischen Milizen zu tragen. Entgegen dem anarchistischen Ideal reproduziert Durutti unter der scheinbaren Notwendigkeit des Krieges Herrschaft und Diskriminierung gegenüber einer randständigen Bevölkerungsgruppe. Spätere libertäre Generationen entwickelten glücklicherweise eine ausgeprägte Kritik des kapitalistischen Arbeitsethos.