Der Boxer, der nicht siegen durfte

Diffamiert von den Nazis, weil er ein Sinto war – 1942 wurde Johann „Rukeli“ Trollmann ins KZ Neuengamme gesteckt und 1944 ermordet.

Im Ring war er kaum zu besiegen. Doch sein größter Gegner war kein fairer Sportsmann. 1944 wurde der Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann im KZ erschlagen. In Berlin-Kreuzberg trägt jetzt eine Sporthalle seinen Namen.

Vielleicht hat Johann Trollmann die Halle am Kreuzberger Marheinekeplatz, die nunmehr seinen Namen trägt, mit eigenen Augen gesehen, auf dem Weg zu seinem größten sportlichen Triumph. Denn ganz in der Nähe, im Sommergarten der Bockbierbrauerei in der Fidicinstraße, wurde am 9. Juni 1933 der Kampf um die Deutsche Meisterschaft der Berufsboxer im Halbschwergewicht ausgetragen. Trollmann, eigentlich zu leicht für diese Gewichtsklasse, traf auf den favorisierten, für seine Schlagkraft berühmten Adolf Witt aus Kiel. Doch mit seinem als „Trollmann-Tanz“ bekannten Kampfstil siegte David über Goliath.

Siegerkranz für den „Zigeuner“

Den Nationalsozialisten allerdings, die mittlerweile auch im Boxverband das Wort führten, war der elegante Kämpfer aus Niedersachsen ein Dorn im Auge. Denn Trollmann war ein Sinto. So erklärten sie seinen eleganten, fast spielerischen Boxstil. Später wurde er als eine Vorwegnahme des Stils von Cassius Clay beschrieben, kurz als „undeutsch“.

Schon der Titelkampf gegen Witt sollte nach dem Willen der Funktionäre auf keinen Fall mit einem Sieg des „Zigeuners“ enden. Erst Tumulte unter den Zuschauern sorgten dafür, dass Trollmann der vorsorglich beiseite geschaffte Siegerkranz verdientermaßen um die Schultern gelegt wurde. Doch nur wenige Tage nach dem Kampf wurde ihm sein Meistertitel am grünen Tisch aberkannt. Seine Freudentränen nach dem großen Sieg wurden ihm als „armseliges Verhalten“ vorgeworfen.

Verkleidet als nordischer Herrenmensch

Für weitere Kämpfe wurde ihm kategorisch verboten, seinen erfolgreichen Stil zu pflegen. Anderenfalls werde ihm seine Boxlizenz entzogen. Seiner sportlichen Waffen beraubt, griff Trollmann zu Spott und Hohn: Am 21. Juli 1933 stieg er an der Stätte seines Sieges über Witt gegen den Weltergewichtler Gustav Eder in den Ring, die Haare blondiert und den Körper mit Mehl weiß bestäubt. Als Karikatur des nordischen Herrenmenschen ließ er sich von dem leichteren Gegner in fünf Runden K.O. schlagen. Seine Karriere als ambitionierter Berufsboxer war damit praktisch beendet.

Über Trollmanns weiteren Lebensweg weiß die Nachwelt nur noch Bruchstücke. Er bestritt noch einige Kämpfe von zweifelhaftem sportlichem Wert, von denen er die meisten verlor. Zeitweise tauchte er unter. Weil er Sinto war, musste er sich sterilisieren lassen. Seine Ehe ließ er scheiden, um wenigstens seine Familie vor der Verfolgung zu schützen. 1939 wurde er in die Wehrmacht eingezogen, 1941 an der Ostfront verwundet. 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet, misshandelt und ins KZ Neuengamme gebracht. 1944 wurde er im Nebenlager Wittenberge erschlagen.

Späte Würdigung

Die Geschichte Johann „Rukeli“ Trollmanns geriet über Jahrzehnte in Vergessenheit. Erst 2003 wurde er vom Verband Deutscher Berufsboxer wieder in die Siegerlisten aufgenommen. In seiner Heimatstadt Hannover wurde ein Weg nach ihm benannt. Dort und an den Stätten seiner größten Kämpfe, in Hamburg und Berlin, erinnern Stolpersteine an den Boxer, der nicht siegen durfte, weil er ein Sinto war.

Diese späte Anerkennung geht vor allem auf Manuel Trollmanns Einsatz zurück. Der heute 48-Jährige hat die Geschichte seines Großonkels erforscht und dem drohenden Vergessen entrissen – anfangs sogar gegen den Widerstand der eigenen Familie, die unter dieses schmerzhafte Kapitel einen Schlussstrich ziehen wollte. Doch der Großneffe ließ nicht locker. Er forschte, knüpfte Kontakte und warb um Anerkennung für seinen großen Vorfahren.

„Opfer eines lange vergessenen Holocausts“

Als im vergangenen Jahr im Viktoriapark in Berlin ein temporäres Denkmal für Johann „Rukeli“ Trollmann eingeweiht wurde, traf er den zuständigen Bezirksstadtrat für Kultur und Sport, den Sozialdemokraten Dr. Jan Stöß. Dieser war beeindruckt von der Geschichte des Großonkels wie von dem Engagement des Großneffen und machte es sich zur Aufgabe, für ein würdiges Andenken zu sorgen.

„Wir ehren einen großen Sportler – und wir ehren ihn stellvertretend für die 500 000 Sinti und Roma, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden“, erklärte Stöß, ehe er gemeinsam mit Manuel Trollmann eine Gedenktafel am Eingang zum nunmehrigen „Johann-Trollmann-Boxcamp“ in der ehemaligen Schulsporthalle der Rosegger-Grundschule am Marheinekeplatz enthüllte. „Sie waren Opfer eines lange vergessenen Holocausts.“

Sinti und Roma bis heute stigmatisiert

Dr. Silvio Peritore vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma führte diesen Gedanken in einem eindringlichen Vortrag aus. „Dieser Völkermord wurde verdrängt.“ Auch nach der Gründung der Bundesrepublik mussten viele Jahrzehnte ins Land gehen, bedurfte es großer Anstrengungen und Proteste, bis die Sinti und Roma nicht mehr staatlicher Diskriminierung unterlagen, bis sie als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden. Selbst in Mitgliedsstaaten der EU seien Sinti und Roma bis heute ausgegrenzt und stigmatisiert.

Das Schlusswort in der Festveranstaltung hatte Manuel Trollmann. „Ich habe lange dafür gekämpft, dass das Schicksal meines Großonkels nicht in Vergessenheit gerät. Dass jetzt eine Boxhalle seinen Namen trägt, macht meine Familie und mich glücklich und stolz.“

Quelle: Blick nach Rechts
Stand: 22.02.2011