Die Idylle des Wald-Campingplatzes im nordhessischen Bad Zwesten trügt: Laut Vorstandsbeschluss waren Sinti-Familien bisher nicht willkommen, wie ein aktueller Fall enthüllt. Auf die Empörung folgt eine Entschuldigung.
Ganz am Anfang, beim Einchecken, sei auf dem Wald-Campingplatz in Bad Zwesten (Schwalm-Eder) noch alles normal gewesen, erinnert sich Robert Unger. Die Familie zeigte in der vergangenen Woche ihre Ausweise, bekam einen Schlüssel fürs Tor und den Stromanschluss. Dann der plötzliche Rauswurf. Auch ein Hinweis auf die weinenden Kinder fruchtete nicht. Die Familie musste den Platz verlassen. Der Grund: Die Familie zählt zur Minderheit der Sinti in Deutschland.
Bürgermeister: Dulde keine Diskriminierung
Grundlage des Rausschmisses war ein Beschluss des Betreibers Camping Club Kassel (CCK), der Sinti und Roma den Zutritt zu dem Gelände verwehrte – angeblich habe es in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gegeben. Der Fall sorgte für Empörung.
„Wir sind schockiert. Hier werden jahrhundertealte Ausgrenzungen vollkommen unverhohlen fortgeführt“, kritisierte Adam Strauß, der Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, am Dienstag in einer Mitteilung den Vorfall. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte die Vorgänge gegenüber der Frankfurter Rundschau als „beschämend“ bezeichnet.
Auch der Bürgermeister von Bad Zwesten, Michael Köhler (FDP), kündigte gegenüber dem hr an, ein klärendes Gespräch mit den Verantwortlichen des Campingplatzes zu führen. Er dulde solche Diskriminierung nicht.
Campingplatzbetreiber: „Wir haben gelernt“
Nun rudert auch der Camping Club zurück. Vorstandsmitglied Michael Zollmann räumte gegenüber dem hr ein, man habe einen Fehler gemacht. Die Kritik und das Geschehene sei nicht spurlos an ihm und den Vorstandskollegen vorbeigegangen. Es sei ein „unsäglicher Vorfall“.
Mit einem Brief wolle man beim Landesverband der Sinti und Roma und der betroffen Familie Unger um Entschuldigung bitten, erklärte Zollmann dem hr. Auch habe man festgelegt, künftig keinerlei diskriminierende Beschlüsse mehr zu fassen zu wollen. Der Brief endet mit den Worten „Wir haben gelernt!“.
Familienvater Unger: „Das ist mir noch nie passiert“
Für seine Familie sei der rassistische Vorfall eine schlimme Erfahrung gewesen, sagt Robert Unger: „Das ist mir noch nie passiert“, sagt Unger, er lebe immer schon in Deutschland, genauso wie der Rest seiner Familie: „Meine Vorfahren sind seit mehr als 100 Jahren hier“, sagt er. Er habe seinen drei und sechs Jahre alten Kindern erklären müssen, warum sie nicht willkommen sind, auch seiner Mutter und Cousins, die auch auf den Campingplatz kommen wollten.
„Mein Sohn geht bald in die zweite Klasse, was soll er dort erzählen über seinen Urlaub – dass er nicht auf den Campingplatz durfte?“, fragt Unger. Er selbst habe als Kind in der Schule Vorurteile und Antiziganismus erlebt, sagt der Familienvater. Aber jetzt sei er 32 Jahre alt und habe gehofft, solche Erfahrungen seien vorbei.
Den Urlaub setzte die Familie schließlich an der Nordsee fort. Er werde jedenfalls alle seine Bekannten vor dem Platz in Bad Zwesten warnen, sagt Unger – „Ich will nicht, dass irgendwer noch so eine schlechte Erfahrung machen muss.“
Diskriminierung und Verfolgung
Der Begriff „Antiziganismus“ bezeichnet die Diskriminierung und Verfolgung von Menschen, die der Minderheit der Sinti und Roma angehören. Da er selbst die abwertende Bezeichnung „Zigeuner“ enthält, ist der Begriff nicht unumstritten, wird aber auch von einigen Organisationen der Sinti und Roma bewusst verwendet. Andere bevorzugen den Ausdruck Rassismus. (Zu einem Dossier der Bundeszentrale für polische Bildung geht es hier.) Die damit verbundenen Vorurteile begegnen den Betroffenen immer noch, wie der Fall in Bad Zwesten zeigt – und sie haben eine furchtbare Tradition in Deutschland.
Die vernichtende Rassen-Ideologie in der NS-Zeit richtete sich gerade auch gegen Sinti und Roma, sie konnte auf ein uraltes Feindbild zurückgreifen. Die genaue Opferzahl ist schwer zu bestimmen. Aber sie geht in die Hundertausende. Es könnten bis zu 500.000 ermordete Sinti und Roma in den von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten Europas gewesen sein, wie unter anderem der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages festgehalten hat.
Quelle: hessenschau
Stand: 01.11.2021